Nach Erdbeben in der Türkei Muss das ganze Dorf umziehen?
Damlacik ist ein kleines türkisches Dorf. Von rund 20 Häusern sind nur noch Trümmerhaufen übrig. Jetzt gibt es Gerüchte, dass das Dorf auf sicheres Terrain umziehen soll.
Von Mustafas Haus ist nur noch ein Trümmerhaufen übrig. Baumaschinen wühlen sich durch den Schutt. Sie suchten nach dem Geld, dem Gold und anderen Wertgegenständen der Familie, erklärt der 24-Jährige. Ein bisschen haben sie schon gefunden. Sein Bruder sei beim Erdbeben verletzt worden, erzählt er, der Rest seiner Familie sei ok.
Mustafa ist Bauer, er hatte 400 Schafe - knapp die Hälfte davon, die im Stall unter dem Haus war, ist tot. Gemeindemitarbeiter kommen kurz nach dem Erdbeben und helfen sie zu bergen und zu begraben, wegen der Seuchengefahr.
Der schmale Mann mit dem hellbraunen Vollbart zuckt ratlos mit den Schultern. Die Tiere, der Hof - das war seine Existenz.
Das Dorf soll wohl bergauf ziehen
Nun, so erzählt er, werde das Haus nach oben verlagert werden - so heiße es. Mustafa erklärt: "Wir werden es nicht selber wieder aufbauen. Es heißt, der Staat wird das machen." Der Boden in dem Dorf sei nicht stabil - "und da oben gibt es Land vom Staat". Dahin werde man das Dorf umziehen - das habe der Dorfvorsteher erzählt. "Wir werden sehen", sagt Mustafa.
Ein Bagger steht in Damlacik in der Türkei nach dem verheerenden Erdbeben neben einem eingestürzten Haus.
Ein schwarzer Kleinbus rollt auf das Grundstück - sechs, sieben Männer in dunklen Mänteln steigen aus. Mustafa entschuldigt sich und erklärt, einer der Männer sei der Bürgermeister, er müsse ihn empfangen. Alle verschwinden in einem Bretterverschlag.
Nur ein Mann, der Pressesprecher, der mit ins Dorf gekommen ist, bleibt draußen und kontrolliert unsre Arbeitsgenehmigung. Wir fragen nach einem Interview - keine Antwort. Kurz darauf fahren die Männer im Kleinbus davon.
Mustafas Onkel Hüsein ist sauer. Er schimpft: "Die haben sich sofort Eure Pressekarten zeigen lassen, richtig? Und was haben die sonst hier gemacht? Nichts. Wir müssen uns selbst um uns kümmern."
Sein junger Neffe ist vorsichtiger: Die Männer hätten Lebensmittel für die Familie gebracht und sich nach seinem verletzten Bruder erkundigt, erklärt er nüchtern.
Ein Haus ohne Fassade
Unten im Dorf neben der Moschee steht Ökkes' Haus - beziehungsweise das, was davon noch übrig ist. Die Fassade fehlt, man schaut direkt in ein Zimmer mit Regalen und Vorhängen davor. Der 60-Jährige zeigt auf die Wände, die dem Erdbeben Stand gehalten haben: "Das ist alles noch von meinem Großvater. Das ist 150 Jahre alt. Das steht noch."
Außerdem erklärt er, damals habe man mit dicken Wänden gebaut - als man später gebaut habe, habe es kein gutes Material gegeben. "Darum ist jetzt alles zerstört", fügt er hinzu.
Ökkes ist bei Verwandten im Nachbardorf untergekommen. Er will hier in Damlacik nur nach dem Rechten schauen. Dabei trifft er seinen Freund Sayyid. Den 62-Jährigen beschäftigt das Gerücht um den Umzug des ganzen Dorfes. Er ist sich sicher: "Darüber werden Geologen entscheiden. Die müssen kommen und prüfen, ob das hier erdbebensicher ist."
Er könne dazu nichts sagen: "Wir warten", sagt er nur. Er steckt die Hände in die Taschen seiner viel zu weiten Stoffhose. Auch Sayyid hat von dem staatlichen Grundstück gehört. Er sagt dazu: "500 bis 600 Meter weiter oben gibt es freies Land, das dem Staat gehört. Da ist der Grund sehr stabil, weil es Felsboden ist".
"Wohin soll ich sonst gehen?"
Dahin würde man gehen. Aber er habe hier sein Land, sein Hab und Gut - einfach alles. "Wohin soll ich denn sonst gehen? Sagen wir mal, die würden mich von hier woanders schicken. Was soll ich dann machen?", fügt er hinzu.
Auch Sayyid hält sich zurück mit Kritik. Allerdings - so ganz will Sayyid all das nicht verstehen. Auch sein Haus ist nicht mehr bewohnbar. Er ist, wie einige andere, ins Schulhaus gezogen. Das sei gerade mal zwei Jahre alt und sicher, erklärt er.
Ein zerstörtes Haus in Damlacik in der Türkei.
Sayyid glaubt: "Wenn man hier gute Häuser bauen würde, dann würde nichts passieren." Er zeigt auf ein intaktes Haus und erklärt: "Es ist neu gebaut aus Beton und Stahl. Es ist erdbebensicher, es hat nicht mal einen Kratzer abgekriegt - genauso das Haus da drüben."
Er zeigt auf ein Haus gegenüber von Ökkess Ruine. Davor spaziert eine Gänseschar, Hühner klettern über die Trümmer am Straßenrand.
Rund 500 Euro Soforthilfe - zu wenig für ein neues Haus
Abends, wenn sie im Schulhaus zusammenkommen und die Toten betrauern, dann reden sie auch über einen möglichen Umzug ihres Dorfes, erzählen die Männer. Einerseits hängen sie an all dem hier. Andererseits - wenn ihnen der Staat wirklich ein erdbebensicheres Haus in der Nähe baut, warum nicht?
Bis jetzt hat Präsident Recep Tayyip Erdogan 10.000 Lira Soforthilfe angekündigt, das sind rund 500 Euro. Dafür bekommt man auch in der Türkei noch kein neues Haus.
Mustafa, der junge Bauer, schaut verloren über große grüne Ebene, die sich bis zu den Bergen im Hintergrund erstreckt. Direkt unterhalb seines Grundstücks stehen zwei Häuser von Verwandten ohne großen Schaden. Mustafa will keine Gefühle zeigen. Er kündigt an:
Wir werden diesen Schutt abtragen und unser Haus wieder aufbauen. Wir werden uns wieder ein Haus bauen - mithilfe des Staates oder aus eigener Kraft.
Wann und wo? Zwei Wochen nach dem Erdbeben ist es für Antworten wohl noch zu früh.