Das tut die EU gegen Propaganda im Netz Mit YouTube-Videos gegen den Terror
Terrorganisationen nutzen das Netz, um ihre Propaganda schnell zu verbreiten. Die EU versucht dagegen anzugehen: Mit Spezialisten - und mit Webvideos. Die Devise: Jugendliche da abholen, wo sie sich aufhalten, zum Beispiel bei YouTube.
"In den Medien lese ich immer wieder: Terrorismus, Salafismus, Dschihad? Was ist denn das überhaupt?", fragt YouTuberin Hatice Schmidt. In einem YouTube-Video macht sie sich auf die Suche nach der islamischen Gemeinschaft, will herausfinden, was die "Umma" ist. In dem dreiminütigen Clip mit vielen Comics und Grafiken erklärt sie, woher das arabische Wort kommt und wie vielfältig die "Umma", die Gemeinschaft, auch die muslimische Gemeinschaft, ist.
Diese Webvideos gehören zu einem Projekt der Bundeszentrale für politische Bildung: "Wir wollen damit zeigen, dass es nicht die eine richtige Interpretation des Islam gibt, wie bei den Salafisten zum Beispiel, sondern eine Heterogenität", sagt Arne Busse von der Bundeszentrale. Für ihn gehören diese Videos zur Radikalisierungsprävention, sie sollen informieren und Toleranz fördern. Warum kurze YouTube-Clips? "Wir holen die Jugendlichen dort ab, wo sie sich aufhalten. Wir wollen eine Leerstelle füllen und ein seriöses Informationsangebot schaffen", sagt Busse zu tagesschau.de.
Umfassende Antworten online zu finden
In den sozialen Netzwerken werden oft ungefiltert rassistische, islamfeindliche oder terroristische Inhalte verbreitet. Terroristische Organisationen wie der "Islamische Staat" (IS) nutzen das Internet, um eigene Propaganda über Kontinente hinweg zu streuen und neue Anhänger zu rekrutieren. Davon fühlen sich immer wieder - vor allem junge - Menschen angesprochen. Sie radikalisieren sich, weil die Ideologie des Dschihadismus ihnen eindeutige und umfassende Antworten auf ihre Sinnfragen liefert. Sie können sich sofort neu erfinden, ihre alte Identität, ihre Probleme hinter sich lassen - und später ein vermeintlicher Held werden. Ein bestimmter Mechanismus, den sich der "Islamische Staat" oder AlKaida zunutze machen.
Der EU-Koordinator für Terrorismusbekämpfung, Gilles de Kerchove, schlug bereits vor zwei Jahren vor, eine europäische Anti-Propaganda-Abteilung aufzubauen. Im Januar 2015 befassten sich auch die EU-Innenminister mit der Frage: Wie umgehen mit Propaganda im Netz? Die Idee: Gegen-Narrative entwickeln und das Aufspüren und Löschen von Propaganda-Inhalten im Netz.
Gegen-Narrative als Kontrapunkt
Sogenannte Gegen-Erzählungen, "counter narratives", sollen in Form von Videos anfällige Jugendliche ins Zweifeln bringen und Radikalisierungen verhindern. Ein Beispiel: Die Webvideos der Bundeszentrale für politische Bildung. Mit Hilfe von Gewaltbildern zu versuchen, den IS zu entlarven oder junge Menschen abzuschrecken, sei hingegen kontraproduktiv, sagt Kommunikationsexperte Sascha Stoltenow: "Es ist das erklärte Ziel des IS, diese Gewaltbilder zu verbreiten. Und der eigene Tod schreckt den Gotteskrieger nicht ab. Das ist Teil des Deals. Unsere Art zu Leben, die Freiheitsrechte des Einzelnen zu verteidigen und flüchtenden Menschen Schutz zu gewähren, ist die stärkste Gegenerzählung", sagt Stoltenow zu tagesschau.de.
Zudem planten die EU-Innenminister vor anderthalb Jahren eine gemeinsame Expertengruppe ins Leben zu rufen, die das Netz nach entsprechender Propaganda durchforstet. Im März vergangenen Jahres wurde dann das sogenannte "Beratungsteam für strategische Kommunikation in Bezug auf Syrien" gegründet. Das Team besteht aus Mitarbeitern von Europol und aus Experten nationaler Behörden. Das Ziel: Europäische Mitgliedsstaaten und Institutionen beraten und bei Kampagnen zur strategischen Kommunikation unterstützen. Das Pilotprojekt war ursprünglich bis Mitte 2016 angelegt und mit einem Budget von einer Million Euro ausgestattet. Die EU bewertete das Projekt als erfolgreich, hat bereits ein Folgeprojekt für die kommenden 18 Monate aufgelegt. Das Netzwerk soll weiter ausgebaut werden. Ideen, auch über Ländergrenzen hinweg, sollen ausgetauscht und grenzüberschreitende Projekte geschaffen werden, heißt es in einem Kommissions-Papier.
Verhaltenskodex mit IT-Unternehmen
Die EU will die Arbeit zur Bekämpfung der Radikalisierung weiter intensivieren. Dazu gehört auch eine verstärkte Zusammenarbeit mit Internet-Anbietern und sozialen Medien. Ende Mai gaben die Europäische Kommission und Unternehmen wie Twitter, YouTube und Facebook einen Verhaltenskodex zur Bekämpfung illegaler Hassrede im Internet bekannt. Damit verpflichten sich die Unternehmen, weiterhin gegen illegale Hassrede vorzugehen, ihre Mitarbeiter zu schulen, damit die Mehrheit der Anträge auf Entfernung illegaler Hasskommentare in weniger als 24 Stunden geprüft und entfernt werden kann.
Ob das was bringt? "Es schützt - vielleicht - die unbedarften Nutzerinnen und Nutzer, die zufällig über die entsprechenden Inhalte stolpern. Gleichzeitig wissen wir beispielsweise aus der Diskussion um Hate Speech, dass wir trotz Algorithmen und menschlicher Kontrolle die schiere Masse derzeit nicht kontrollieren können", sagt Stoltenow. "Terrororganisationen nutzen die einfache Bedienbarkeit und die dezentrale Struktur des Netzes, und es gibt bislang keinen überzeugenden Ansatz, wie das zu lösen ist, ohne die Vorteile, die das Netz uns allen bringt, einzuschränken", so der Kommunikationsexperte.
Wie ein Ping-Pong-Spiel mit dem IS
Trotz aller Initiativen: Die Propaganda im Netz ist weiter da. Wird der eine Twitter-Account des IS gelöscht, wird der nächste eröffnet. Ein Ping-Pong-Spiel. Experte Stoltenow fordert, insbesondere zivilgesellschaftliche Initiativen weiter zu stärken. Ein Vorschlag: Der Propaganda mit Humor begegnen. Er berichtet von Comedians und Satirikern aus der arabischen Welt, die teilweise unter Lebensgefahr die Widersprüche der Terrorpropaganda offenbaren und "schreiend komische Videos" ins Netz stellen. "Die Devise heißt: Terror ernst nehmen, Terroristen auslachen." Stoltenow fordert aber auch neue Ansätze in der Prävention: "Warum nicht mal mit Jugendlichen selbst Propagandavideos drehen? Ich bin überzeugt, wer weiß, wie das typische Terrorvideo gemacht wird, ist dafür weniger anfällig."