US-Wahl 2024
Desinformation vor US-Wahl Maßgeschneidert und zielgerichtet
Der Wahlkampf in den USA geht in die Endphase. Begleitet wird er von Desinformation - zugeschnitten auf bestimmte Bevölkerungsgruppen und deren Sorgen und Ängste. Welche Auswirkungen könnte das haben?
In den USA läuft aktuell die vorzeitige Stimmabgabe für die Präsidentschaftswahl am 5. November. Das bedeutet nicht nur einen Endspurt des Wahlkampfes für die beiden Präsidentschaftskandidaten Kamala Harris und Donald Trump sowie deren Teams - auch Desinformation hat Hochkonjunktur. Befragungen und Studien zeigen, dass einige davon maßgeschneidert auf bestimmte Bevölkerungsgruppen sind.
Dabei handelt sich es um sogenanntes Targeting oder Microtargeting. Laut der Bundeszentrale für politische Bildung (bpb) geht es dabei um Praktiken, bei denen kleine Gruppen auf Basis von Datenanalysen mit fein abgestimmter Kommunikation politisch beeinflusst werden sollen. Targeting hat nicht zwangsläufig mit Desinformation zu tun, wird aber auch für Desinformationszwecke genutzt.
Anfälliger und leichter zu manipulieren
Dass bestimmte Bevölkerungsgruppen im Fokus von Falschmeldungen sind, hat nach Ansicht von Edda Humprecht, Professorin für Digitalisierung und Öffentlichkeit an der Friedrich-Schiller-Universität Jena, unter anderem den Grund, dass diese Menschen oft anfälliger dafür seien.
"Personen, die häufig auf sozialen Medien unterwegs sind, insbesondere innerhalb geschlossener Netzwerke oder Communitys, sind anfälliger für Desinformation", so die Forscherin. Außerdem gibt es für einige Menschen dieser Bevölkerungsgruppen eine Sprachbarriere.
Schwarze Communitys mit Anti-Einwanderungs-Narrativen konfrontiert
Die Nonprofit-Organisation Onyx Impact hat in einer Studie untersucht, wie sich Falschinformationen 2024 speziell in afroamerikanischen Communitys in den USA verbreiten und welche Narrative dabei im Fokus stehen. Darunter waren etwa angeblich gebrochene Versprechen von US-Präsident Joe Biden. Zudem seien Anti-Einwanderungs- sowie Anti-LGBTQ+-Narrative in mehreren Desinformationsnetzwerken weit verbreitet, heißt es in der Studie weiter.
Oft zu finden sei etwa das Narrativ der "Grenzkrise". Dieses besagt, lateinamerikanische Einwanderer seien dafür verantwortlich, dass afroamerikanische Gemeinden angeblich Ressourcen und Arbeitsplätze verlieren, heißt es in der Studie. Weitere Themen seien Krankheiten, die besonders häufig in den in der Studie untersuchten Communitys auftauchten. Dazu gehöre der Studie zufolge auch Desinformation zum Thema Covid-19.
Falschinformationen aus dem rechten Spektrum
Schwarze Communitys bekamen laut der Studie die meiste Desinformation von rechten Aktivisten - einige davon gehörten selbst diesen Communitys an. Namentlich werden etwa die Influencer Cadance Owens und der Podcast "The Breakfast Club" erwähnt. Owens steht unter anderem für den sogenannten Blexit - die Forderung, die afroamerikanische Bevölkerung solle sich von der Demokratischen Partei abwenden.
Aber auch private Unterstützer Trumps teilten Falschinformationen - teils mithilfe von Künstlicher Intelligenz. So wurde in den sozialen Netzwerken etwa ein KI-generiertes Bild verbreitet, auf dem Trump angeblich zusammen mit afroamerikanischen Wählerinnen und Wählern zu sehen ist. Das Bild ist allerdings nicht echt.
Gezielte Falschinformationen zeigen Wirkung
Wie eine Umfrage der afroamerikanischen Bürgerrechtsorganisation NAACP zeigt, tendiert jeder vierte afroamerikansiche Wähler unter 50 Jahren dazu, Trump zu wählen. Diese Tendenz bestätigt auch eine Umfrage der "New York Times" und des Siena College. Die Umfrage ergab, dass die Unterstützung für die Demokraten seit der Wahl 2020 abgenommen hat.
Gerade in sogenannten Swing States, wie dem US-Bundesstaat Georgia, könnte das für das Wahlergebnis Folgen haben. Dort gewann Biden 2020 nur knapp. In den USA kommt es bei den Wahlen nicht auf die Mehrheit an, sondern auf die Wahlmänner. Hier gilt das "Der Gewinner bekommt alles"-Prinzip: Das bedeutet, wer eine einfache Mehrheit in einem Staat gewinnt, vereint alle Wahlmänner des betreffenden Staates auf sich - egal, ob der Vorsprung riesig oder hauchdünn ist.
Schüren von Angst vor Kommunismus bei Latinos
Auch für die Bevölkerungsgruppe der Latinos wird Experten zufolge Desinformation passgerecht produziert und verbreitet. Dabei würden vor allem Narrative verwendet, für die diese Menschen besonders empfänglich seien, erklärt Sam Woolley, der Direktor des Propaganda Research Labs an der University of Texas in einem Bericht des Reuters Instituts.
Auch Tamoa Calzadilla von Factchequado, einer Plattform, die spanische Desinformation in den USA überprüft, beobachtet das. Sie erklärt im Bericht des Reuters Instituts: "Ich lebe hier in Miami in einer Gemeinschaft mit vielen Venezolanern und vielen Kubanern, die Angst vor Diktaturen und Sozialismus haben." Einige Verschwörungsgruppen wüssten das und nutzten es, um den Menschen Angst zu machen. So habe es bereits 2020 eine YouTube-Kampagne gegeben, in der fälschlicherweise behauptet wurde, die Regierung in Venezuela unterstütze Biden.
