TV-Duell im US-Wahlkampf "Harris will jeden Moment nutzen, sich zu präsentieren"
Das TV-Duell im US-Wahlkampf ist vorbei. Die große Bühne war vor allem für Harris wichtig, sagt Politologe Vormann. Sie müsse Schwerpunkte setzen, während Trumps Taktik droht, sich abzunutzen - auch mit Blick auf mögliche weitere Debatten.
tagesschau.de: Herr Vormann, wer hat sich beim TV-Duell besser geschlagen, Donald Trump oder Kamala Harris?
Boris Vormann: Das ist immer die große Frage, deren Antwort auch davon abhängt, wen man fragt. Und fast so wichtig wie das Duell selbst ist natürlich, wie es in der Öffentlichkeit und in den Medien eingeschätzt wird. Wenn man also dem Echo traut, dann scheint Harris gewonnen zu haben.
Insgesamt gab es im Duell wenig Überraschendes. Ja, Harris konnte einige Punkte klarer machen. Sie ist vielleicht auch besonnener aufgetreten. Trump hat sich manchmal verstolpert und kam vielleicht aggressiver rüber. Aber das sind eher psychologische Fragen, die auch bei den Wählerinnen und Wählern sehr unterschiedlich ankommen.
Boris Vormann ist Professor für Politikwissenschaft mit Schwerpunkt USA am Bard College Berlin. Seine Forschung befasst sich mit den Auswirkungen von Globalisierungsprozessen auf politische Institutionen und urbane Ungleichheiten.
tagesschau.de: Laut einer CNN-Umfrage sahen 67 Prozent der Befragten Harris als Siegerin. Was bedeuten solche Zahlen überhaupt?
Vormann: Da muss man schon fragen, wie viel solche Umfragen letztendlich wert sind. Wenn diese von CNN kommt, wird ihr wahrscheinlich aus dem konservativen Lager nicht so viel Vertrauen geschenkt.
Interessanter finde ich da Stimmen beim sehr konservativen Sender Fox News, die Harris ebenfalls vorne gesehen haben. Das würde ich fast noch mehr als ein Indiz dafür nehmen, dass da was dran zu sein scheint. Wichtig ist aber, wie sich in den nächsten Wochen die Tendenzen entwickeln, denn bislang zeichnet sich ein sehr enges Rennen ab.
Trumps Argument von der "planlosen" Harris
tagesschau.de: Hat Trump sich inzwischen auf die neue Kontrahentin eingestellt? Oder kann er sich immer noch nicht von der alten Taktik lösen, die er gegen Joe Biden gefahren ist?
Vormann: Ich glaube, beides. Einerseits ging es ihm im Duell immer noch um die üblichen Aussagen: Seine wirtschaftspolitischen Ambitionen, die Betonung von seinem politischen Erbe, das er besonders positiv darstellt, die Angst vor Migration, die er immer wieder in den Mittelpunkt stellt.
Aber er hat tatsächlich auch versucht, speziell auf Harris einzugehen und vor allem den Finger auf eine Spannung zu legen: Nämlich die, dass sie sich ja als jemand ganz Neues präsentieren möchte, gleichzeitig aber natürlich auch schon dreieinhalb Jahre als Vizepräsidentin im Amt war. Sie habe keinen Plan - das ist eines seiner Hauptargumente.
tagesschau.de: Tatsächlich wird Harris immer wieder vorgeworfen, "blass" aufzutreten. Obwohl sie schon seit geraumer Zeit Vizepräsidentin ist, wüsste man nicht genau, wofür sie steht. Ist es ihr nun gelungen, ihr Profil zu schärfen?
Vormann: Ja, ich glaube alleine schon deshalb, weil sie durch das TV-Duell noch einmal ein sehr, sehr großes Publikum erreichen konnte. Und sie konnte ziemlich im Detail auf ganz verschiedene Politikfelder eingehen wie Wirtschaft, Abtreibung, Migration, Klimawandel oder außenpolitische Fragen zu Israel und der Hamas sowie der Ukraine.
Besonders betont hat sie das Argument, dass die Amerikaner jetzt die Chance hätten, nach vorn zu blicken und nicht zurückzukehren zur bekannten Politik von Donald Trump.
"Trumps Taktik nutzt sich ab"
tagesschau.de: Um die TV-Duelle gab es ein großes Gezerre, zuletzt hat sich Harris eine weitere Debatte gewünscht, Trump jedoch nicht. Warum diese Positionen, und wird es aus Ihrer Sicht ein weiteres TV-Duell geben?
Vormann: Tatsächlich ging es in den letzten Wochen viel hin und her. Erst wollte Trump zusätzliche Duelle, jetzt sagte er, dass Harris nur auf einem weiteren besteht, weil sie einsehe, dass sie dieses verloren habe. Da ist viel Strategie dabei.
Trumps Vorteil ist vielleicht, dass die Wählerinnen und Wähler ihn schon kennen. Gleichzeitig ist es aber auch sein Nachteil: Seine Taktik nutzt sich ab, vor allem mit Blick auf die wichtige Gruppe der Unentschlossenen. Er hat eigentlich keinen großen Mehrwert daraus, sich noch einmal einem Duell zu stellen, wohingegen Harris natürlich jeden Moment nutzen will, sich selbst zu präsentieren, weil sie so spät ins Rennen eingestiegen ist.
Ich denke, es wird kein weiteres TV-Duell geben. Aber vielleicht ändern sich auch die Erwägungen in den kommenden Tagen.
"Spannend wird der Oktober"
tagesschau.de: Bis zur Wahl sind es noch 55 Tage. Womit kann man noch rechnen?
Vormann: Spannend wird der Oktober und die Frage, ob es dieses Mal vielleicht wieder ein "October Surprise" gibt - also eine überraschende Wendung im Wahlkampf, die wahlentscheidend sein kann. Manchmal halten Kandidaten noch Informationen zum Gegner zurück und veröffentlichen heikle Details kurz vor der Wahl.
Manchmal ist es aber auch eine unglückliche Wendung, die zur falschen Zeit kommt. Bei der Wahl 2016 war es zum Beispiel die Entscheidung des FBI-Direktors, erneut in Hillary Clintons Mail-Skandal zu ermitteln. Das ist ja ohne offensichtliches Zutun von Trump passiert, damals sprachen die Medien aber von einer Wende im Wahlkampf.
Ob und was kommt, ist natürlich noch nicht abzusehen - deshalb spricht man ja von "Überraschung". Es bleibt aber auf jeden Fall spannend, weil bei so einem knappen Wahlkampf auch kleine Details entscheidend sein können.
Das Gespräch führte Natalia Frumkina, tagesschau.de