SWP-Experte zur US-Strategie Syrien-Lösung "wohl auf dem Schlachtfeld"
Die Außenminister der USA, Russlands, Saudi-Arabiens und der Türkei treffen sich erneut, um über einen Ausweg aus dem Syrien-Konflikt zu beraten. Erstmals sitzt der Iran mit am Tisch. Der Islamwissenschaftler Steinberg von der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) glaubt nicht an eine diplomatische Lösung. Er fürchtet vielmehr, dass "der Krieg noch sehr lange dauern und am Boden entschieden wird".
tagesschau.de: Bislang hieß der Grundsatz der US-Regierung: Keine Beteiligung des Iran an den internationalen Krisengesprächen. Was hat Washington nun dazu bewegt umzudenken?
Guido Steinberg: Das Assad-Regime ist nicht nur von Russland abhängig, sondern vor allem vom Iran. Die iranischen Militärberater haben zusammen mit den schiitischen Milizen aus dem Libanon, dem Irak und Afghanistan ganz entscheidend dazu beigetragen, dass das Assad-Regime sich der Aufständischen immer noch erwehren kann. Insofern ist es nur eine Frage der Anerkennung der Realitäten, dass die US-Regierung bei der Suche nach einer Lösung auch mit den Iranern spricht. Sie sind militärisch der wichtigere Verbündete als Russland.
Guido Steinberg ist promovierter Islamwissenschaftler und Mitarbeiter der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP). Von 2002 bis 2005 war er Terrorismusreferent im Bundeskanzleramt. Er forscht vor allem zu den Ländern des Nahen und Mittleren Ostens und hat mehrere Bücher über Al Kaida veröffentlicht.
tagesschau.de: Warum laden die Amerikaner dann den Iran erst jetzt zu den Gesprächen ein?
Steinberg: Sie stehen unter Druck. Ihr mächtiger Verbündeter Saudi-Arabien will an einer Lösung für Syrien beteiligt werden. Saudi-Arabien hat sich immer ganz entschieden dagegen ausgesprochen, dass die Iraner daran teilhaben. Diese Position lässt sich aus der Faktenlage nicht rechtfertigen, weil man die Iraner ganz einfach braucht für eine Lösung. Dieser Widerstand war wahrscheinlich bisher der Grund, weshalb die Iraner nicht mit am Tisch saßen. Aber die Situation vor Ort hat sich zugespitzt, auch wegen der russischen Militärintervention.
tagesschau.de: Der iranische Außenminister hat bereits sein Erscheinen zugesagt. Hatten Sie Zweifel daran?
Steinberg: Nein. Die Iraner versuchen, im Anschluss an das Atomprogramm wieder hoffähig zu werden. Sie nutzen jede Gelegenheit, als wichtiger Akteur aufzutreten. Insofern ist die Einladung für die iranische Führung ein Erfolg. Der Iran hat ein direktes Interesse daran, dass das Assad-Regime sich halten kann. Nun will er diplomatisch dazu beizutragen, dass das auch passiert.
"Die Situation wird sich wohl auf dem Schlachtfeld klären"
tagesschau.de: Die Positionen haben sich aber nicht geändert: Die USA wollen eine Zukunft Syriens ohne Assad, der Iran hingegen ist einer der engsten Verbündeten des Regimes in Damaskus. Spekulieren die USA darauf, dass der Iran nachgeben wird? Oder sind sie bereit, ihre Haltung zu Assad zu ändern?
Steinberg: Ich fürchte, das die Positionen, gerade was Assad angeht, zu weit auseinanderliegen, als dass es zu einer Übereinkunft kommen könnte. Die Situation wird sich wohl auf dem Schlachtfeld klären. Es kommt nun auf die Bodentruppen des Assad-Regimes an - und die sind sehr, sehr geschwächt. Russland interveniert mit einer sehr geringen Zahl von Kampfflugzeugen und schickt nicht das allerneueste Militärgerät. Die erste Euphorie nach der russischen Intervention wird schnell verflogen sein, weil die Aufständischen immer noch stark sind. Das Assad-Regime hat sich etwas stabilisiert, aber seine Truppen sind zu schwach, um offensiv erfolgreich zu sein.
tagesschau.de: Das heißt, es gibt am Ende keine diplomatische Lösung, sondern nur eine militärische?
Steinberg: Ich glaube nicht daran, dass sich die Beteiligten auf eine Lösung werden einigen können. Der Krieg wird noch lange andauern, und er wird am Boden entschieden. Das große Problem des Assad-Regimes ist die Rekrutierung neuer Soldaten. Die Aufständischen sind uneinig, von außen fehlt Unterstützung. Das sind Voraussetzungen, die lange und blutige Kämpfe erwarten lassen.
"Keine große Bodenoffensive"
tagesschau.de: Die USA erwägen, auch Spezialkräfte am Boden einzusetzen. Welche Konsequenzen wird das haben?
