Kämpfe in Nordsyrien Die Sorge vor dem NATO-Bündnisfall
Die türkischen Angriffe auf Syrien sorgen weiter für Kritik. Doch was passiert im Fall von Gegenangriffen? Tritt dann der NATO-Bündnisfall ein? Ein Spitzenpolitiker warnt vor der Gefahr, während Präsident Erdogan Öl ins Feuer gießt.
Wie geht die NATO mit der Militäroffensive der Türkei in Syrien um? Die Frage ist knifflig und beschäftigt heute auch die EU-Außenminister auf ihrem Treffen in Luxemburg.
Denn: Viele Staaten - darunter auch Deutschland - sehen die türkische Offensive auf Kurdengebiete in Nordsyrien kritisch. Doch die Türkei gibt sich unnachgiebig und überhört die Appelle der NATO-Partner. Man bekämpfe eine "Terrororganisation", heißt es von der türkischen Regierung. Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan warf der NATO vor, die Türkei nicht ausreichend zu unterstützten. "Ist dies so, weil die Türkei das einzige Land in der NATO ist, dessen Einwohner Muslime sind?", fragte er.
Der türkische Außenminister Mevlüt Cavusoglu drohte im Interview der Deutschen Welle erneut damit, Millionen syrische Flüchtlinge aus der Türkei über die Grenze nach Europa zu lassen: "Natürlich liegt diese Option auf dem Tisch."
"Ziemlich außerirdisch, was dort geschieht"
Doch was passiert, wenn die syrische Armee mit Militärangriffen auf die türkische Offensive reagiert? Strenggenommen müsste dann der Bündnisfall ausgerufen werden. Dieser wird in Artikel 5 des Nordatlantik-Vertrags beschrieben. Darin heißt es: Ein Angriff auf ein NATO-Land ist als Angriff auf alle NATO-Staaten zu verstehen. Bisher passierte dies überhaupt erst ein einziges Mal - nach den Anschlägen vom 11. September 2001 in den USA.
Luxemburgs Außenminister Jean Asselborn warnt vor einer weiteren Eskalation.
Angesichts der Eskalation in Nordsyriern warnte Luxemburgs Außenminister Jean Asselborn nun davor, dass weitere Länder in einen Krieg hineingezogen werden könnten. "Für mich ist das ziemlich außerirdisch, was dort geschieht", sagte Asselborn dem BR. "Stellen Sie sich vor, Syrien oder Alliierte von Syrien schlagen zurück und greifen die Türkei an", sagte Asselborn. "Auf Deutsch heißt das, dass alle NATO-Länder, wenn die Türkei angegriffen würde, dann einspringen müssten, um der Türkei zu helfen. Darum sage ich außerirdisch."
Der sogenannte NATO-Bündnisfall nach einem Angriff auf ein Mitglied der Militärallianz wird in Artikel 5 geregelt. Er lautet:
"Die Parteien vereinbaren, dass ein bewaffneter Angriff gegen eine oder mehrere von ihnen in Europa oder Nordamerika als ein Angriff gegen sie alle angesehen wird; sie vereinbaren daher, dass im Falle eines solchen bewaffneten Angriffs jede von ihnen in Ausübung des in Artikel 51 der Satzung der Vereinten Nationen anerkannten Rechts der individuellen oder kollektiven Selbstverteidigung der Partei oder den Parteien, die angegriffen werden, Beistand leistet, indem jede von ihnen unverzüglich für sich und im Zusammenwirken mit den anderen Parteien die Maßnahmen, einschließlich der Anwendung von Waffengewalt, trifft, die sie für erforderlich erachtet, um die Sicherheit des nordatlantischen Gebiets wiederherzustellen und zu erhalten.
Von jedem bewaffneten Angriff und allen daraufhin getroffenen Gegenmaßnahmen ist unverzüglich dem Sicherheitsrat Mitteilung zu machen. Die Maßnahmen sind einzustellen, sobald der Sicherheitsrat diejenigen Schritte unternommen hat, die notwendig sind, um den internationalen Frieden und die internationale Sicherheit wiederherzustellen und zu erhalten."
EU-Diplomaten sehen Sanktionen skeptisch
Auch Asselborn hält das Handeln der Türkei für falsch und nannte es ein "Verbrechen". Gleichzeitig äußerte er die Hoffnung, den Bündnisfall verhindern zu können.
Die EU-Außenminister rief er auf, keine Waffen mehr an die Türkei zu liefern. "Was mich positiv stimmt, ist, dass Deutschland, Frankreich, Niederlande, Finnland und Schweden das schon gesagt haben", sagte Asselborn. "Aber Sie wissen auch, dass Erdogan die Waffen nicht aus Europa bezieht. Er hat andere Quellen, um sich für diese Operation Waffen zu beschaffen." US-Präsident Donald Trump behält sich Sanktionen ebenfalls vor.
Dass es schnell eine EU-Entscheidung in Richtung Sanktionen geben wird, gilt allerdings als unwahrscheinlich. Diplomaten in Brüssel verweisen darauf, dass die Türkei noch immer NATO-Partei sei und bei der Bewältigung der Flüchtlingskrise als Partner gebraucht werde. Zudem gibt es die große Hürde, dass EU-Sanktionen einstimmig beschlossen werden müssten. Als wahrscheinlich gilt deswegen, dass die EU-Staaten vorerst jeweils selber entscheiden müssen, ob sie einen Waffenexportstopp oder andere Strafmaßnahmen verhängen.
Kurden für NATO-Ausschluss
Ausschluss statt Sanktionen - das fordern dagegen die Kurden. Der Beirat der Kurdischen Gemeinde Deutschland (KGD) hält einen NATO-Ausschluss der Türkei für gerechtfertigt. Hannovers früherer Oberbürgermeister Herbert Schmalstieg sagte als Sprecher des KGD-Beirats: "Diese Türkei hat in der NATO nichts zu suchen. Ein Mitglied der NATO, das einen Angriffskrieg führt, gehört ausgeschlossen."