Referendum in Australien "Im eigenen Land nicht erwünscht"
Bei vielen Australiern ist die Enttäuschung über das Nein zu mehr politischer Mitsprache der Indigenen groß. Es zeige, dass Australien seine koloniale Vergangenheit noch nicht vollständig aufgearbeitet habe, sagen Beobachter.
Nach Bekanntgabe des Wahlergebnisses ist die Enttäuschung unter den Befürwortern groß - besonders unter den Indigenen. Mit einem klaren Nein hat die Mehrheit in Australien eine Änderung der Verfassung abgelehnt, die deren Leben und Alltag verbessern sollte. Rund 60 Prozent der Bevölkerung haben sich gegen mehr Mitsprache für die indigene Bevölkerung ausgesprochen.
"Ich hätte gedacht, Australien gibt seinen Schwächsten eine faire Chance. Das Ergebnis zeigt etwas anderes. Ich bin sehr enttäuscht", sagt etwa Robyn Collard aus dem westaustralischen Perth auf einer Wahlparty.
"Wird dauern, bis Wunden geheilt sind"
"Ich bin niedergeschlagen, und es wird dauern, bis diese Wunden geheilt sind", sagt auch der Co-Autor der Uluru-Erklärung, Jesse Fleay. Aber er sei auch optimistisch: "Zum ersten Mal seit langem hat Australien über seine nationale Identität gesprochen."
Esme Bamblett, Mitglied der "First Peoples' Assembly" im Bundesstaat Victoria, meint: "Ein Grund, warum das Referendum gescheitert ist, sind Falschinformationen. Viele Australier wissen nicht viel über Aborigines. Sie wissen nicht, was wir durchmachen, sie kennen weder das Ausmaß der Benachteiligung noch unsere Geschichte."
Soziale Ausgrenzung, geringe Einkommen
Mit Ankunft der ersten britischen Siedler erlebten die Indigenen Verfolgung, Tod und Ausgrenzung. Bis in die 1970er-Jahre wurden indigene Kinder aus ihren Familien gerissen und in weißen Familien oder christlichen Einrichtungen umerzogen.
"Dieses Trauma zieht sich bis heute", sagt der indigene Aktivist Mervyn Eades. Er hat in Perth bis zuletzt um Ja-Stimmen geworben. "Es fühlt sich an, als ob wir in unserem eigenen Land nicht erwünscht sind. Wir leben hier seit 65.000 Jahren - und bitten die Menschen, die erst vor 230 Jahren gekommen sind, um Anerkennung in der Verfassung."
Der Alltag der Indigenen in Australien, die etwa drei Prozent der Bevölkerung ausmachen, ist geprägt von sozialer Ausgrenzung. Die meisten haben ein geringes Einkommen und kaum Chancen auf wirtschaftlichen Aufstieg. Die Kriminalitätsrate ist deutlich höher, die Lebenserwartung acht Jahre geringer als im Rest der Bevölkerung.
Niederlage für Premierminister Albanese
Im Referendum ging es darum, ein beratendes Gremium für Parlament und Regierung zu schaffen bei indigenen Themen. Anstatt über sollte mit den Indigenen gesprochen werden. Doch das Nein-Lager hat sich durchgesetzt.
Die Australierin Barbara Bradbury erklärt ihr Nein so: "Ich denke, ein Ja hätte uns gespalten. Und du kannst nicht Ja zu etwas sagen, dessen Folgen du nicht absehen kannst." Der Wähler Joshua Tan sagt: "Wie das Gremium aufgesetzt war, hätte es seinen Zweck nicht erfüllt. Es hätte die Probleme nicht gelöst, das war mir alles zu vage." Und ein Mann mit einem dicken "No" auf dem Hemd erklärt: "Ich denke, wir machen bereits genug für die Indigenen. Es wäre nur noch mehr Bürokratie für die Regierung gewesen."
Das Nein ist auch eine Niederlage für Australiens Premierminister Anthony Albanese. Das Referendum war eines seiner zentralen Wahlversprechen. Nun wirbt er für Zusammenhalt: "Dieser Moment der Uneinigkeit wird uns nicht spalten. Wir sind nicht ein Volk von Ja-Sagern und Nein-Sagern, wir sind alle Australier."
Das Referendum ist an diesem Wochenende zwar gescheitert. Die Debatte über eine politische Mitsprache und Anerkennung der Indigenen in der Verfassung wird Australien aber weiter beschäftigen.