Steinberg: Die Luftangriffe der USA waren und sind nicht sehr intensiv. Sie haben nur dafür gesorgt, dass der IS im Großen und Ganzen gestoppt wurde, aber sie haben ihn nicht zurückdrängen können. Nun werden sie öfter Spezialkräfte entsenden, um punktuell Kommandozentralen, Trainingslager und einzelne Führer des IS zu bekämpfen. Das halte ich noch nicht für eine große qualitative Veränderung. Es ist keine große Bodenoffensive.
tagesschau.de: Aber wie genau könnte diese aussehen?
Steinberg: Das Modell haben wir schon bei der Gefangenenbefreiung im irakischen Hawija vor einigen Tagen gesehen. Die USA kooperieren mit lokalen Verbündeten, also irakischen oder syrischen Kurden. Es sind Einsätze mit einer sehr begrenzten Zahl von Spezialkräften und Fallschirmjägern. So wollen sie den IS noch nachhaltiger schwächen, als das bis jetzt der Fall war. Die Amerikaner versuchen, diese Einsätze vom Geschehen im Westen Syriens, also vom russischen Vorgehen, von dem der Zentralregierung und von dem der Rebellen im Nordwesten zu isolieren. Sie bekämpfen nur den IS und ziehen so die Konsequenz daraus, dass sie für Rest-Syrien kein Konzept und dort auch kaum Einfluss haben.
"Ein Ausweis der Ratlosigkeit"
tagesschau.de: Wenn nun Russland als Reaktion auch Bodentruppen schicken sollte - könnte es nicht passieren, dass sich plötzlich russische und amerikanische Soldaten gegenüberstehen und für unterschiedliche Lager sind?
Steinberg: Ich denke, dass die Russen und die Amerikaner sehr genau darauf achten werden, dass ihre gleichzeitige Präsenz in Syrien nicht zu einem Zusammenstoß führt. Die Amerikaner kämpfen nur gegen den IS und greifen nicht im Westen des Landes ein. Die Russen greifen fast ausschließlich die Rebellen im Zentrum und Nordwesten an. In gewisser Weise nehmen die Amerikaner und Russen die in Zukunft sehr wahrscheinliche Aufspaltung des Landes vorweg.
Fahne der Terrormiliz "Islamischer Staat": USA fokussieren sich auf den Kampf gegen die Dschihadisten
tagesschau.de: Warum fokussieren sich die USA auf den IS? Weil es der einzige gemeinsame Feind von allen Parteien ist und man dabei keinem auf die Füße tritt?
Steinberg: Es ist ein Ausweis der Ratlosigkeit darüber, was mit Assad eigentlich geschehen soll und wie die Zukunft des Teils Syriens angeht, der vom Regime kontrolliert wird. 2011 haben die USA gefordert, dass Assad und sein Regime gehen müssen. Im Laufe der Zeit sind sie aufgrund des Erstarkens der Islamisten von diesem Ziel abgerückt. 2014 haben sie dann deutlich gemacht, dass sie keinen Sturz des Regimes und damit eine mögliche Machtübernahme durch islamistische Rebellen wollen. Deshalb konzentrieren sie sich auf den IS.
tagesschau.de: Was erwarten sie von den Gesprächen am Freitag?
Steinberg: Ich erwarte keine Ergebnisse, die die Situation vor Ort in irgendeiner Weise verändern.
"Syrien wird es in seiner bisherigen Form nicht mehr geben"
tagesschau.de: Sie geben einer diplomatischen Lösung keine Chance?
Steinberg: Ich bin sehr skeptisch, dass das gelingen kann. Das ist allerdings kein Argument dafür, es nicht zu versuchen. Europäer, Amerikaner und vor allem die syrischen Bürger haben ein ganz großes Interesse daran, dass der Teil des Landes, der jetzt noch unter der Kontrolle des Regimes ist, stabilisiert und nicht auch noch in den Bürgerkrieg hineingezogen wird. Die meisten großen Städte des Landes werden ja immer noch vom Regime kontrolliert. Wir dürfen nicht vergessen, dass die Leute dort zwar eher schlecht als recht, aber eben doch noch leben können. Das gilt für Damaskus, Hama, Homs, Latakia und Tartus und sogar noch den Westen von Aleppo. Deswegen haben wir auch kein Interesse daran, dass Assad mit militärischen Mitteln gestürzt wird. Wir müssen zumindest versuchen, durch Verhandlungen eine Lösung herbeizuführen.
tagesschau.de: Mal angenommen, eine diplomatische Lösung gelänge und man einigt sich darauf, dass Assad gehen muss. Wäre das der Durchbruch?
Steinberg: Nein, denn es könnte auch sein, dass der syrische Staat ohne Assad vollkommen zusammenbricht. Ein Erfolg bei Verhandlungen muss nicht bedeuten, dass damit der Bürgerkrieg beendet ist. Außerdem würde eine Verhandlungslösung auch nur für den Teil des Landes gelten, der noch vom Regime kontrolliert wird. Man hätte noch keine Lösung für die Gebiete, in denen die Aufständischen stehen, keine Lösung für die kurdischen Gebiete und keine Lösung für die Regionen, die vom IS kontrolliert werden. Syrien wird in seiner bisherigen Form jedenfalls nicht fortbestehen.
Das Interview führte Friederike Ott, tagesschau.de