Sacharow-Preis für zwei Jesidinnen Sie kämpfen für die Zurückgelassenen
Sie wurden vom IS im Irak versklavt und misshandelt - doch gebrochen sind sie nicht: Die beiden Jesidinnen Nadia Murad und Lamia Adschi Baschar setzen sich seit ihrer Flucht für die rund 3000 Frauen ein, die noch immer in der Gewalt des IS sind. Dafür erhalten sie nun den Sacharow-Preis.
Im August 2014 waren Nadia Murad und Lamia Adschi Baschar von IS-Kämpfern verschleppt, versklavt und wiederholt vergewaltigt worden. Erst Monate später gelang ihnen die Flucht. Inzwischen leben die beiden in Deutschland und setzen sich vor allem für die etwa 3000 Frauen ein, die noch immer in der Gewalt der Terrorgruppe sind. Für ihren Einsatz verleiht das EU-Parlament den beiden Frauen nun den diesjährigen Sacharow-Preis.
Murad und Baschar verbinde eine "schmerzliche und tragische Geschichte", sagte Parlamentspräsident Martin Schulz in Straßburg. Beide Frauen hätten um ihr Überleben gekämpft, um später gegen die Straflosigkeit der Täter anzugehen, sagte Schulz:
Der Mut, für den diese beiden Frauen stehen, und die Würde, die sie repräsentieren, sind unbeschreiblich. Sie haben gekämpft, weil sie das Gefühl hatten, überleben zu müssen und überleben zu wollen. Weil sie den Eindruck hatten, es sei ihre Pflicht, zu überleben und zu kämpfen für die, die sie zurücklassen mussten.
Heute seien sie starke Fürsprecherinnen für den Schutz von Opfern sexueller Gewalt und für den Kampf gegen die Versklavung durch den "Islamischen Staat". Sie setzten sich für ihre Glaubensgenossen der Jesiden ein, aber darüber hinaus für zahllose andere Opfer des Menschenhandels. In Europa sollten genau diese Grundwerte verteidigt werden. Es sei wichtig, dass Murad und Baschar vom Europaparlament geehrt werden, "denn damit zeigen wir, dass ihr Kampf nicht vergeblich war", sagte Schulz.
Überfallen und versklavt
Murad und Baschar stammen aus dem Irak. Im August 2014 überfiel der IS ihren Heimatort und massakrierte die männlichen Bewohner, wie das EU-Parlament mitteilte. Die Frauen und Kinder des Ortes wurden versklavt, wiederholt verkauft und als Sexsklavinnen ausgebeutet und missbraucht. Murad gelang Ende 2014 die Flucht, später gelangte sie weiter nach Deutschland. Sie kam nach Baden-Württemberg, das in einem Sonderprogramm etwa 1000 IS-Opfer aufnahm, vor allem Jesidinnen. Im September 2016 wurde die 23-Jährige zur Sonderbotschafterin der Vereinten Nationen für die Würde der Überlebenden des Menschenhandels. Seitdem beteiligt sie sich an globalen und lokalen Initiativen.
Sie hatte erst kürzlich auch den Vaclav-Havel-Preis für Menschenrechte des Europarates erhalten. Bei der Preisverleihung im Oktober hatte sie in Straßburg ein internationales Tribunal zu den IS-Verbrechen gefordert. Die Jesiden seien Opfer eines Völkermordes. "Doch die freie Welt reagiert nicht", kritisierte Murad. Von den UN wurden die Entführungen, Versklavungen und Vergewaltigungen von Jesiden durch die IS-Miliz als "versuchter Genozid" verurteilt.
Baschar unternahm mehrere Fluchtversuche, bevor sie entkommen konnte, wie das Parlament erklärte. Auf der Flucht sei sie durch eine Tretmine verletzt worden und nahezu völlig erblindet. Seit ihrer Genesung engagiere sie sich in Aufklärungskampagnen, um auf das Schicksal der Jesiden hinzuweisen. Ferner helfe sie Frauen und Kindern, die Opfer des IS geworden sind.
Preis ist mit 50.000 Euro dotiert
Der Sacharow-Preis wird den beiden Frauen Mitte Dezember bei einer feierlichen Zeremonie überreicht. Er ist mit 50.000 Euro dotiert und ist benannt nach dem früheren russischen Physiker und Dissidenten Andrej Sacharow.
Mit dem Preis zeichnet das Europaparlament seit 1988 jedes Jahr Menschen und Organisationen aus, die sich weltweit in besonderer Weise für Menschenrechte eingesetzt haben. Im vergangenen Jahr hatte der zu Haft und Peitschenhieben verurteilte saudi-arabische Blogger Raif Badawi die Auszeichnung erhalten.
Mit Informationen von Karin Bensch, ARD-Studio Brüssel