Kaczynski und Tusk streiten vor EU-Gipfel Polnische Seifenoper über den Wolken
Verhandeln wollen beide beim EU-Gipfel. Doch Polens Premier Tusk flog allein nach Brüssel und verhinderte, dass die Regierungsmaschine zurückflog, um Präsident Kaczynski abzuholen. Hinter der Flugzeug-Seifenoper steckt ein Kompetenzstreit.
Von Thomas Rautenberg, ARD-Hörfunkstudio Warschau
Bis in die späte Nacht hinein hatten Polens Präsident Lech Kaczynski und Regierungschef Donald Tusk über die Verhandlungsführung auf dem Brüssler EU-Gipfel gestritten. Danach stand fest: Jeder macht seins. Premier Tusk flog bereits gestern nach Brüssel und Präsident Kaczynski wollte ihm heute morgen zum Europäischen Rat folgen.
"Flugzeug-Seifenoper sehr spannend"
Doch die Rechnung hatte der polnische Präsident ohne seinen Regierungschef gemacht. Einmal in Brüssel weigerte sich Tusk, das Regierungsflugzeug nach Warschau zurückzuschicken: "Ich weiß sehr gut, dass diese Flugzeug-Seifenoper sehr spannend ist. Aber hier geht es wirklich um einen ernsthaften Kompetenzstreit." Manchmal müsse auch er eine Entscheidung treffen, die einem die Arbeit auf dem Gipfel ermöglicht.
"Und ich sage ganz brutal: Ich brauche den Herrn Präsidenten hier nicht", sagte der Ministerpräsident. Man könne es sich einfach nicht leisten, bei ohnehin schwierigen Fragen wie dem Klima-Paket, der Finanzkrise oder auch dem Lissabon-Vertrag verschiedene Meinungen innerhalb der eigenen Delegation zu hören.
Streit um Europapolitik
Die Erfahrungen beim Abschluss des Lissaboner EU-Reformvertrags liegen der Tusk-Regierung immer noch schwer im Magen. Präsident Kaczynski hatte damals das Papier höchstpersönlich ausgehandelt und als einen Erfolg seiner Europa-Politik hingestellt. Als er den Reformvertrag jedoch abschließend ratifizieren sollte, weigerte sich der Präsident und brachte damit die polnische Regierung gegenüber der EU in Erklärungsnöte.
Präsident Lech Kaczynski möge seine Kompetenzen nicht andauernd überschreiten, legte ihm sein Amtsvorgänger Lech Walesa ans Herz: "Das ist doch alles albern. Die Regierung mit ihren Experten ist doch auf die Verhandlungen viel besser vorbereitet als der Präsident." Hier gehe es um die Kernkompetenzen einer Regierung. "Der Präsident repräsentiert uns. Aber in Brüssel wird nicht repräsentiert, dort wird hart verhandelt", sagte der Ex-Präsident.
Mehrheit unterstützt Tusk
Dass Präsident Kaczynski schließlich mit einem kurzfristig gemieteten Privatflugzeug nach Brüssel flog, ist der polnischen Öffentlichkeit inzwischen ziemlich egal. Nach einer Umfrage wünschen sich über 60 Prozent der Polen, dass die Tusk-Regierung die Verhandlungen in Brüssel führen soll. Und sogar drei Viertel aller Polen halten den Flugzeugstreit einfach nur für peinlich. Brüssel, so schreibt eine große Zeitung, droht für Polen zu einem Gipfel der Schande zu werden.