Beihilfen-Skandal in den Niederlanden "Auf fürchterliche Weise schiefgegangen"
In den Niederlanden hatten Steuerbehörden Tausende Eltern zu Unrecht Betrug vorgeworfen - und in finanzielle Nöte gebracht. Jetzt hat die Regierung die Konsequenzen gezogen und ist zurückgetreten.
Von Ludger Kazmierczak, ARD-Studio Den Haag
Das dritte Kabinett von Premier Mark Rutte ist über einen Behördenskandal gestolpert, der die Niederländer schon lange beschäftigt. Über Jahre hinweg hatte der Fiskus mehr als 20.000 Eltern vorgeworfen, sich Beihilfen für die Kinderbetreuung erschlichen zu haben. Viele Familien mussten daraufhin Tausende Euro zurückzahlen und gerieten in finanzielle Nöte.
Eine Untersuchungskommission kam im Dezember zu dem Schluss, dass die Eltern zu Unrecht belangt worden waren. Dafür, so Rutte, übernehme die Regierung jetzt die Verantwortung:
Der Rechtsstaat muss seine Bürger vor einer allmächtigen Obrigkeit beschützen. Das ist hier auf fürchterliche Weise schiefgegangen. Der Bericht der Untersuchungskommission ist knallhart, aber fair", so Rutte.
Opposition: "Moment der Gerechtigkeit"
Die Opposition begrüßte die Entscheidung des Kabinetts. Sie hätte der Regierung sonst nächste Woche das Misstrauen ausgesprochen. Grünen-Chef Jesse Klaver hat diesen Schritt schon vor Wochen gefordert. Für die Familien, die teilweise ihre Autos oder Wohnung verkauft hätten, um von den Schulden runterzukommen, sei das ein guter Tag:
"Ein Moment der Gerechtigkeit für alle betroffenen Eltern, für die mehr als 20.000 Familien, die in Not geraten sind. Und das war das einzig Richtige, was das Kabinett machen konnte", sagte Klaver.
Parlamentswahlen am 17. März
Der Regierungsrücktritt wird die Niederlande wohl kaum in politische Turbulenzen stürzen. Bereits in zwei Monaten stehen turnusgemäß die nächsten Parlamentswahlen an. Bis dahin wollen die vier Koalitionsparteien weiter kooperieren. Die meisten Minister bleiben geschäftsführend in ihren Ressorts tätig. Damit sei gewährleistet, so Rutte, dass die Niederlande auch in Zeiten der Corona-Krise handlungsfähig blieben.
"Unser Streit gegen das Coronavirus geht weiter. Unsere Arbeit steht in den kommenden Wochen unvermindert im Zeichen von Corona, um die Folgen für die Wirtschaft und die Gesellschaft abzufedern - mit den von uns angekündigten Hilfspaketen", so der Premier.
Rutte hat gute Chancen auf Wiederwahl
Rutte kündigte außerdem an, als Spitzenkandidat für seine konservativ-liberale VVD in den Wahlkampf zu ziehen. Laut Umfragen hat er sehr gute Chancen, ein drittes Mal als Ministerpräsident wiedergewählt zu werden. Doch ein "Weiter so wie bisher" dürfe es nicht geben, meint Oppositionsführer Geert Wilders:
"Es war ein richtiger Entschluss, zurückzutreten. Das bleibt jedoch sehr unverbindlich, wenn die Hauptdarsteller dieses menschlichen Dramas jetzt als Spitzenkandidaten weitermachen, Minister werden oder sogar Premier. Dann wäre das nur eine symbolische Geste."
30.000 Euro Entschädigung für betroffene Familien
Nicht weitermachen wird Wirtschaftsminister Eric Wiebes, der während der Beihilfe-Affäre im Finanzministerium tätig war. Und bereits gestern war Lodewijk Asscher als Spitzenkandidat der sozialdemokratischen Partij van de Arbeid (PvdA) zurückgetreten. Er war damals Sozialminister.
Die zu Unrecht beschuldigten Eltern sollen in den kommenden vier Monaten finanziell entschädigt werden. Jede Familie erhält mindestens 30.000 Euro - selbst wenn ihr Schaden geringer gewesen ist.