Bilanz des deutschen Pontifikats Benedikt, der Glücklose
Benedikt XVI. hat sich im Vatikan von den Kardinälen verabschiedet. Doch was wird bleiben nach dem Rücktritt? Der deutsche Papst wird in die Geschichtsbücher eingehen wegen seines freiwilligen Amtsverzichts. Sein Pontifikat war überschattet von Skandalen, aber es ist auch der Kampf gegen den Zeitgeist, der unvergessen bleiben wird.
Von Tilmann Kleinjung, ARD-Hörfunkstudio Rom, zzt. Vatikan
Der Papst nimmt ein letztes Mal auf dem goldenen Papstthron in der Sala Clementina Platz. Er trägt einen roten hermelinbesetzten Samtumhang. Die Pracht und Macht dieses Amtes lastet sichtbar schwer auf seinen Schultern - zum letzten Mal.
Er hält keine große Ansprache. Es ist nur ein kurzer Gruß an die Kardinäle: "Euer Beistand und Eure Ratschläge haben mir in meinem Amt sehr geholfen. In diesen acht Jahren haben wir im Glauben herrliche Momente strahlenden Lichts durchlebt, und auch einige Momente, in denen sich am Himmel ein paar Wolken gezeigt haben."
Kardinaldekan Angelo Sodano wird am Abend die Leitung des Kardinalskollegiums übernehmen. Er richtet an den scheidenden Papst einen persönlichen Gruß: "Sie sollen wissen, dass unsere Herzen brannten, während wir in den letzten acht Jahren gemeinsam den Weg beschritten. Heute wollen wir noch einmal von ganzem Herzen unsere Dankbarkeit ausdrücken. Im Chor möchten wir Ihnen den ihrer geliebten Heimat üblichen Dank aussprechen: Vergelt's Gott!"
Um die 100 Kardinäle haben sich in der Sala Clementina versammelt. Das sind deutlich mehr als normalerweise in Rom anwesend sind. Es ist nicht ausgeschlossen, dass einer von ihnen Benedikt beerben wird.
Am Ende der kurzen schlichten Zeremonie verabschiedet sich jeder Kardinal persönlich von Benedikt. Die allermeisten tun das für immer. Der Papst hat angekündigt, seinen Lebensabend zurückgezogen von der Welt hinter den Mauern des Vatikanstaats zu verbringen.
Ein Papst, der in die Geschichtsbücher eingehen wird
Soviel ist sicher: Dieser Papst wird in die Geschichtsbücher eingehen, aber anders als er das selbst vermutlich einmal vorgehabt hat. Es ist nicht wegen seiner Enzykliken, seiner Predigten oder seiner Reisen. Dieser eine Satz sichert Papst Benedikt XVI. einen Platz in der Kirchengeschichte: "Im Bewusstsein des Ernstes dieses Aktes erkläre ich daher mit voller Freiheit, auf das Amt des Bischofs von Rom zu verzichten."
Die Rücktrittsankündigung des Papstes überschattet ein Pontifikat, das viele bereits abgehakt hatten. Benedikt, der Glück- und Machtlose. Der Papst wollte sich mit der ultrakonservativen Piusbruderschaft versöhnen und hat deshalb auch die Exkommunikation des Holocaustleugners Richard Williamson aufgehoben. Das war ein grober Schnitzer im vatikanischen Management. Bis heute kommen die Verhandlungen mit den ewig gestrigen Brüdern auf keinen grünen Zweig.
Benedikt müsse dieses undankbare Erbe seinem Nachfolger hinterlassen, sagt Vatikansprecher Federico Lombardi: "Man darf in diesen Tagen nicht mehr mit einem Abschluss der Verhandlungen rechnen, die Sache geht an den neuen Papst."
Dinge, für die er nichts kann
Ein Kurienbischof verrät im Vertrauen: Die Tragik dieses Pontifikats ist, dass Benedikt XVI. Dinge angekreidet werden, für die er gar nichts kann. Ein Beispiel ist der Missbrauchsskandal. Benedikt erlebte die schwerste Krise seiner Amtszeit, als bekannt wurde, wie Geistliche über Jahrzehnte Kinder missbraucht haben und von ihrer Kirche geschützt wurden. Dass Joseph Ratzinger das frühzeitig erkannt und bekämpft hat, sei im Sturm der allgemeinen Entrüstung untergegangen, sagt der ehemalige Chefankläger des Vatikan in Sachen Missbrauch, Charles Scicluna: " Er hat sich in den USA, Australien, Großbritannien und Malta mit den Opfern dieser Plage getroffen und dabei Nähe und bewundernswerte Betroffenheit gezeigt."
Viele Bischöfe wurden wegen ihrer Verstrickung in den Skandal zum Rücktritt gezwungen. Benedikt XVI. hat hart durchgegriffen. Das gilt auch für die skandalöse Vatikanbank - diese wollte Benedikt vom Vorwurf der Geldwäsche endgültig befreien und setzte mit Ettore Gotti Tedeschi einen neuen Präsidenten ein. Der gute Wille war da, sagt der Journalist Gianluigi Nuzzi: "Er hat das sehr gut gemacht. Aber er hat dieses Projekt nicht zu Ende gebracht, weil es verwässert, zerstört, gebremst wurde. Jemand hat gesagt: Gotti Tedeschi liefert die Vatikanbank an die Italienische Nationalbank aus, an die Feinde der Kirche."
Als großer Bremser und Verhinderer im Vatikan gilt Benedikts rechte Hand, der Kardinalstaatssekretär Tarcisio Bertone. Er wird für vieles verantwortlich gemacht, was in den letzten Jahren schief lief.
Kleine Fortschritte in der Ökumene
Ein Theologe aus Deutschland stand an der Spitze der katholischen Kirche. Da haben sich auch viele Hoffnung gemacht auf Fortschritte in der evangelisch-katholischen Ökumene, auch der evangelische Pfarrer in Rom Jens Martin Kruse. "Der hat sicherlich keine großen spektakulären Fortschritte gebracht, aber er hat viele kleine Zeichen und Gesten gesetzt und uns allen Hinweise gegeben, wie die Ökumene weiter wachsen kann", zieht Kruse als Fazit.
Zu den ökumenischen Highlights zählt zum Beispiel ein Besuch des Papstes in der kleinen evangelischen Gemeinde in Rom. Kurienkardinal Zenon Grocholewski behält noch ein anderes Bild in Erinnerung, das des unbequemen Denkers und Theologen auf dem Papstthron: "Er hat sich mit praktisch allen Problemen der Welt auseinandergesetzt, auch auf die Gefahr hin unpopulär zu sein. Er sprach über das Vernünftige der Religion. Er wehrte sich gegen den Relativismus und sprach von einer Diktatur des Relativismus."
Der Kampf gegen den Zeitgeist - auch den wird man möglicherweise eines Tages mit diesem Papst verbinden und nicht nur jenen einen Satz, den er am 11. Februar 2013 gesprochen hat: "Ich verzichte auf das Amt des Bischofs von Rom."