Reportage

Türkische Kinder und Jugendliche Corona-Hausarrest und kein Ende

Stand: 20.04.2020 10:48 Uhr

Um die Ausbreitung des Coronavirus zu vermeiden, müssen Kinder und Jugendliche in der Türkei seit Wochen zu Hause bleiben. Das zehrt an den unfreiwilligen Stubenhockern - und macht kreativ.

"Lass uns spazieren gehen!" - diesen Satz können sich Eltern in der Türkei sparen. Denn alle, die jünger als 20 Jahre alt sind, haben seit Wochen Hausarrest. Sie dürfen nicht vor die Tür, noch nicht einmal, um kurz um den Block zu gehen. Damit geht die Türkei einen Sonderweg. Einen kompletten Shutdown für alle gibt es bis jetzt nur an den Wochenenden. Die neuen Highlights der Kinder in Istanbul sind Indoor-Basketball und der Blick auf den Bosporus vom Balkon aus.

Umzug zu den Großeltern

Der kleine Doruk ist mit seiner Mutter vor ein paar Wochen zu seinen Großeltern gezogen, um sie zu verpflegen. Denn kurz zuvor hatte die türkische Regierung entschieden, dass alle über 65 das Haus nicht mehr verlassen dürfen. Damit war klar: Auch der Achtjährige darf nicht mehr raus, um das Virus nicht zu seinen Großeltern zu tragen.

Dabei ist er so gerne draußen: "Früher bin ich zum Basketball-Training gegangen. Jetzt versuche ich, zu Hause Basketball zu spielen und die Übungen zu machen", sagt er. Doruk hat einen kleinen Indoor-Basketball-Korb, an dem er übt, und einen Mini-Heimtrainer. Aber das ist nicht dasselbe. "Ich möchte rausgehen und Eis essen, mit meinen Freunden draußen spielen. Ich vermisse meine Freunde", sagt er.

Das Tablet als Fenster zur Welt

Aras geht es ähnlich. Er ist neun Jahre alt, lebt wie Doruk in Istanbul und ist auch seit Wochen unter staatlichem Hausarrest: "In den ersten Tagen der Quarantäne habe ich meine Klassenkameraden sehr vermisst, auch meine Schule und unsere Klassenlehrerin", sagt er. "Aber in der zweiten oder dritten Woche, da hat unsere Klassenlehrerin mit dem Online-Unterricht angefangen, wo wir alle zugeschaltet sind. Wir haben eine App geladen. Jetzt kann ich meine Freunde alle sehen und auch mit ihnen reden."

Aras hebt den Finger, um sich zu melden, als wäre er im Klassenzimmer. Am Anfang lief das mit dem Online-Unterricht noch nicht so rund mit den 24 Drittklässlern, die alle zugeschaltet sind. Aber jetzt hat die Lehrerin Disziplin reingekriegt.

Sein Tablet ist für den kleinen Aras sein Fenster zur Welt. Denn so richtig viel Abwechslung gibt es einfach nicht in der Wohnung: "Zuhause gucke ich Fernsehen, spiele hin und wieder mit meinem Tablet Computerspiele, ich lese Bücher und verbringe Zeit mit meinen Eltern, spiele mit meinen Spielsachen. Ich hüpfe, ich esse und trinke", sagt er. 

Jetzt sitzt er allerdings gerade am Tisch und schneidet aus einem bunten Stück Papier Formen aus. Dabei schaut er Schulfernsehen. Diesmal ist Bastelstunde angesagt. Mit seinen neun Jahren hat er nicht gleich verstanden, was Corona ist, erzählt er: "Ich habe zuerst gedacht, das Coronavirus wäre ein Computervirus, als ich bei meiner Oma davon im Fernsehen gehört habe", sagt er. "Dann hat meine Oma mir erklärt, dass es ein Krankheitsvirus ist. Das hat mir ein bisschen Angst gemacht. Ich weiß, was Bakterien sind. Aber ich habe nicht gewusst, dass ein Virus krank machen kann. Ich habe nur Viren auf dem Computer gekannt."

Blog gegen die Langeweile

Joshi sitzt auf dem Balkon und schaut auf den Bosporus - eines der wenigen Highlights in diesen Tagen. Der 14-Jährige lebt seit ein paar Jahren mit seinen Eltern und den beiden Geschwistern in Istanbul. Ein Schulkamerad ist mit seinen Eltern nach Deutschland zurück, als Corona ausbrach. Der darf noch raus, hat er erzählt.

Auch Joshi hat einen Heimtrainer und Online-Unterricht. Außerdem schreibt einen Blog, normalerweise über seine Reisen. Jetzt geht’s auch um Corona, das von Touristen überschwemmte Istanbul vor der Krise und die menschenleeren Gassen jetzt, die er von einem Fenster aus sehen kann.

Er wird nachdenklich. Seine Großeltern leben in Deutschland. Wann er zu ihnen reisen kann, wann er überhaupt erstmal wieder vor die Türe darf - das weiß im Moment keiner.

"Bleib zuhause!"

Bei dem kleinen Doruk hat seine Freundin Duru angerufen - natürlich per Video. Das lenkt ab. Denn für ihn ist eines besonders schlimm: "Meinen Vater nicht umarmen zu können", sagt er. "Meine Mutter sagt, er könnte ein Virusträger sein. Wenn er uns was zu essen bringt, kann ich ihn deshalb nicht umarmen."

Doruk hat in der Schule Deutsch. Und einen wichtigen Satz hat er sich schon gemerkt, der für die Kinder und Jugendlichen in der Türkei in diesen Tagen insbesondere gilt: "Bleib zuhause!"

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete Deutschlandfunk am 20. April 2020 um 06:15 Uhr.