Türken strömen an die Wahlurnen 50 Millionen Stimmen für die Demokratie
Das Land gespalten, der Krieg vor der Tür, die Wirtschaft am Boden - der Türkei geht es schlecht wie lange nicht. Von Demokratieverdruss war bei der heutigen Parlamentswahl trotzdem nichts zu spüren. Ganz im Gegenteil.
Rund 54 Millionen Menschen waren heute in der Türkei zum Urnengang gerufen. Im Osten des Landes hatten die Wahllokale bereits seit 7:00 Uhr geöffnet, weil es dort früh dunkel wird. "Wir durchleben ungewöhnliche Zeiten. Deshalb habe ich für Frieden und Demokratie gestimmt", sagt der Wähler Ahmet Durak in einem Wahllokal in Diyarbakir im Südosten des Landes
Hier, im kurdisch geprägten Teil des Landes, ist die linksliberale prokurdische HDP zur bestimmenden Kraft avanciert - auch wenn die Partei mit enormem Widerstand zu kämpfen hat. Hunderte HDP-Büro wurden während des Wahlkampfes von türkischen Nationalisten angegriffen, sogar die HDP-Zentrale in Ankara steckte man in Brand. "Genau deshalb gehe ich wählen", erklärt Mehmet Zeki, auch er ein Bürger von Diyarbakir. "Wir wählen wieder, weil wir die Demokratie verbessern wollen. Ich hoffe auf ein gutes Ergebnis mit positiver Wirkung für den Frieden."
Der innere Frieden - darum geht es vielen Wählern zuallererst
In der Türkei herrschen heftige Spannungen. Im Südosten ist das besonders zu spüren, aber längst auch im Rest des Landes. Ende Juli hatten die türkische Führung und die von Ankara als Terrororganisation bezeichnete kurdische PKK ihren Waffenstillstand aufgekündigt.
Seitdem hat es Hunderte Tote gegeben - wobei unklar und umstritten ist, inwieweit die PKK dahinter steckt. Schrecklicher Höhepunkt des Wahlkampfs war der Terroranschlag von Ankara. 102 Menschen wurden getötet. Ausgerechnet während einer Friedensdemonstration.
Der innere Frieden ist eines der wichtigsten Themen bei dieser Wahl. "Aber es gibt noch andere Felder, die bestellt werden müssen", meint Yurdum Binak, ein Wähler in Istanbul. "Ein gute Wirtschaft, ein verbessertes Gesundheitswesen, bessere Bildung - das sind meine Erwartungen an die künftige Regierung", sagt Binak.
"Unsere Kinder sollen Hoffnung haben"
Tatsächlich lahmt die Wirtschaft, die Arbeitslosigkeit steigt, die Währung schwächelt. Die Konfrontationspolitik der vergangenen Monate hat dem Land in jeder Hinsicht geschadet. "Ich hoffe sehr, dass die Wahl dem Land gut tut. Unsere Kinder sollen Hoffnung und Zukunftsträume haben. Damit sollen sie aufwachsen", sagt Ömer Binayman.
Er hat seine Stimme in Ankara abgegeben, begleitet von seinem Sohn. Es ist der vierte Urnengang binnen 18 Monaten und die zweite Parlamentswahl in diesem Jahr. Von Wahlmüdigkeit kann aber keine Rede sein. Umfragen gehen von einer Wahlbeteiligung von bis zu 90 Prozent aus.
Bewahrheiten sich die Vorhersagen der Demoskopen, dann dürften sich die Kräfteverhältnisse im Parlament nicht wesentlich ändern. Die AKP bliebe mit Abstand stärkste Kraft, würde aber die absolute Mehrheit verpassen, weil die prokurdische HDP wohl erneut den Sprung über die Zehn-Prozent-Hürde schaffen dürfte. Die letzten Wahllokale schlossen um 17 Uhr Ortszeit. Mit ersten Hochrechnungen ist gegen 18 Uhr deutscher Zeit zu rechnen.