Angriff auf Syrien Viele Raketen, einige Widersprüche
Etwa 100 Raketen haben amerikanische, britische und französische Schiffe und Flugzeuge auf Ziele in Syrien abgeschossen. War der Angriff effektiv? Und was wusste Russland vorab? tagesschau.de mit Antworten.
Was wurde angegriffen?
In den frühen Morgenstunden haben die USA, Großbritannien und Frankreich gemeinsam mehrere Ziele in Syrien angegriffen. Die Regierungen in Washington und London sprachen jeweils von Präzisionsschlägen.
Nach bestätigten Angaben wurde ein Forschungszentrum in Barsah, nördlich von Damaskus, sowie eine mutmaßliche Lagerstätte für chemische Waffen sowie eine Kommandoeinrichtung in Schien, westlich von Homs, bombardiert. Die französische Armee sprach ebenfalls von drei Zielen, bezeichnete diese allerdings als das Haupt-Forschungszentrum des Chemiewaffenprogramms sowie zwei wichtige Produktionsstätten. "Das Ziel ist einfach: das Regime daran hindern, erneut Chemiewaffen einzusetzen", machte die französische Verteidigungsministerin Florence Parly deutlich.
Ziel sei das Chemiewaffenprogramm Syriens gewesen, so die französische Verteidigungsministerin Parly.
US-Generalstabschef Joseph Dunford betonte, dass die Ziele so ausgewählt worden seien, dass russische Streitkräfte in Syrien nicht betroffen waren. Dies bestätigte die Regierung in Moskau. Die russischen Streitkräfte unterhalten in Tartus einen Marinestützpunkt und in Hmeimim einen Stützpunkt für die Luftwaffe. Außerdem sind Militärberater zusammen mit syrischen Verbänden eingesetzt.
Wie wird der Angriff begründet?
Am 7. April soll die syrische Armee in der Stadt Duma in der Region Ost-Ghouta Chemiewaffen gegen die Zivilbevölkerung eingesetzt haben. Damit begründen die USA, Frankreich und Großbritannien ihren Angriff. Er verfüge über "verlässliche Informationen", dass die syrische Staatsführung hinter dem mutmaßlichen Chemiewaffeneinsatz stecke, sagte Frankreichs Außenminister Jean-Yves Le Drian.
Die Vereinten Nationen sprachen in Duma von mutmaßlich 49 Getöteten und Hunderten Verletzten. UN-Mitarbeiter in Syrien konnten die Berichte über einen Chemiewaffenangriff aber bislang nicht unabhängig bestätigen. Der freie Zugang für internationale Helfer oder Journalisten ist nicht möglich.
Chemiewaffen-Experten der OPCW wollen ab heute vor Ort Ermittlungen zu dem mutmaßlichen Chemiewaffenangriff beginnen. Dies soll trotz des Raketenangriffs weitergehen. Sie haben keinen Auftrag dafür, die Verantwortlichen zu ermitteln.
Was wurde gegen die Ziele in Syrien eingesetzt?
Nachdem die USA im vergangenen Jahr noch allein einen syrischen Luftwaffenstützpunkt mit Marschflugkörpern beschossen hatten, waren an diesem Angriff auch britische und französische Einheiten beteiligt.
Nach russischen und syrischen Angaben sollen mehr als 100 Raketen gegen die Ziele in Syrien eingesetzt worden sein. Dies deckt sich mit Andeutungen des US-Militärs. Laut US-Verteidigungsminister James Mattis wurden etwa doppelt so viele Flugkörper abgefeuert wie vor einem Jahr - damals waren zwischen 50 und 60 "Tomahawks" gestartet worden.
Neben Kriegsschiffen im Mittelmeer wurden dieses Mal auch vier britische "Tornado"-Kampfflugzeuge sowie französische "Mirage" und "Rafale"-Jets eingesetzt. Die USA feuerten nach eigenen Angaben von vierstrahligen B-1-Bombern Marschflugkörper ab.
Waren die Angriffe effektiv?
Das Chemiewaffen-Arsenal Syriens sei zum großen Teil zerstört worden - das teilte zumindest die französische Regierung mit. Der britische Verteidigungsminister Gavin Williamson lobte den Raketenangriff bereits als "sehr erfolgreich", ähnlich Äußerungen gibt es aus dem Pentagon. Die syrische Darstellung ist ganz anders. Die Luftverteidung habe die meisten Marschflugkörper abgeschossen, teilte ein Armeesprecher im staatlichen Fernsehen mit. Ein Geschoss habe das wissenschaftliche Forschungszentrum in Barse bei Damaskus getroffen und dabei ein Gebäude beschädigt.
