Vor Referendum über Flüchtlingspolitik Brüssel und das Nein aus Ungarn
Morgen können die Ungarn darüber abstimmen, ob die EU ohne die Zustimmung ihres Landes Flüchtlinge schicken darf. Was auch immer herauskommt, rechtsbindend wird es kaum sein. Trotzdem wird in Brüssel diskutiert, warum Ungarn dieses Referendum will.
"Wollen Sie, dass die Europäische Union die verpflichtende Ansiedlung von nicht ungarischen Staatsbürgern in Ungarn vorschreiben kann?" Das ist die Frage, die rund acht Millionen Ungarn bei der Volksabstimmung mit "Ja" oder "Nein" beantworten können.
Ungarische Regierung wirbt für "Nein"
"Die Frage ist so formuliert, dass das Ergebnis jedem klar ist", sagt Manfred Weber von der CSU, der Fraktionsvorsitzende der Konservativen im Europaparlament. Er rechnet damit, dass die Mehrheit der Ungarn mit "Nein" stimmen wird. Das Referendum ist allerdings nicht bindend. Es gehe dem rechtspopulistischen Ministerpräsidenten Orbán vielmehr darum, Rückhalt von innen für seine Position nach außen zu bekommen, meint Weber: "Wir wissen um die ungarische Position und wir kennen die Aussagen von Viktor Orbán. Das heißt, es wird nichts Neues dabei herauskommen."
Die ungarische Regierung wirbt schon seit Monaten für ein "Nein" und warnt unter anderem davor, dass mit Flüchtlingen Terroristen ins Land kommen könnten. Darüber hinaus sperrt sie sich dagegen, Muslime aufzunehmen.
Ungarn war dagegen - und wurde überstimmt
Doch warum gibt es eigentlich dieses Referendum? Vor gut einem Jahr hatten die EU-Länder mehrheitlich beschlossen, 160.000 Flüchtlinge, die sich in den Ankunftsländern Italien und Griechenland aufhalten, auf andere EU-Staaten zu verteilen - und zwar mithilfe einer Quote, die die Bevölkerungsgröße und Wirtschaftskraft jedes Landes berücksichtigt. Ungarn muss danach rund 2300 der 160.000 Flüchtlinge bei sich aufnehmen. Das sind nicht einmal 1,5 Prozent der Gesamtzahl.
Zusammen mit drei weiteren osteuropäischen Ländern votierte Ungarn damals gegen die verpflichtende Flüchtlingsquote, wurde aber überstimmt. Die ungarische Antwort: eine Volksabstimmung im eigenen Land und eine Klage vor dem Europäischen Gerichtshof gegen die ungewollte Flüchtlingsquote.
Ein Plakat vor dem Referendum: "Wir wollen nichts riskieren! Stimmen Sie mit Nein!"
Knapp 1,5 Prozent ausländische Staatsbürger in Ungarn
"Aus meiner Sicht gibt es viel Trotz, viel Ungemach", sagt der SPD-Europaabgeordnete Udo Bullmann. Das liege zum einen an der rechtspopulistischen Gesinnung der ungarischen Regierung. Aber auch daran, dass das Land, wie auch andere osteuropäische und baltische Staaten, bislang wenig Kontakt mit Ausländern habe.
In Ungarn zum Beispiel leben gerade einmal knapp 1,5 Prozent ausländische Staatsangehörige. Und damit seien nicht Flüchtlinge gemeint, so Bullmann: "Ich glaube schon, dass es in diesen relativ jungen, wieder selbstständigen Nationalstaaten zu wenig Erfahrung gibt im Umgang mit Internationalität, mit Menschen, die als Migranten in die Länder kommen." Wenn es nach Ministerpräsident Viktor Orbán geht, sollen die Ungarn diese Erfahrung mit Flüchtlingen auch gar nicht erst machen.
Gegen die Zuwanderung von solventen Drittstaatlern scheint die ungarische Regierung dagegen nichts zu haben. Ungarn soll mindestens 5000 Pässe verkauft haben, zum Beispiel an wohlhabende Russen und Chinesen, die damit eine Eintrittskarte in die EU haben, sagt der SPD-Europaabgeordnete Bullmann: "Informationen, die uns von Nichtregierungsorganisationen und von oppositionellen Quellen zugetragen werden, lassen darauf hindeuten, das mindestens das Fünffache an Einwanderung gegen Geld gelaufen ist, gemessen an dem, was an Flüchtlingen im Lande ist."
Was tun mit der Hintertür?
Sollte eine Mehrheit der Ungarn beim Referendum mit "Nein" stimmen, also gegen die Aufnahme von Flüchtlingen, gilt das dann auch für die bereits vereinbarte Flüchtlingsquote vor gut einem Jahr? Nein, sagt Dimitris Avramopoulos, der in der EU-Kommission für Flüchtlinge zuständig ist. Mitgliedstaaten hätten eine rechtliche Verpflichtung, getroffene Entscheidungen auch umzusetzen. Nach dem Verständnis der Brüsseler Behörde könne sich das ungarische Referendum deshalb nur auf künftige EU-Beschlüsse beziehen, so Avramopoulos.
Eine fragwürdige Rechtsauslegung. Doch damit lässt die EU-Kommission der ungarischen Regierung eine Hintertür offen. Sollte Ungarn die vereinbarten 2300 Flüchtlinge nicht aufnehmen, könnte die Kommission rechtliche Schritte gegen das Land einleiten. Nach dem Flüchtlingsreferendum muss Orbán also entscheiden, was er mit der Hintertür macht - auflassen oder zuschlagen.