Andere Narrative, die auf Latino-Communities abzielen, haben laut Calzadilla mit der Inflation zu tun. Das ziele vor allem auf Menschen aus Argentinien und Venezuela ab. Für Erzählungen von Wahlbetrug oder manipulierten Wahlen seien Menschen aus Honduras, Nicaragua oder Ecuador zugänglich, weil es dort solche Fälle gab, führt Calzadilla aus. Auch Falschnachrichten um das Thema Abtreibung gingen in Richtung von Lateinamerikanern, da diese meist katholisch seien, führt Calzadilla aus.
Mehr Latinos wenden sich von Demokraten ab
Ob Desinformation einen Effekt auf das Wahlverhalten hat, ist noch unklar. Die Tendenz ist allerdings: Die Latinos tendieren Umfragen zufolge weiterhin zu den Demokraten - allerdings hat sich der Abstand zu jenen, die republikanisch wählen, über die Jahre deutlich verringert.
Zum Vergleich: 2012 wählten 71 Prozent der Latinos demokratisch und 27 Prozent republikanisch. Bis 2020 verringerte sich dieser Abstand auf 66 zu 32 Prozent. Laut einer aktuellen Umfrage der Organisation UnidosUS tendieren derzeit nur noch 57 Prozent der Latinos zu Harris, während 34 Prozent Trump wählen wollen.
Targeting hat in den USA Tradition
Die Praxis des Targeting sei grundsätzlich nicht neu in den USA, erklärt Politikwissenschaftler Johannes Thimm im Gespräch mit dem ARD-faktenfinder. Er ist stellvertretender Leiter der Forschungsgruppe Amerika bei der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP). Auch unabhängig von den sozialen Medien sei Targeting dort sehr viel verbreiteter und habe eine längere Tradition.
Dazu komme heutzutage, dass es in den USA ausgefeiltere Datenprofile über die Menschen gebe. Das liege daran, dass auf der einen Seite der Datenschutz nicht so stark ausgeprägt sei wie in Deutschland. Auf der anderen Seite werde in den USA auch mehr Geld für solche Praktiken ausgegeben. Die zugespitzte Verbreitung von Desinformation ist allerdings nur ein Anwendungsbereich von Targeting.
Elon Musk unterstützt Trump im großen Stil
Eine neue Qualität habe dagegen, dass Elon Musk seinen Einfluss als Besitzer der Plattform X einsetze, um Trump zu unterstützen, sagt Thimm. Musk verbreite nicht nur nachgewiesenermaßen Falschmeldungen auf seinem X-Account, sondern nutze seine Kontrolle über X, um seine Reichweite zu erhöhen. Darüber hinaus unterstütze er Trumps Kampagne auch mit viel Geld.
Ein prominentes Beispiel ist eine Lobbygruppe, die finanziell von Musk unterstützt wird - ein sogenanntes Political Action Committee (PAC). Dabei wurden vor allem afroamerikanischen Wählern in den USA Anzeigen auf dem Kurznachrichtendienst Snapchat präsentiert, die besagten, Kamala Harris wolle Mentholzigaretten verbieten.
Brisant daran: Erhebungen haben gezeigt, dass 81 Prozent der afroamerikanischen Rauchenden Mentholzigaretten verwenden. Vor dem Hintergrund, dass bereits die Biden-Administration über ein Verbot von Mentholzigaretten nachgedacht hat, handelt es sich dabei nicht um eine klassische Desinformation - die Anzeigen suggerieren afroamerikanischen Wählern aber eine Bedrohung ihrer Lebensweisen durch eine mögliche Präsidentin Harris.
Welche Auswirkungen könnte das auf das Wahlergebnis haben?
Jared Holt, Senior Research Analyst beim Institute for Strategic Dialogue (ISD), forscht zum Thema Hass und Extremismus in den USA. Im Gespräch mit dem ARD-faktenfinder sagte Holt, eine Auswirkung von Desinformation für eine bestimmte Zielgruppe könnte sein, diese komplett zu entmutigen und vom Wählen abzuhalten. Das könne gelingen, indem Ressentiments geschürt würden und Hoffnungslosigkeit verbreitet werde.
So müsste diese Desinformation gar nicht darauf abzielen, einen der beiden Kandidaten schlecht zu machen - es reiche schon, zu vermitteln, beide gehörten demselben vermeintlich "kaputten System" an. So heiße es etwa, dass sich keiner der beiden Präsidentschaftskandidaten für die Community einsetze. "Diese Art von Botschaften können Signale aussenden, die jemanden, der über eine Stimmabgabe nachdenkt, beeinflussen können", so Holt. Diese Wirkung im Nachgang zu erfassen, sei laut Holt jedoch schwer.
Kommunikationswissenschaftlerin Humprecht geht vor den Wahlen nicht davon aus, dass Desinformation - so gezielt sie auch sein mag - das Ergebnis der Wahl maßgeblich beeinflussen wird: "Desinformation spielt im Wahlkampf schon eine Rolle, auch wenn es jetzt nicht darum geht, dass einzelne Geschichten dazu führen, dass die ganze Wahl umgedreht wird oder dass die Menschen das unbedingt glauben."
Desinformation sei "nicht insofern ein Gamechanger, dass jetzt eine gefälschte Geschichte kommt und alle Unentschlossenen für einen Kandidaten oder eine Kandidatin stimmen, aber sie verstärkt bestimmte Gräben", ist sich Humprecht sicher.