US-Wahl 2024

Eine Frau in Kiew schaut auf eine Flagge

Nach der Wahl Trumps Die große Ungewissheit in der Ukraine

Stand: 06.11.2024 17:29 Uhr

Der ukrainische Präsident Selenskyj schmeichelt Trump nach dessen Wahlsieg in den USA - dabei sind die Sorgen groß im Land. Denn sollte Trump seine Ankündigungen zur Ukrainepolitik umsetzen, hätte das massive Konsequenzen.

Von Rebecca Barth, ARD Kiew

"Wir beginnen mit den wichtigsten Nachrichten des Tages", sagt der Sprecher im ukrainischen Fernsehen - "der Wahl in den Vereinigten Staaten". Über Monate hatte sich der amerikanische Wahlkampf spürbar auf die Lage in der Ukraine ausgewirkt. Das hat nun ein Ende - nur welches?

Am Tag nach der Wahl gibt es große Unklarheit und viele Fragen. Der ukrainische Journalist Jurij Fiser zeigt sich am Morgen schockiert: "Für uns ist das ein dunkler, wenn nicht sogar ein schwarzer Tag. Heute sind wir in einer neuen Realität aufgewacht, und wir werde in dieser Realität leben müssen."

Selenskyj schmeichelt Trump

Ganz anders aber war die erste Reaktion des ukrainischen Präsidenten. Die Ukraine freue sich auf eine Ära starker Vereinigter Staaten unter einer entschlossenen Führung, schrieb Wolodymyr Selenskyj am Morgen in den sozialen Medien.

Es ist öffentliches Schmeicheln um die Gunst des US-Wahlsiegers Donald Trump. Gleichzeitig hoffen jetzt im politischen Kiew viele auf eine neue Dynamik. Denn schon in der Vergangenheit habe Trump in einigen Fragen eine für die Ukraine positive Position vertreten, erklärt der ehemalige ukrainische Außenminister Dmytro Kuleba.

"Viele Menschen in der Ukraine bewundern die Demokraten, aber die Demokraten haben Nord Stream 2 unterstützt - Trump hat dagegen gekämpft. Nicht um der Ukraine willen, sondern wegen der Interessen der Vereinigten Staaten", meint Kuleba. "Daher wird eine sehr flexible Zusammenarbeit mit Trump erforderlich sein. Im Wesentlichen geht es dabei um Bewältigung von Krisen im Sinne der Ukraine." Das werde zwar sehr schwierig sein - aber es sei möglich.

Trumps "widersprüchliche Ansichten"

Die Menschen in der Ukraine sind müde vom Krieg. Und viele sind darüber hinaus enttäuscht von den westlichen Partnern, die das Land zwar massiv aber trotzdem unzureichend unterstützen. Die Waffenlieferungen seien zum Sterben zu viel und zum Leben zu wenig - und so wäre es vermutlich unter einer US-Präsidentin Kamala Harris weitergegangen, argumentieren einige.

Oleksandr Krajew, Direktor des Nordamerika-Programms beim nicht-staatlichen Analysezentrum Prism, hält Trump für riskant. Aber das sei nicht unbedingt schlecht für die Ukraine, sagt er. "Die meisten seiner Äußerungen in Bezug auf die Ukraine waren nicht sehr freundlich. Aber er sagte auch, dass er der Ukraine nicht 60, sondern 120 Milliarden gegeben hätte. Und dass er Moskau bombardiert hätte, wenn der Angriffskrieg während seiner Amtszeit begonnen hätte", erklärt Krajew.

Trump habe ziemlich widersprüchliche Ansichten. "Und das bedeutet einfach, dass er sich auf jede erdenkliche Weise verhalten kann und es fast unmöglich ist, sein Verhalten klar vorherzusagen." Aber man könne es beeinflussen, man müsse mit Trump in ständigem Kontakt bleiben, verschiedene Vorschläge machen, ständig arbeiten, meint Krajew. "Trump ist riskant, weil er unberechenbar ist. Aber dieses Risiko bedeutet nicht unbedingt etwas Negatives."

Ruf nach mehr Unterstützung durch Europa

Und doch: Sollte Trump wie angekündigt Militärhilfen für die Ukraine streichen, hätte das massive Auswirkungen auf das Land. Denn Europa könnte die Hilfen aus den USA aktuell nicht kompensieren, meinen Sicherheitsexperten. Kuleba fordert schon, Europa müsse mehr Verantwortung übernehmen.

"Für die Ukraine ist das ein Signal, dass man mit Trump zusammenarbeiten muss. Ich habe nie gefordert, ihn zu dämonisieren. Ich sage nicht, dass das gut ist, es ist einfach so wie es ist", sagt Kuleba zwar - aber auch: "Die Stärke der Ukraine liegt in der Ukraine. Und die Stärke Europas liegt in Europa. Europa verfügt über die Ressourcen und Möglichkeiten, um der Ukraine zu helfen und eine Führungsrolle zu übernehmen." Nun sei es Zeit, Verantwortung zu übernehmen.

Rebecca Barth, ARD Kiew, tagesschau, 06.11.2024 15:41 Uhr