EU-Kommissar Verheugen hört auf "In Brüssel kann man etwas bewegen"
Nach zehn Jahren als EU-Kommissar kehrt Günter Verheugen nach Deutschland zurück. Stolz erinnert er sich an seine Zeit als Erweiterungskommissar und bilanziert seine Erfahrung in der EU-Kommission: Man muss auch mal eine Schlacht aufgeben, um einen Krieg zu gewinnen. Sein Nachfolger Oettinger gewöhnt sich gerade ein.
Von Birgit Schmeitzner, BR-Hörfunkstudio Brüssel
Als EU-Kommissar in Brüssel hat man Macht und das unabhängig von parteipolitischen Zwängen daheim. Günter Verheugen hat es erlebt. Zufrieden zieht er Bilanz nach zehn Jahren als Kommissar, erst für Erweiterung, dann für Industrie.
Er sagt: Man kann viel mehr bewegen als jeder Minister daheim, wobei Verheugen an die erste Hälfte seiner Zeit in der europäischen Hauptstadt die besseren Erinnerungen hat: "Natürlich war die erste Amtszeit, in der ich Erweiterungskommissar war und in der die große Erweiterung nach Osten erfolgreich abgeschlossen werden konnte, ein politischer Höhepunkt, nicht nur in meinem Leben sondern auch im Leben vieler, der so leicht nicht übertroffen werden kann."
Seitenhieb gegen Deutschland
Mittlerweile habe sich die Finanz- und Wirtschaftskrise wie ein Schatten auf die politische Arbeit gelegt. Verheugen zufolge hat es sich gerächt, dass die Mitgliedsstaaten immer gegen eine schlagkräftige gemeinsame Wachstums- und Beschäftigungspolitik waren. Allen voran übrigens Deutschland, diesen Seitenhieb kann sich Verheugen nicht verkneifen. Er begrüßt aber auch, dass die Krise ein Umdenken bewirkt hat. Der neue EU-Vertrag sieht vor, dass die Wirtschaftspolitik besser koordiniert werden kann: "Wir wollen mal gucken, wie das Instrument funktioniert. Ich habe die Hoffnung, dass wir ein höheres Maß an Verbindlichkeit bekommen."
Kommen konkrete Vorgaben für Unternehmen?
Wie dies aussehen könnte - ob die geplante EU-Strategie 2020 auch Sanktionen vorsehen wird - wird der Sondergipfel in Brüssel am Donnerstag zeigen. Strategie ist das eine, konkrete Vorgaben für Unternehmen das andere. Hier mahnt Verheugen zum Maßhalten, sagt mit Verweis auf Opel, den Streit um Beihilfen und um Standorte: "Politik ist nicht zuständig für die Entscheidung eines Unternehmens, wo es produziert. Politik ist zuständig für die Rahmenbedingungen, daran soll sie sich halten. Wenn man sich in die Management-Entscheidungen eines Unternehmens einmischt, geht das immer schief."
Ein Schlacht aufgeben, um den Krieg zu gewinnen
Und wie sieht es mit der Arbeit innerhalb der Kommission aus? Welche Taktik hat sich da bewährt? Auf diese Frage antwortet Verheugen: Alles im Blick haben, auch die anderen Ressorts, den Mut haben, das Gewicht als größtes EU-Land einzusetzen – ohne die Jahrzehnte alten Ängste zu befördern, dass Deutschland wieder national aufrüstet.
"Man muss manchmal bereit sein, eine Schlacht zu verlieren, wenn man den Krieg gewinnen kann." Also auch mal nachgeben, wenn am Ende das Ergebnis stimmt. Verheugens Nachfolger als deutscher Kommissar, Günther Oettinger, scheint diesen Ratschlag schon verinnerlicht zu haben. Er sagt: "Ich will in Brüssel nicht nur repräsentieren, ich will etwas erreichen." Er glaube, dass man gerade beim Boom-Thema Energie viel bewegen könne. Ansonsten sei Brüssel anders als Stuttgart, "aber unglaublich lebenswert, dynamisch, multikulturell, europäisch und ich freue mich, noch einmal in eine ganz andere Umgebung eintauchen zu können."
Der Schwabe Günther Oettinger also künftig in Brüssel, sein Namensvetter Günter Verheugen wird künftig in Berlin und in Frankfurt an der Oder sein. Er wird in der Bundeshauptstadt leben und im Osten Brandenburgs, an der polnischen Grenze lehren. Seine Vorlesungsreihe an der Europa-Universität Viadrina trägt den Titel "Europäisches Regieren".