EU-UN-Konferenz Hunger - Syriens größter Feind
Vertreter von EU und UN beraten auf einer Konferenz über Hilfen für die syrische Bevölkerung. Die Corona-Krise hat deren Lage verschlimmert: Millionen Menschen leiden Hunger und sind auf der Flucht.
Der Kameramann kann das Gesicht kaum ausleuchten, so dunkel ist das Verlies, in dem Abu Ahmad Zuflucht gesucht hat - irgendwo in der nordsyrischen Provinz Idlib.
"Wir sind von den Bombardements vertrieben worden. Als wir in die Provinz Idlib kamen, haben wir keinen anderen Ort gefunden", sagt er. "Also sind wir in dieses verlassene Gefängnis gezogen, auch wenn es kaum zu bewohnen ist. 75 Familien sind hier, drei in jedem Raum."
Mangelnde medizinische Versorgung
So wie Abu Ahmad sind innerhalb Syriens fast sechseinhalb Millionen Menschen auf der Flucht im eigenen Land. Sie sind geflohen vor Kämpfen, Bombardements, Verschleppung. Krieg. Dabei stoßen sie auf mangelnde medizinische Versorgung und ein darniederliegendes Bildungssystem.
Doch wo immer sie untergekommen sind - ob bei Freunden oder Verwandten, in Zeltlagern oder in verlassenen Gefängnissen -, ihr größter Feind ist momentan der Hunger.
Mitarbeiter des Welternährungsprogramms der Vereinten Nationen (WFP) verteilen Grundnahrungsmittel im Norden Syriens. Derzeit sind annähernd zehn Millionen Menschen von solchen Lieferungen abhängig.
Familien können kein Essen mehr kaufen
Corinna Fleischer, die Direktorin des Programms in Syrien, erläutert: "Die Lebensmittelpreise waren während der neun Jahre Krieg nie höher. Leute sagen uns, dass sie es sich nicht mehr leisten können, Essen auf den Märkten zu kaufen. Sie müssen warten, bis die Preise sinken. Stellen Sie sich vor: Eltern können es sich nicht mehr leisten, ihre Kinder zu ernähren."
Ein grausamer Mix aus Krieg, wirtschaftlichem Stillstand und jetzt Covid-19-Lockdown-Maßnahmen hat die Lebensmittelpreise in Syrien innerhalb eines Jahres um 200 Prozent gesteigert.
Demonstrationen gegen Führung
In einem Teil des Landes, der bisher mehr oder weniger zu Präsident Baschar al-Assad stand, kam es deshalb kürzlich sogar zu Demonstrationen gegen die Führung in Damaskus. Die Slogans erinnern an 2011, als es erste Proteste in Syrien gab: "Das Volk will den Sturz des Systems!" Und: "Revolution!"
Die Situation in Syrien wurde jüngst noch schlimmer: Ein neues Gesetz der USA, der Ceasar Act, droht Personen und Firmen, die mit Syriens Regierung Geschäfte machen, mit Strafen. Die Erfahrung lehrt allerdings, dass Sanktionen selten diejenigen trifft, die sie treffen sollen, sondern vor allem die Bevölkerung. Und das, obwohl heute schon 80 Prozent der Syrer an oder unterhalb der Armutsgrenze leben.
UN-Ernährungsprogramm in Gefahr
Das Welternährungsprogramm der UN hat von der Weltgemeinschaft dringend 200 Millionen US-Dollar erbeten, um bis zum Jahresende allein die Lebensmittelhilfen für das Land sicherstellen zu können. Wenn das Geld bis August nicht zusammenkommt, müssen die Rationen ab Oktober gekürzt werden.
Der stellvertretende Syrien-Direktor der Hilfsorganisation CARE, Tue Jakobsen, hat deshalb drei Forderungen, die er auch an die Teilnehmer der Syrien-Konferenz in Brüssel richtet. "Der UN-Sicherheitsrat diskutiert derzeit, ob die Hilfslieferungen eingestellt werden sollen. CARE ruft den UN-Sicherheitsrat dazu auf, die UN-Hilfsaktionen fortzusetzen und zu steigern", so Jakobsen.
"Außerdem müssen die Bedürfnisse von Frauen und Mädchen beachtet werden. Konflikt und wirtschaftliche Krise treffen Frauen und Mädchen besonders hart. Und schließlich ruft CARE alle Konfliktparteien dazu auf, einen Waffenstillstand in Kraft zu setzen. Und politische Lösungen zu finden, die den Konflikt beenden."