Auf Anweisung Lukaschenkos Landung erzwungen, Blogger festgenommen
Das Flugzeug flog von Athen nach Vilnius, als eine vermeintliche Bombendrohung den Piloten zur Notlandung in Minsk zwang. Dort wurde Regierungskritiker Protasewitsch festgenommen. International ist die Empörung groß.
Belarus hat den Oppositionellen Roman Protasewitsch, einen Gegner von Präsident Alexander Lukaschenko, auf einem Flug zwischen den EU-Mitgliedsstaaten Griechenland und Litauen bei einer erzwungenen Zwischenlandung in Minsk festgenommen. Ein belarusisches Militärflugzeug habe eine Passagiermaschine von Ryanair am Sonntag über belarusischem Gebiet abgefangen und zur Landung in der belarussischen Hauptstadt gezwungen, berichtete die amtliche Nachrichtenagentur Belta.
Lukaschenko selbst habe dies angeordnet, weil es eine Meldung über explosive Stoffe an Bord gegeben habe. Derartige Stoffe seien jedoch nicht gefunden worden. Die belarusische Präsidentschaft bestätigte, dass ein Kampfflugzeug vom Typ MiG-29 aufgestiegen sei, um das Flugzeug mit dem Oppositionellen an Bord abzufangen.
Diese Aufnahme zeigt Roman Protasewitsch, als er am 26. März 2017 ins Minsk festgenommen wird.
Protasewitsch - war zur Fahndung ausgeschrieben
Protasewitschs Nachrichtenkanal Nexta zählt auf dem Messaging-Dienst Telegram zu den wichtigsten Informationsquellen der Opposition zählt. Protasewitsch, den Belarus nach den Massenprotesten gegen Lukaschenko vom vergangenen Jahr auf die Liste der "an terroristischen Aktivitäten beteiligten Personen" gesetzt und zur Fahndung ausgeschrieben hatte, wurde nach übereinstimmenden Angaben festgenommen. Die Behörde für die Bekämpfung des organisierten Verbrechens zog ihre entsprechende Mitteilung auf Telegram jedoch nach kurzer Zeit zurück.
Zuvor hatte auch der Oppositionskanal Nexta berichtet, dass die Ryanair-Maschine mit ihrem ehemaligen Redakteur an Bord wegen einer "Bombendrohung" nach Minsk umgeleitet worden war und dort notlanden musste. Nachdem aber keine Bombe gefunden worden sei, seien "alle Passagiere zu einer weiteren Sicherheitskontrolle geschickt" worden. Dort sei Protasewitsch festgenommen worden.
Ryanair bestätigte, dass einer ihrer Flieger auf dem Weg von Athen in die litauische Hauptstadt Vilnius nach Belarus umgeleitet worden ist. Die Besatzung des Fluges sei von belarusischer Seite über eine mögliche Sicherheitsbedrohung an Bord in Kenntnis gesetzt und angewiesen worden, zum nächstgelegenen Flughafen in Minsk zu fliegen, teilte die Airline mit.
EU-Länder entsetzt: "ein nie dagewesener Vorfall"
Der litauische Präsident Gitanas Nauseda forderte die sofortige Freilassung Protasewitschs. "Das ist ein nie dagewesener Vorfall (...) Das Regime von Belarus steht hinter dieser abscheulichen Aktion", schrieb er im Kurznachrichtendienst Twitter. Der kommerzielle Flug von Ryanair sollte "mit Gewalt" landen. "Ich fordere die Verbündeten der NATO und der EU auf, unverzüglich auf die Bedrohung der internationalen Zivilluftfahrt durch das belarusische Regime zu reagieren. Die internationale Gemeinschaft muss unverzüglich Maßnahmen ergreifen, die sich nicht wiederholen", sagte der Präsident. Er versprach, dies am Montag auf einem EU-Gipfel zu erörtern.
Laut Litauens Außenminister Gabrielius Landsbergis befanden sich Reisende aus zahlreichen Ländern an Bord, darunter drei deutsche und ein österreichischer Staatsbürger. Der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell forderte von Minsk die Freigabe des Flugzeugs und "aller Passagiere".
Bundesregierung fordert "sofortige Erklärung"
Die Bundesregierung verlangte von Belarus eine Stellungnahme. Der Staatssekretär im Auswärtigen Amt, Miguel Berger, schrieb auf Twitter, eine "sofortige Erklärung" sei nötig. CDU-Generalsekretär Paul Ziemiak fordert harte EU-Maßnahmen gegen das Regime und die Freilassung von Protasewitsch. Der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses Norbert Röttgen twitterte, wenn sich diese Informationen bestätigten, handle es sich um einen Fall von Staatsterrorismus. Dieser müsse eindeutige Konsequenzen haben.
Auch Polens Regierungschef Mateusz Morawiecki bezeichnete die Flugzeug-Umleitung durch Belarus als "Staatsterrorismus". Österreich sprach sich für eine unabhängige internationale Untersuchung aus
Nicht einmal der Luftraum über Belarus ist sicher
Die ebenfalls im Exil lebende Oppositionsführerin Swetlana Tichanowskaja prangerte die Festnahme ihres Mitstreiters an. Sie sprach von einer Geheimdienstoperation, die ihresgleichen suche. Die Regierung von Belarus habe die Landung der Maschine mit Protasewitsch an Bord "erzwungen", schrieb sie auf Twitter. Ihm drohe nun die Todesstrafe in seinem Heimatland.
Mit dem heutigen Tag sei klar, so Tichanowskaja weiter, dass nicht einmal mehr der Luftraum über Belarus sicher sei. Das Regime sei bereit, selbst den internationalen Flugverkehr zu missbrauchen, um Kritikern habhaft zu werden.
Nexta-Aufruf zu Protesten gegen Lukaschenko
Über die Plattform Nexta waren nach der von massiven Betrugsvorwürfen begleiteten Präsidentschaftswahl in Belarus im vergangenen August Hunderttausende Demonstrierende mobilisiert worden.
Lukaschenko, der Belarus seit 1994 regiert, hatte die Massenproteste niederschlagen lassen. Es gab Tote und Verletzte. Menschenrechtsgruppen zufolge nahmen die Behörden seitdem rund 35.000 Personen fest. Viele von ihnen waren gefoltert worden. Behördenangaben zufolge wurden mehr als 1000 Gerichtsverfahren gegen Protestteilnehmer eröffnet. Mehr als 400 von ihnen wurden zu Haftstrafen verurteilt.
Mit Informationen von Christina Nagel, ARD-Studio Moskau, und Isabel Reifenrath, ARD-Hauptstadtstudio