Staatsführung verschärft Mediengesetze Pressefreiheit im EU-Land Ungarn in Gefahr
Ungarn übernimmt ab Januar zum ersten Mal den EU-Ratsvorsitz. Zum gleichen Zeitpunkt verschärft die Führung unter Regierungschef Orban die Mediengesetze. Radio, Fernsehen, Presse und sogar Webseiten sollen kontrolliert werden. Die OSZE und die Opposition vergleichen dies mit autoritären Regimen.
Von Tim Gerrit Köhler, ARD-Hörfunkstudio Wien
Es war eine Demonstration der Empörung, aber auch der Hilflosigkeit: Mehr als Tausend Menschen aus ganz Ungarn hatten sich in der Innenstadt von Budapest versammelt, um gegen das zu protestieren, was gerade im Parlament geschah. "Ich habe genug davon, was die dort machen. Ich habe die Debatte verfolgt und ich muss sagen, mir ist schlecht", beschwert sich eine Demonstrantin. So wie diese Frau dachten viele in der Menschenmenge. Ihre Wut richtete sich gegen das neue Mediengesetz.
Doch der Protest verhallte ungehört: Die rechtskonservative Regierungspartei Fidesz brachte das Gesetz mit ihrer Zwei-Drittel-Mehrheit durch das Parlament. Ausgerechnet am 1. Januar wird es in Kraft treten. Es ist der Tag, an dem Ungarn die Ratspräsidentschaft der Europäischen Union übernimmt. Ab diesem Datum werden nicht mehr nur Radio und Fernsehen vom Staat kontrolliert, sondern auch die gedruckte Presse und sogar Internetportale und Blogs.
"Das hat mit Demokratie nichts mehr zu tun"
Die Aufsicht führt eine neue Behörde, die bei Verstößen gegen das Mediengesetz drakonische Strafen verhängen kann. Bei Print- und Onlinemedien können es umgerechnet bis zu 90.000 Euro sein, bei Rundfunksendern bis zu 700.000 Euro. Wann ein Verstoß vorliegt, das entscheiden die Kontrolleure praktisch nach eigenem Gutdünken. Denn die entsprechenden Formulierungen im Gesetz können weit ausgelegt werden: Von allgemeinen Interessen und Sitten ist da die Rede. Das lässt viel Platz für Interpretationen.
Geführt wird die Aufsichtsbehörde von Gefolgsleuten Viktor Orbans. Der Ministerpräsident und seine Fidesz-Partei sind dabei, das Land nach ihren Vorstellungen umzukrempeln. Das treibt Menschen wie Elisabeth Grabo auf die Straße: "Ich bin Halb-Ungarin und befasse mich mit ungarischer Innenpolitik im Rahmen meines Studiums. Ich bin einfach erschüttert, was hier momentan passiert. Das hat meines Erachtens mit Demokratie nichts mehr zu tun."
Journalistische Freiheit in Gefahr
Ungarns Regierung will nicht nur die Inhalte, sondern auch die Strukturen der Medien nachhaltig verändern. Erst vergangene Woche wurde der öffentlich-rechtliche Rundfunk neuorganisiert, nach dem Motto: Alles unter einem Dach. Die bislang getrennten Sendeanstalten wurden zusammengelegt. Das klingt zunächst effizient, entpuppt sich aber bei näherem Hinsehen als ernsthafte Gefahr für die journalistische Freiheit. Denn die Spitzenpositionen in der neugeschaffenen Dachgesellschaft werden fast komplett von Fidesz-Leuten besetzt. Die Informationssendungen produziert nun die ebenfalls staatliche Nachrichtenagentur.
Viktor Orbans Vor-Vorgänger Ferenc Gyurcsány ist empört: "Sie und ich, wir alle haben uns nicht vorstellen können, dass so eine Situation eintritt. Dass eine Agentur im Staatsbesitz die Nachrichten macht und sie an die Fernseh- und Radiosender verteilt. Sie nehmen dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk das Recht, seine eigenen Nachrichten zu produzieren. Leute, das ist doch wie im Lukaschenko-Land."
Die EU hält sich bedeckt
Karoly Vörös pflichtet dem ehemaligen Ministerpräsidenten bei. Er ist Chefredakteur der größten ungarischen Tageszeitung "Nepszabadsag". Es werde künftig jeden Morgen eine Liste mit den jeweils wichtigen und unwichtigen Themen des Tages herausgegeben. "Das kann man einfach nicht verwirklichen. In ganz Europa wäre das unmöglich. Aber mit einer Zwei-Drittel-Mehrheit kann man sehr vieles machen."
Doch Europa hält sich weitgehend bedeckt. Offene Kritik aus Brüssel muss das Land der künftigen Ratspräsidentschaft derzeit nicht fürchten. Dafür von anderer Stelle: Das Internationale Presseinstitut und der europäische Zeitungsverlegerverband kritisierten die Vorgänge in Budapest scharf. Auch die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa beobachtet die weitere Entwicklung genau. Die Medienbeauftragte der OSZE, Dunja Mijatovic, sprach im Hinblick auf Ungarn von einer Gesetzeslage wie sonst nur unter autoritären Regimen.