Viele Stimmen für zweites Referendum Eine Petition mit zweifelhaften Zahlen
Sekündlich steigt die Zahl der Menschen, die per Online-Petition fordern, erneut über einen EU-Austritt Großbritanniens abzustimmen. Inzwischen sind es rund vier Millionen. Unterzeichnen dürfen nur britische Staatsbürger oder Menschen, die in Großbritannien leben. Eigentlich.
Von Julia Kuttner, tagesschau.de
Rund vier Millionen Menschen fordern in einer Online-Petition an das britische Parlament, erneut über einen Austritt aus der EU abzustimmen. Es scheint, dass die Zahl derjenigen im Königreich steigt, die einen Brexit doch noch verhindern wollen. Nationale und internationale Medien berichten über den enormen Zulauf zur Petition und werten das als Zeichen dafür, dass viele Briten ihre Entscheidung für den Brexit bereuen.
Doch die Zahlen sind zweifelhaft. Wer bei der Petition unterzeichnen will, muss angeben, entweder britischer Staatsbürger oder Bewohner von Großbritannien zu sein. Doch überprüft wird diese Angabe nirgends. Unterzeichnen kann also jeder - egal, ob Brite oder nicht. Eine gültige E-Mail-Adresse, die Angabe des Landes, einer Postleitzahl und des Namens reicht aus.
Bei einem Test war es problemlos möglich, teilzunehmen - einmal mit Angabe einer Postleitzahl in Hamburg und einmal mit Angabe einer Postleitzahl aus Birmingham. Danach gab es eine E-Mail mit der Bitte, die Adresse zu verifizieren. Auch das war ohne weiteres möglich und die Seite der Petition öffnete sich mit der Nachricht "Wir haben Ihre Stimme zur Petition hinzugefügt." Zweimal - mit der gleichen E-Mail-Adresse.
Unterhaus untersucht verdächtige Unterzeichnungen
Das "House of Commons", das Unterhaus des Parlaments des Vereinigten Königreichs, untersucht inzwischen verdächtige Unterzeichnungen. So wurden zum Beispiel aus dem Vatikan Zehntausende Stimmen registriert, obwohl das Land nur ein paar Hundert Einwohner hat. Zweifelhaft sind auch die mehr als 20.000 Unterzeichnungen aus Nordkorea. Unzweifelhaft falsch abgegebene Stimmen werden entfernt.
Doch werden auch Unterschriften aussortiert, die nicht von britischen Staatsbürgern stammen? Auf eine Anfrage von tagesschau.de reagierte das Unterhaus mit einer vagen Antwort. Man habe Indikatoren, um betrügerische E-Mails zu erkennen und auszusortieren. Eine Antwort auf die Frage, ob überprüft und verifiziert werden kann, ob Unterzeichnungen aus dem Ausland wirklich von britischen Staatsbürgern kommen, gibt es nicht.
Direkte Auswirkungen haben falsch abgegebene Stimmen nicht. Bereits 100.000 Unterstützer reichen aus, damit das Parlament in London eine Debatte "in Betracht ziehen" muss. Ob es wirklich zu einer erneuten Debatte kommt, ist aber noch offen. In der Petition geht es darum, dass es einen neuen Volksentscheid geben soll, wenn die Wahlbeteiligung unter 75 Prozent liegt oder weniger als 60 Prozent der Wähler für oder gegen den Brexit stimmen - beide Bedingungen treffen auf das Ergebnis des Referendums zu.
Eine genaue Zahl, wie viele Briten unterzeichnet haben, gibt es also bislang nicht. Dass es in Großbritannien Unmut über die Zustimmung zum Brexit gibt und dass diese zunimmt, ist zweifelsfrei. Aber man sollte die Online-Petition nicht als Indikator dafür nehmen.