Die russische Armee macht noch genauere Angaben: 71 von 103 Raketen seien von den Syrern abgeschossen worden, die mit Abwehrsystem aus russischer Produktion ausgerüstet sind. Von den zwölf Marschflugkörpern, die auf einen Militärflughafen nahe Damaskus gezielt hätten, seien sogar alle abgeschossen worden, teilte das Verteidigungsministerium in Moskau mit.
Russland hat moderne Flugabwehrsysteme zum Schutz der eigenen Basen in Syrien stationiert, die nach Angaben aus Moskau aber nicht eingesetzt wurden. Es seien keine Raketen der USA und ihrer Verbündeten in den "Verantwortungsbereich" der russischen Luftabwehr an den Stützpunkten Tartus und Hmeimim eingedrungen.
Durch Radaranlagen am Boden und Aufklärungsflugzeuge mit ähnlichen Fähigkeiten wie die AWACS-Maschinen der NATO wird die russische Armee detailliert über die Situation informiert gewesen sein.
Sowohl für die USA als auch für Russland ist die Effektivität der Angriffe eine Prestigefrage. US-Präsident Donald Trump hatte am Mittwoch in einem Tweet über die "neuen und intelligenten US-Raketen" geschwärmt und angedeutet, dass Russland diesen nicht gewachsen sein würde.
Die Effektivität der Angriffe ist auch deshalb zweifelhaft, weil die syrische Armee mehrere Tage Zeit hatte, sich darauf vorzubereiten. Es ist deshalb vorstellbar, dass wichtige Computer, Unterlagen und anderes Inventar aus dem Forschungszentrum entfernt wurde. Außerdem wurde die Luftabwehr in Alarmbereitschaft in versetzt.
Was wusste Russland von den Angriffen?
Es gibt widersprüchliche Aussagen darüber, ob Russland vorab über den Angriff informiert wurde. Frankreichs Verteidigungsministerin Parly betonte, ihr Land sei nicht auf Konfrontation aus, deshalb seien die Russen vor der Intervention gewarnt worden. Es soll auch ein Telefonat des französischen Präsidenten Emmanuel Macron mit seinem russischen Amtskollegen Wladimir Putin am Freitagabend stattgefunden haben. Dabei sollen nach Informationen der Nachrichtenagentur Reuters die Angriffe nicht angekündigt worden sein.
Auch US-Generalstabschef Dunford betonte, die USA hätten den Angriff nicht mit Russland koordiniert. Es habe lediglich Kommunikation über den regulären Kanal zwischen dem russischen und amerikanischem Militär zur Vermeidung von Zwischenfällen gegeben. Details nannte er nicht.
Gab es Tote und Verletzte?
Nach syrischer Darstellung wurden in der Provinz Homs drei Zivilisten verletzt, Tote habe es keine gegeben.
Alle eingesetzten Kampfflugzeuge sollen unbeschädigt zu ihren Basen zurückgekehrt sein.
Wie reagierten andere Staaten auf die Angriffe?
Mehrere EU-Staaten, darunter Deutschland, haben die Angriffe als angemessen bezeichnet. Auch die syrischen Nachbarstaaten Türkei und Israel begrüßten das Bombardement.
Dagegen kam scharfe Kritik von der russischen und der iranischen Regierung, die enge Verbündete Syriens sind. Der russische Präsident Wladimir Putin forderte eine Krisensitzung des UN-Sicherheitsrates. Der Angriff der USA und ihrer Verbündeten werde die humanitäre Katastrophe in Syrien verschärfen, erklärte er.
Die Regierung in Teheran verurteilte die Luft- und Raketenangriffe. Der Iran verurteile jeglichen Einsatz von chemischen Waffen. Das Thema hätte aber nicht als Vorwand für Angriffe auf einen Mitgliedsstaat der Vereinten Nationen benutzt werden sollen, teilte das Außenministerium der Nachrichtenagentur Isna zufolge mit.
Zur Situation in Syrien sendet das Erste heute um 20.15 Uhr einen "Brennpunkt"