Wahl in Spanien "Das rechte Projekt ist nur vorerst gescheitert"
Die Rechtspopulisten haben in Spanien stark zugelegt, die frühere Regierungspartei PP massiv verloren. Warum das "rechte Projekt" nur vorerst gescheitert ist, erklärt Experte Günther Maihold im Interview mit tagesschau.de.
tagesschau.de: Sind die Rechtspopulisten die heimlichen Gewinner dieser Parlamentswahlen?
Günther Maihold: Das wäre eine etwas gewaltsame Interpretation des Ergebnisses. Man muss doch feststellen, dass eine Mehrheit im Land sich für eine linke Regierung ausgesprochen und Pedro Sánchez einen klaren Regierungsauftrag erhalten hat. Für die Volkspartei PP, die quasi die Hälfte ihrer Sitze verloren hat, ist es eine klare Schlappe. Und die rechtspopulistische Vox blieb doch erheblich hinter den prognostizierten Prozenten zurück. Insofern ist das rechte Projekt zunächst mal gescheitert.
Günther Maihold ist stellvertretender Direktor der Stiftung Wissenschaft und Politik und Experte für Spanien und Lateinamerika. Von 1999 bis 2005 hat er das Ibero-Amerikanische Institut in Berlin geleitet.
"PP war nicht mehr glaubwürdig"
tagesschau.de: Was hat die konservative Volkspartei PP selbst dazu beigetragen, dass insbesondere die rechtspopulistische Vox vergleichsweise stark wurde?
Maihold: Dazu muss man erstmal sagen, dass der Ursprung von Vox ja eigentlich in der PP liegt. Sehr viele führende Politiker der PP sind zu Vox abgewandert und damit hat sich gleichzeitig eine gewisse Abspaltung der Wählerschaft vollzogen. Vielen Wählern war die PP nicht mehr konservativ genug und sie suchten eine Option, die sehr viel deutlicher die Positionen der Einheit Spaniens und der Ablehnung von Migration zum Ausdruck bringt.
Die Konsequenz war, dass die PP sich in einer ausweglosen Situation befand. Rückt sie - wie jetzt vor der Wahl - weiter nach rechts, gewinnt sie zwar vielleicht einen Teil der Vox-Sympathisanten. Auf der anderen Seite hat sie dadurch eben Wähler in der Mitte an Ciudadanos verloren.
tagesschau.de: Hat die PP sich auch dadurch geschadet, dass sie im Wahlkampf so stark auf rechte Rhetorik setzte?
Maihold: Das ist sicherlich ein Faktor, dass sie ihren Diskurs so verschärft hat und damit natürlich in gewissem Umfang auch nicht mehr glaubwürdig war. Auf der anderen Seite hat sie auch noch eine massive Verjüngung ihrer gesamten Kandidatenliste betrieben. Circa 80 Prozent aller bisherigen Abgeordneten wurden aussortiert, was natürlich auch dazu führte, dass für die Wähler traditionelle Bezugspunkte in der Partei verloren gingen.
"Vox ist anders als andere rechte Parteien"
tagesschau.de: Zeigt sich hier einmal mehr, dass das Umschwenken auf rechte Rhetorik, wie es im spanischen Wahlkampf die konservativen Parteien taten, am Ende nur den Rechten hilft?
Maihold: Das ist eine schwierige Frage, weil wir es bei Vox mit einer Partei zu tun haben, die sehr speziell ist. Sie bezieht sich noch stark auf die Moralvorstellungen der katholischen Kirche, sie repräsentiert teilweise noch das Erbe von Franco, sie will den Stierkampf hochleben lassen. Das ist eine andere Art von rechter Partei als die, die es in anderen Ländern gibt. Und worin sie sich ebenfalls unterscheidet: Sie wendet sich nicht gegen Europa. Im Gegenteil. Sie stützt die Europäische Union, wenn auch mit gewissen nationalen Untertönen.
"Alte Wunden wurden aufgerissen"
tagesschau.de: Welche Rolle spielt das Erbe der Franco-Diktatur bei diesem Wahlergebnis?
Maihold: Durch die Initiative von Pedro Sánchez, die sterblichen Überreste von Franco umbetten zu wollen, sind alte Loyalitäten und Identifikationen wieder hochgekommen. Gleiches gilt auch für die Beseitigung von Standbildern auf den Straßen Spaniens. In rechten Kreisen sieht man darin noch immer ein Symbol der nationalen Einheit.
So wurden alte Wunden wieder aufgerissen und haben es gerade Vox ermöglicht, hier symbolisch anzuknüpfen und die Frage der Bewertung der Vergangenheit und insbesondere die Bedrohung der nationalen Einheit Spaniens sehr viel stärker in den öffentlichen Fokus zu rücken.
tagesschau.de: Warum hat die PP hingegen - als Partei, die sich ja stark aus dem Franquisten-Lager speiste - davon gar nicht profitiert?
Maihold: Die Partei hat ihre Integrationsfunktion für das christdemokratische und konservative Lager verloren, das auch Positionen von Franco-Anhängern mit eingebunden hat. Und Vox konnte mit seiner klaren Abgrenzung gegenüber den "seichten" Volksparteien in diese Lücke springen.
"Polarisierung durch Katalonien-Frage"
tagesschau.de: Was sind weitere Ursachen für den Erfolg der Rechtspopulisten?
Maihold: Es fand eine starke Polarisierung und Emotionalisierung im Wahlkampf durch die Katalonien-Frage statt. Für das rechte Lager ist jeder Dialog mit den Basken oder mit den Katalanen, die sich ja für Unabhängigkeit aussprechen, ein Verrat. Und Sánchez war auf die katalanische Regionalregierung zugegangen. Da wurde dann mit heftigen Worten von Putschisten und Terroristen gesprochen. Dadurch sind neue Spaltungen und Grabenkämpfe entstanden, die den Konsens im Land sehr schwierig machen und extreme Positionen befördern.
tagesschau.de: Wieso ist Vox andererseits nicht so stark wie beispielsweise die AfD in Deutschland, Fidesz in Ungarn oder die FPÖ in Österreich?
Maihold: In Spanien treten diese Tendenzen verzögert auf, weil sich das Zweiparteiensystem doch recht lang gehalten hat. Nicht zuletzt auch durch dieses System der Minderheitsregierungen der vergangenen Jahre. Aber wir sollten uns nicht täuschen lassen: Das war eine Parlamentswahl. In vier Wochen werden in Spanien gleichzeitig mit den Europawahlen auch Kommunalwahlen stattfinden und da Vox wohl eine sehr viel stärkere Rolle spielen.
Das Interview führte Sandra Stalinski, tagesschau.de