Homosexualität in Russland Ein Urteil gegen das Schweigen
Seit 2013 muss in Russland gegenüber Minderjährigen über Homosexualität geschwiegen werden. Ein Gesetz, das im Alltag von Schwulen und Lesben die Unsicherheit schürt. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte sieht darin eine klare Diskriminierung.
Ein Abgeordneter aus dem Stadtparlament von St. Petersburg fand es ganz selbstverständlich, dass ein Gesetz Werbung für Homosexualität verbietet: "Ein Kind erfährt psychische Gewalt, wenn es zwei sich küssende Mütter sieht, oder besser gesagt, eine Mutter, die ihre perverse Freundin küsst", sagte Vitalij Milonov. "Oder wenn ein Kind - Gott bewahre - zwei Männer sieht, die sich gegenseitig mit HIV infizieren. Es fällt uns natürlich immer schwer, ein Kind aus der Familie zu nehmen. Aber so ein Kind muss man natürlich retten."
Ein Tabuthema - in den Medien, im Alltag
Das russische Gesetz von 2013 verbietet positive, ja sogar neutrale Aussagen über Homosexualität in Anwesenheit von Minderjährigen oder in den Medien. Bei einem Verstoß können Strafen von umgerechnet bis zu 2500 Euro verhängt werden.
Medienanstalten müssen sogar mit einer Schließung von bis zu drei Monaten rechnen. Und Ausländer, die sich nicht an die Regelungen halten, können bis zu 15 Tage festgenommen und des Landes verwiesen werden.
Es ist ein Gesetz, das Homosexuelle im Alltag sehr unter Druck setzt, wie es ein junger Mann namens Andrej beschreibt: "Ich würde sagen, seit dem Gesetz haben alle mehr Angst. Ich fahre in der Metro und ich bin mir nicht sicher, wie lange ich meinen Freund verliebt angucken kann, welche Worte ich ihm sagen kann und welche nicht, weil Fremde zuhören." Paare, die früher in der Öffentlichkeit Hand in Hand geschlendert seien, überlegten sich das jetzt vermutlich zweimal, sagt Andrej weiter.
EGMR sieht Verstoß gegen Meinungsfreiheit
Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) hat die gesetzlichen Regeln in Russland jetzt klar verurteilt: Sie diskriminierten und verletzten die Meinungsfreiheit. Die russische Regierung habe nicht nachweisen können, dass Demonstrationen von Homosexuellen das Leben der traditionellen Familien irgendwie beeinträchtigen würden.
Die Richter sagen: Es gibt einen klaren europäischen Konsens, dass jeder das Recht hat, sich zu einer sexuellen Orientierung zu bekennen. Die russische Regierung habe ebenso nicht nachweisen können, dass Minderjährige von Homosexuellen beeinflusst würden oder von ihnen zu einem bestimmten Lebensstil verleitet werden könnten. Im Übrigen sei der Wortlaut der Regelungen sehr unbestimmt. Es bestünde daher die Gefahr, dass sie missbraucht würden. Insgesamt würden damit Vorurteile und Stigmatisierung verstärkt.
Stellt Russland Urteil nochmals auf den Prüfstand?
Die drei klagenden russischen Homosexuellen sollen wegen ihrer Verfolgung jetzt bis zu 20.000 Euro Entschädigung erhalten. Ob sie das Geld wirklich bekommen, ist aber noch nicht sicher. Denn die Urteile des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte können seit 2015 vom russischen Verfassungsgericht noch mal überprüft werden. Das heißt, Russland behält sich vor, Entscheidungen aus Straßburg einfach nicht zu folgen.