Urteil im Pistorius-Prozess erwartet Mord oder tragischer Irrtum?
Die meisten Südafrikaner haben ihr Urteil über Oscar Pistorius bereits gefällt. Ab heute entscheidet die Richterin, ob der Paralympics-Star des Mordes an seiner Freundin schuldig ist oder nicht. Im Fall einer Verurteilung droht ihm lebenslange Haft.
Journalisten und Kamerateams aus der ganzen Welt belagern das Gerichtsgebäude in Pretoria. Hat Paralympics-Star Oscar Pistorius seine Freundin, das Model Riva Steenkamp, vorsätzlich getötet? Oder aus Versehen, weil er sie für einen Einbrecher hielt? Eine Antwort darauf, was in der Nacht auf den Valentinstag 2013 wirklich passiert ist, hat der Prozess nicht gegeben.
Urteilsverkündung wird sich wohl hinziehen
Nun wartet die Welt auf die Antwort von Richterin Thokozile Masipa. Und das kann dauern. Zu Beginn der Urteilsverkündung wird sie erst noch einmal auf die strittigen Punkte eingehen, erklärt der südafrikanische Strafrechtsexperte Professor Stephen Tuson: "In erster Linie geht es darum, ob Pistorius die Absicht hatte zu töten. Dann wird die Richterin noch einmal auf jeden einzelnen Zeugen eingehen", erörtert Tuson. "Am Ende wird sie erklären, was für sie bewiesen ist - und wie das Urteil lautet: schuldig oder nicht schuldig."
Das kann sogar bis Freitag dauern. Die alles entscheidende Frage ist, ob Pistorius vorsätzlich gehandelt hat. Nein, sagt die Verteidigung - ja, die Anklage.
"Die Anklage begründet den Vorsatz so", sagt Strafrechtsexperte Tuson: "Die beiden haben gestritten. Riva flüchtete ins Bad, daraufhin fasste Oscar den Plan: Ich werde sie töten. Er ging zurück ins Schlafzimmer, holte seine Waffe und schoss", erläutert der Professor die Argumentation der Staatsanwaltschaft. "Und genau darum geht es jetzt: Konnte Pistorius in dieser kurzen Zeit wirklich den Plan fassen, sie zu töten? Ob die Richterin einen Vorsatz sieht oder nicht - keine Ahnung."
Erst das Urteil, danach das Strafmaß
Richterin Masipa hatte während des gesamten Prozesses ein Poker-Face, Regungen zeigt sie nicht. Mit strengem Blick verfolgte sie die Verhandlung - und was sie dann verkündet, ist tatsächlich nur das Urteil, nicht aber das Strafmaß. Sollte Pistorius schuldig gesprochen werden, wegen Mordes oder Totschlags, sei es absolut sicher, dass die Verteidigung alles versuchen werde, um eine möglichst geringe Strafe rauszuschlagen, sagt Tuson. Dazu werde sie Psychologen oder Familienmitglieder als Zeugen aufrufen. "Das heißt, es wird dauern bis zur Verkündigung des Strafmaßes, ich denke, vier bis sechs Wochen."
Der Fall wird also noch weitergehen. Obwohl er für viele Südafrikaner schon entschieden ist. Pistorius war ein Star, ein Held - er hat noch immer seine Fans, die ihn für unschuldig halten. Aber die meisten sehen es so wie dieser Student - Pistorius' Version der Tatnacht ist für ihn unglaubwürdig: "Bei einem Einbruch schaust du doch zuerst nach deiner Familie. Er hat gleich geschossen. Er kommt ins Gefängnis, die Frage ist nur, für wie lang."