Regierung plant Gesetzesänderung Droht türkischen Straßenhunden bald der Tod?
In der Türkei gehören Straßenhunde zum Stadtbild. Doch die Regierung findet, es gibt zu viele Streuner. Sie will herrenlose Tiere, die nicht vermittelt werden können, einschläfern. Tierschützer und viele Türken sind empört.
Das Vorhaben der türkischen Regierung, Straßenhunde, die sich nicht vermitteln lassen, zu töten, ist umstritten wie selten eines. Angeblich hat auch die Frau von Präsident Recep Tayyip Erdogan mäßigend auf ihren Mann einzuwirken versucht. Der scheint jedoch entschlossen. Erdogan glaubt, die große Mehrheit im Land hinter sich zu haben.
Doch in der Türkei protestieren auch Tausende Menschen lautstark gegen das geplante Gesetz: "Hört nicht auf, sondern werdet aktiv, um die blutigen, lebensfeindlichen Pläne zu verhindern, wonach Tiere getötet werden sollen", ruft ein Sprecher auf einer Kundgebung in Istanbul.
Die Türkei ist ein Tollwut-Hotspot
Vier Millionen streunende Hunde gibt es nach Schätzungen in der Türkei. Die meisten tun niemandem etwas zuleide. Doch immer wieder greifen Hunde auch Menschen an. Dazu kommt die Tollwut: Die Weltgesundheitsorganisation zählt die Türkei zu den Hochrisikogebieten.
Präsident Erdogan spricht von einer immer größeren Gefahr, die von Tollwut ausgehe. Schon früher wollte die Regierung eine Kampagne zur Sterilisation von Straßenhunden starten. Aber sie war untätig, empört sich die Abgeordnete der linksgerichteten Partei TIP, Sera Kadigil, auf einer Kundgebung: "Sie haben kein Geld bereitgestellt. Sie haben nichts getan. Jetzt sagen sie: 'Wir werden töten.' Du kannst nicht töten, Freundchen. Wir werden es nicht zulassen."
Ein Straßenhund steht in einem Park vor der Blaue Moschee in Istanbul.
Erdogan will, dass Tierfreunde sich kümmern
Von einfach Töten oder gar Abschlachten könne keine Rede sein, hält Erdogan entgegen. Es habe sich jedoch in anderen Ländern gezeigt, dass Sterilisation nicht ausreiche, um die Zahl der streunenden Hunde spürbar zu verringern.
Seine Regierung wolle sie zunächst in Tierheime bringen lassen. Sie zu töten werde dann gar nicht nötig: "Wir wollen, dass alle Tiere in den Tierheimen adoptiert werden. Wir glauben, dass vor allem unsere Tierliebhaber mehr Verantwortung übernehmen werden, indem sie die Hunde aus den Tierheimen zu sich nehmen."
"Die sollen sie in Ruhe lassen"
Er spielt den Ball sozusagen zurück an Hundefreundinnen und Hundefreunde. Davon gibt es in der Türkei viele. Zufällig ausgewählte Menschen auf der Straße sagen etwa: "Jetzt gehen sie gegen eine wehrlose Gruppe vor: Tiere. Die Regierung will ihre Klientel bedienen und die Bürger gegen die oppositionellen Stadtverwaltungen aufhetzen", sagt eine Frau.
Sie, die Regierung, wolle polarisieren und die Gesellschaft spalten. "Hunde sind gut, die sollen sie in Ruhe lassen", sagt die Frau und schlägt vor: "Sie sollen sie gegen Tollwut impfen und wieder freilassen."
Ein Hund in einem Istanbuler Tierheim: Die Türkei ringt um den Umgang mit Straßenhunden.
"Straßenhunde sind unkontrollierbare Tiere"
Andere sehen in den vielen streunenden Hunden dagegen sehr wohl ein Problem. Und zwar eines, das man endlich lösen müsse: "Hunde können locker mal eine ältere Person zu Boden zerren und zerfleischen", sagt ein Mann. "Das kann alles passieren. Straßenhunde sind unkontrollierbare Tiere - das ist nicht gesund. Das weiß doch jeder."
Manchmal sehe er kleine Schüler, die von streunenden Hunden attackiert werden. "Wir greifen ein, wenn wir das sehen, aber es wäre besser, es würde erst gar nicht dazu kommen", sagt er.
Die Tierärzte wollen gesunde Hunde nicht töten
Nach einer Umfrage im Auftrag der Regierung wollen vier von fünf Befragten streunende Hunde einschläfern lassen - es sei denn, sie sind vermittelbar. Tierärzte im Land sind strikt dagegen, gesunde Hunde zu töten.
Und auch der Tierschutzverband Haytap wendet sich dagegen. Nicht nur aus Tierliebe - Verbandspräsident Kemal Senpolat argumentiert im Interview mit dem ARD-Studio Istanbul auch mit Kosten: "Wenn Sie es richtig machen wollen, ist das, was Sie Euthanasie nennen, zwei- bis dreimal so teuer wie eine normale Sterilisation", sagt Senpolat.
"Richtig" bedeute mit geschultem Personal, Tierärzten und vernünftigen Medikamenten. In der Türkei dagegen, befürchtet Senpolat, würden Hunde lebendig in Gruben gestoßen und zugeschüttet. Die Lösung sieht er in einer Sterilisationskampagne, durchgeführt von Fachleuten.
Verkauf ins Ausland als Geschäftsmodell
Diese Fachleute müssten dann auch die Wurzel des Problems angehen - die Hundezucht: "In der Türkei ist es nicht wie in Europa", sagt Senpolat. "Es gibt leider vor allem in ländlichen Gebieten Hundezuchtbetriebe. Und die Dorfbewohner wollen nicht, dass die Tiere kastriert werden." Die Züchter wollen ihre Hunde ins Ausland verkaufen. Doch oft haben sie weniger Kunden als Welpen. Die verwildern dann und sorgen für weiteren Nachwuchs.
Was genau nun passieren wird, ist noch unklar. Aber die Regierung scheint entschlossen, dass etwas passieren muss.