Türkische Offensive in Syrien USA rufen zur Zurückhaltung auf
Die USA sind über die Offensive des türkischen Militärs gegen die kurdische YPG im Norden Syriens besorgt. Außenminister Tillerson vermied direkte Kritik - genauso wie die Bundesregierung.
Die USA haben ihre Sorge über den türkischen Einsatz gegen die Kurden im Norden Syriens zum Ausdruck gebracht. "Wir sind besorgt", sagte Außenminister Rex Tillerson laut einer Mitteilung, die der Nachrichtenagentur Reuters vorlag. Die USA würden das legitime Anliegen der Türkei anerkennen, "seine Bürger vor terroristischen Elementen zu schützen". Sie riefen beide Seiten jedoch zur Zurückhaltung auf.
Offene Kritik bleibt aus
Direkte Kritik an der Türkei vermied Tillerson jedoch - genauso wie Deutschland. Bundesaußenminister Sigmar Gabriel drückte in einem Telefongespräch mit seinem türkischen Amtskollegen Mevlüt Cavusoglu ebenfalls Sorge über die Eskalation der Lage und den möglichen Auswirkungen auf die Zivilbevölkerung aus. Das Auswärtige Amt teilte mit, beide Politiker seien sich einig gewesen, den politischen Prozess für Syrien intensiv weiterzuführen.
Zuvor hatte Außenamtssprecherin Maria Adebah erklärt, die Bundesregierung habe kein vollständiges Lagebild und könne das türkische Vorgehen völkerrechtlich daher nicht einordnen.
Die Türkei selbst berufe sich gegenüber den UN auf ihr Selbstverteidigungsrecht. Man müsse einerseits die Sicherheitsinteressen der Regierung in Ankara berücksichtigen, sagte Adebahr. Andererseits bedeute weitere Gewalt für die Menschen in Syrien keine Verbesserung, sondern eine Verschlimmerung ihrer Lage.
Über all diese Fakten werde der UN-Sicherheitsrat mit den Beteiligten sprechen. "Das ist eine Debatte, die wir ganz sicher unterstützen", so die Sprecherin.
Mehr Kampfpanzer als die Bundeswehr
Berichte über den Einsatz von Deutschland an die Türkei gelieferter Leopard-2-Panzer in Syrien bestätigte die Bundesregierung nicht. "Außer den Bildern aus den Medien, die Sie alle kennen, haben wir keine eigenen Erkenntnisse über den Einsatz von Leopard-Panzern", sagte der Sprecher des Verteidigungsministeriums, Holger Neumann.
Der NATO-Partner Türkei hatte Neumann zufolge in den 80er- und 90er-Jahren 397 Leopard-1-Panzer bekommen. Von 2006 bis 2011 habe die Türkei dann noch 354 Leopard-2-Panzer erhalten. Die Türkei verfügt damit über mehr Kampfpanzer als die Bundeswehr.
Die oppositionsnahe Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte (Syrian Observatory for Human Rights, SOHR) sitzt in Großbritannien und will Menschenrechtsverletzungen in Syrien dokumentieren. Sie bezeichnet sich als unabhängig. Die Informationen der Beobachtungsstelle lassen sich nicht unabhängig überprüfen.
Unterschiedliche Interessen
Die Regierung in Ankara hatte Washington nach Angaben von US-Verteidigungsminister Jim Mattis vorab über die Offensive gegen die Kurdenmiliz YPG in Nordsyrien informiert. "Die Türkei war ehrlich", sagte Mattis. "Sie haben uns gewarnt, bevor sie die Luftangriffe starteten, und sie haben gesagt, dass sie es in Absprache mit uns tun."
Die USA unterstützen die syrische Kurden-Miliz YPG, die sich als eine der erfolgreichsten Gruppen im Kampf gegen die Terrormiliz "Islamischer Staat" (IS) erwiesen hat. Die Türkei hingegen stuft sie als verlängerten Arm der als Terrororganisation verbotenen Kurdenorganisation PKK ein.
Für Verärgerung in Ankara sorgte deshalb die Entscheidung der USA, eine 30.000 Mann starke Grenzschutztruppe in Nordsyrien aufzubauen, an der die YPG maßgeblich beteiligt sein würde.
Gegenoffensive der Kurden
Am Samstag hatte das türkische Militär eine Offensive gegen Stellungen der YPG in Afrin im Norden Syriens unweit der türkischen Grenze begonnen. Nun drängte die kurdische Miliz türkische Soldaten und syrische Verbündete offenbar in heftigen Gefechten aus zwei von ihnen eingenommenen Dörfern zurück. Die YPG meldete, die türkischen Kräfte aus den beiden Dörfern Schinkal und Adah Manli verdrängt zu haben, die sie am Vortag in Afrin eingenommen hätten. Die Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte bestätigte kurdische Angaben, nach denen die YPG eine heftige Gegenoffensive geführt habe.
Die Kämpfer seien an mehreren Fronten im Nordwesten und Osten der kurdisch kontrollierten Enklave vorgerückt, hieß es. Dort werde weiter heftig gekämpft. Sechs pro-türkische Rebellen, die an der "Operation Olivenzweig" beteiligt waren, wurden einem kurdischen Sprecher zufolge getötet.
Zwei Stellungen der YPG zerstört
Die amtliche türkische Nachrichtenagentur Anadolu berichtete hingegen unter Berufung auf die Armee, dass in der Nacht zu Montag zwei Stellungen der YPG zerstört worden seien, von denen Raketen auf die türkische Grenzstadt Reyhanli abgeschossen worden seien.
Bei dem Raketenbeschuss waren ein Mensch getötet und 46 weitere verletzt worden. Laut Anadolu besetzten die türkischen Truppen elf Stellungen, die zuvor von YPG-Kämpfern geräumt worden waren. Bei der türkischen Offensive mit Panzern und protürkische Rebellenkämpfern der Freien Syrischen Armee (FSA) wurden offenbar 18 Zivilisten getötet, darunter Frauen und Kinder. Das sagte ein Sprecher der Syrischen Demokratischen Streitkräfte (SDF), berichtete Reuters.
UN-Sicherheitsrat befasst sich mit Lage
Der UN-Sicherheitsrat wird sich in einer Dringlichkeitssitzung mit der Lage in Syrien beschäftigen. Der französische Außenminister Jean-Yves Le Drian hatte auf Twitter mitgeteilt, dass sein Land nach dem Beginn der Militäroperation ein Treffen des Gremiums gefordert habe.
Auch andere Länder haben sich beim Treffen der EU-Außenminister beunruhigt über die Militäroffensive gezeigt. "Wir sehen das mit großer Sorge", sagte der deutsche Staatsminister im Auswärtigen Amt, Michael Roth. "Wir können hier keine Eskalation gebrauchen." Auch er rief alle Beteiligten zur Mäßigung auf.
Vorwürfe aus Moskau
Der russische Außenminister Sergej Lawrow warf den USA vor, durch einseitiges Vorgehen in Syrien und im Iran die Türkei wütend gemacht zu haben. US-Außenminister Tillerson hatte gesagt, dass vor allem die Situation unschuldiger Zivilisten Anlass zur Sorge gebe. Die Sicherheitsbedenken der Türkei seien ernst zu nehmen.
In der Türkei wurden unterdessen mindestens 24 Menschen wegen "Terrorpropaganda" zugunsten kurdischer Gruppen festgenommen. Die Verdächtigen sollen in den sozialen Medien die YPG unterstützt haben, teilte die die amtliche Nachrichtenagentur Anadolu mit.