Der Papst im Europaparlament Besuch eines Unbequemen
Die Flüchtlingspolitik, die hohe Jugendarbeitslosigkeit, Armut sogar in reichen Ländern - all das hat Papst Franziskus mehrfach kritisiert. Die EU hat sich heute einen unbequemen Gast eingeladen, der Europa sehr kritisch beurteilt.
Papst Franziskus komme nicht als Politiker nach Straßburg. Das hat Vatikansprecher Federico Lombardi klar gemacht, nachdem er auf die Kritik eines französischen Europaabgeordneten angesprochen wurde, der in dem Papstbesuch im Parlament das Prinzip der Trennung von Staat und Kirche verletzt sieht.
Der Papst ist Kirchenoberhaupt - und dennoch wird seine Botschaft in Straßburg eine politische sein. Das kann man schon aus seinen bisherigen Stellungnahmen zum Thema Europa ableiten. Beispiel Lampedusa: Angesichts des Flüchtlingselends vor Europas Küsten sprach er von einer Globalisierung der Gleichgültigkeit: "Die Wohlstandskultur bringt uns dazu, nur an uns selbst zu denken. Sie macht uns taub für die Hilferufe der Anderen. Sie lässt uns in Seifenblasen leben, die schön sind, aber nichtig, Vorspiegelungen des Eitlen und Vorübergehenden, das uns gleichgültig macht gegenüber dem Nächsten."
Projekt der Solidarität
Für Franziskus sind Europa und die Europäische Union ein Projekt der Solidarität. Und immer wenn Europa diesem Anspruch nicht gerecht wird, findet der Papst deutliche Worte, wie vor wenigen Wochen bei einer Audienz für katholische Sozialbewegungen. Mehr als 40 Prozent Jugendarbeitslosigkeit in Italien - das sei ein klarer Fall von Ausgrenzung, sagte der Pontifex. "Wir müssen eine Generation junger Menschen opfern, um ein System zu erhalten und auszugleichen, das sich um den Götzen Geld dreht und nicht um die menschliche Person."
Ein unbequemer Papst, der den Abgeordneten im EU-Parlament und den Vertretern des Europarats ins Gewissen reden wird. Der Vorsitzende der EU-Bischofskonferenz, Reinhard Kardinal Marx, erwartet auch ein klares Wort des Papstes zum Konflikt zwischen der Ukraine und Russland. "Er muss auch vom Krieg sprechen, der auf unserem Kontinent ist", so der Münchner Erzbischof.
Als zuletzt ein Papst vor dem Europaparlament und dem Europäischen Rat gesprochen hatte, da standen die Zeichen noch auf Entspannung: 1988 war Johannes Paul II. in Straßburg. Wenig später fiel die Mauer, Europa voller Hoffnung. Heute trifft Papst Franziskus auf ein Europa in der Krise, ein Kontinent voller Selbstzweifel. Europa sei müde, sagt Franziskus. "Wir müssen ihm helfen, sich zu verjüngen, seine Wurzeln zu finden. Es ist wahr: Es hat seine Wurzeln verleugnet. Das ist wahr. Aber wir müssen ihm helfen, sie wiederzufinden. Bei den Armen und den alten Menschen beginnt man, um die Gesellschaft zu verändern."
Nicht der Nabel der Welt
Es ist die kürzeste Auslandsreise, die ein Papst je unternommen hat. Einen Vormittag nimmt sich Franziskus Zeit für Straßburg. Er verzichtet bewusst auf jede Form der öffentlichen Religionsausübung. Kein Gottesdienst, keine Liturgie. Möglicherweise ist auch das der Tatsache geschuldet, dass einige EU-Parlamentarier den Besuch des Kirchenoberhauptes kritisch sehen.
Umgekehrt betrachtet dieser Papst aus Argentinien Europa nicht als den Nabel der Welt. Sein Blick geht zu den Rändern. Seine erste Reise in Italien ging nach Lampedusa und seine erste Europareise führte ihn nicht ins Herz des alten, katholischen Europas, nach Frankreich oder Spanien, sondern an die Peripherie, nach Albanien.