EU-Kommissar Timmermans Sorge um Polen und Ungarn
Bis zum Start der neuen EU-Kommission ist Frans Timmermans zuständig für Rechtsstaatlichkeit. Im Interview mit dem ARD-Studio Brüssel blickt er zurück auf seine Auseinandersetzung mit Polen und Ungarn.
In den 15 Jahren nach der EU-Erweiterung haben sich Ungarn und Polen enorm verändert: Wirtschaftlich läuft es gut, aber die Regierungen sind auf Distanz mit Brüssel. Am Dienstag wird ein weiteres Urteil des Europäischen Gerichtshofes gegen Polen erwartet. Schon einmal widersprach das europäische Gericht Teilen der polnischen Justizreformen. "Ich glaube, diese polnische Regierung setzt weiter auf die Kontrolle der Richter", so Frans Timmermans. "Es gibt noch immer diese Ideologie, die besagt: Wenn wir die Macht haben, dann müssen auch die Richter machen, was wir wollen."
Sorgt sich um Polen und Ungarn: EU-Kommissar Frans Timmermans
Artikel 7 und die Kraft des Verfahrens
Vor zwei Jahren setzte die Europäische Kommission gegen Polen erstmals ein Vertragsverletzungsverfahren nach Artikel 7 zur Einhaltung der gemeinsamen europäischen Werte in Kraft. Ein langwieriges Verfahren, das vielerorts als stumpfe Waffe kritisiert wurde. "Die Kraft des Verfahrens ist, dass man einen Mitgliedsstaat zum Dialog mit anderen Mitgliedstaaten über die Lage im Lande zwingt", erklärt Timmermans. "Die Schwierigkeit ist aber, dass der Mitgliedstaat sich angegriffen fühlt."
Die Regierungspartei PiS legte in Polen bei der letzten Wahl noch einmal zu und erreichte 43,6 Prozent der Stimmen. Nicht ganz so viel wie erwartet, aber das Land bleibt gespalten. Sollte Warschau im Streit mit der EU nicht einlenken, könnte Polen sogar der Entzug der Stimmrechte im Europäischen Rat drohen. Allerdings müsste das einstimmig beschlossen werden und Ungarn hat schon länger sein Veto angekündigt.
Hoffen auf die Bevölkerung. Anders als ihre Regierung seien die Bürger in Polen und Ungarn in der Mehrheit europafreundlich, sagt Timmermans.
Ungarn anders als Polen
Während es im Fall Polens die EU-Kommission war, die Artikel 7 aktivierte, war es bei Ungarn das Europaparlament mit Unterstützung der EU-Kommission. Gemeinsam sei beiden osteuropäischen Staaten der Gedanke: Wenn wir eine Wahl gewinnen, beherrschen wir den ganzen Staat, sagt Timmermans. Aber es gebe in Ungarn - anders als in Polen - viel größere Probleme bei der akademischen Freiheit und der Pressefreiheit. "Dass man sich über Ungarn Sorgen machen muss, das ist klar", sagt der Niederländer. Aber Ungarn habe sich bislang am Ende immer an Kritik angepasst. "Das ist die Methode von Ministerpräsident Orban. Er macht viel Lärm. Aber wenn er korrigiert wird vom Europäischen Gerichtshof, dann akzeptiert er das."
Optimistisch ist Timmermans trotzdem - eben weil es sowohl in Polen als auch in Ungarn in der Bevöllkerung eine hohe Zustimmung zur EU gibt. Daraus ergebe sich eine paradoxe Situation. Die Regierung liege mit Brüssel über Kreuz, "zugleich sagt die Gesellschaft: 'Nein, wir gehören dazu. Wir wollen nicht raus.' Solange diese massive Unterstützung bei der Bevölkerung da ist, bin ich zuversichtlich". Aber die müsse auch klarstellen: "Wenn man zu der Familie gehört, dann gibt's auch Regeln", sagt Timmermans.