Nach der "Jasmin-Revolution" Tunesien kann auf Europäische Union zählen
Noch trauern die Tunesier um die Toten ihrer - wie sie den Volksaufstand nennen - "Jasmin-Revolution". Ihr Blick richtet sich aber auch nach vorn. Bei den anstehenden Wahlen kann das Land mit der Hilfe der EU rechnen. Auch für den Übergang zur Demokratie sicherte die Union Unterstützung zu.
Die Europäische Union will Tunesien beim Aufbau einer Demokratie mit konkreten Maßnahmen unterstützen. "Die EU arbeitet derzeit an verschiedenen Maßnahmen, die Tunesien beim Übergang zu einer Demokratie helfen und zugleich die sozialen Probleme im Land lindern sollen. Dazu gehören die Unterstützung von Wahlen, finanzielle Zusammenarbeit und die Förderung einer unabhängigen Justiz", sagte die EU-Außenbeauftragte Catherine Ashton der "Welt am Sonntag".
Die EU müsse jetzt helfen, eine neue Demokratie in Tunesien zu gestalten, die die Fehler der Vergangenheit korrigiere. "Tunesien hat einen Punkt erreicht, von dem es kein Zurück mehr gibt", fügte sie hinzu. Zugleich forderte die EU-Chefdiplomatin, die Oppositionspolitiker in der Übergangsregierung ausreichend zu berücksichtigen: "Die neue Regierung in Tunesien muss so umfassend wie möglich sein und der Opposition eine klare Rolle geben und ihr eine deutliche Stimme verleihen." Wichtig sei, dass es zu einem friedlichen Übergang zur Demokratie komme.
Ashton betonte, Europa begrüße die angekündigten Pläne zur Meinungs- und Versammlungsfreiheit. "Auch die Einrichtung von Kommissionen zur Erarbeitung politischer Reformen und zur Untersuchung der Ereignisse der vergangenen Wochen und der Korruption sind positiv", so Ashton.
Erst vor wenigen Tagen hatte das Europaparlament über die Lage nach dem Volksaufstand in Tunesien debattiert. Dabei kam auch zur Sprache, dass die EU jahrelang das Regime von Ex-Präsident Zine el Abidine Ben Ali unterstützt hatte und nicht die Opposition.
Ghannouchi: Rückzug nach der Wahl
Indes erklärte der tunesische Übergangsregierungschef Mohammed Ghannouchi, dass er sich nach den Wahlen aus der Politik verabschieden will. "Auch wenn mir die Kandidatur angeboten werden sollte, werde ich mich nach der Übergangsphase zurückziehen", sagte er in einem Freitagabend im tunesischen Fernsehen ausgestrahlten Interview. "Wir haben genug fähige und kompetente Leute." Die Übergangsphase werde "mit demokratischen und transparenten Wahlen" zu Ende gehen, fügte er hinzu.
Ghannouchi, der seit 1999 Ministerpräsident ist und ein enger Weggefährte Ben Alis war, kündigte außerdem an, noch während der Übergangsphase "sämtliche undemokratische Gesetze abzuschaffen", die unter dem früheren Regime eingeführt wurden. Er nahm damit Bezug sowohl auf Wahl- als auch auf Antiterror- und Mediengesetze, die noch unter dem mittlerweile gestürzten Präsidenten Ben Ali eingeführt wurden.
Flaggen auf Halbmast
Ghannouchi und seine Übergangsregierung sahen sich am Freitag erneut Protesten ausgesetzt, die aber friedlich blieben. In Tunis gingen wieder mehrere tausend Menschen auf die Straße, um für eine völlige Zerschlagung des alten Machtapparats zu demonstrieren. Selbst tausende Polizisten demonstrierten bei Kundgebungen ihre Unterstützung für die neue politische Ordnung.
Zugleich bekundeten die Menschen ihre Trauer für die bis zu 100 Toten des Volksaufstandes. Eine Woche nach dem Sturz von Ben Ali hingen die Flaggen im ganzen Land auf Halbmast. Angehörige der toten Demonstranten bekamen ebenso Jasmin-Blüten überreicht wie die Familien der Leibgardisten von Ben Ali, die bei Schießereien getötet wurden. Die Staatstrauer dauert bis Sonntag.
Nachdem der Alltag allmählich im ganzen Land zurückgekehrt ist, sollen in der kommenden Woche auch die Schulen und Universitäten wieder öffnen. Seit dem 11. Januar gab es dort keinen Unterricht mehr.
Algerien: Demonstration trotz Verbot
Im Nachbarland Algerien hatte die oppositionelle RCD für zu einem Protestmarsch gegen die Regierung aufgerufen. Aus Algier wurde berichtet, dass mehrere Menschen verletzt und viele Demonstranten festgenommen worden sein sollen.
Die laizistische Sammlungsbewegung für die Kultur und die Demokratie (RCD) wollte mit der Kundgebung mehr Demokratie in dem nordafrikanischen Land einfordern. Die Demonstration war von den Behörden aufgrund des Ausnahmezustands verboten worden, der seit 1992 in Algerien besteht. Die RCD-Partei befürchtete berits im Vorfeld Zusammenstöße mit der liberalen Nationale Sammlungsbewegung für Demokratie (RND) von Ministerpräsident Ouyahia und der Polizei.