Nach Erstürmung der "Zaman"-Redaktion "Türkei ohne Medienfreiheit in der EU undenkbar"
Die Stürmung der Zeitung "Zaman" durch die türkische Polizei sorgt weltweit für Empörung. EU-Politiker Lambsdorff spricht von einer "Gleichschaltung der Presse". Andere schließen einen EU-Beitritt der Türkei aus. Die Polizei geht auch am Tag danach hart gegen Demonstranten vor.
Einen Tag nach der Erstürmung der Zentralredaktion der Oppositionszeitung "Zaman" hat die türkische Polizei erneut Tränengas und Wasserwerfer gegen Demonstranten eingesetzt. Darüber hinaus errichteten Sicherheitskräfte Zäune vor dem Gebäude, um Unterstützer fernzuhalten, berichtete die Nachrichtenagentur Dogan.
Der Umgang der Erdogan-Regierung mit der "Zaman" stößt international auf scharfe Kritik. Der Vizepräsident des EU-Parlaments, Alexander Graf Lambsdorff (FDP) verurteilte im Inforadio des RBB das Vorgehen der Türkei: "Was die Regierung da tut, ist nichts anderes, als die Gleichschaltung der Presse weiterzutreiben."
Mit Blick auf den EU-Türkei-Gipfel am Montag räumte EU-Parlamentsvizepräsident Lambsdorff ein, dass die Türkei ein Land sei, ohne das es keine Lösung in der Flüchtlingsfrage gebe: "Man muss eine pragmatische Zusammenarbeit suchen." Die Türkei werde allerdings immer autokratischer, sagte Lambsdorff.
CDU-Außenpolitiker Norbert Röttgen fand ebenfalls deutliche Worte für das Vorgehen der Türkei: "Es ist kein Zufall, dass dieser staatliche Angriff auf die Pressefreiheit zu einem Zeitpunkt erfolgt, in dem die EU mit der Türkei eine Vereinbarung über die Rücknahme von Flüchtlingen trifft", sagte der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses im Bundestag der Funke-Mediengruppe. Die Regierung in Ankara wünsche sich "das Schweigen Europas zu der Verletzung von Menschenrechten". Röttgen betonte: "Der Schein trügt und Europa wird nicht schweigen, und die Repression in der Türkei wird dauerhaft keinen Erfolg haben."
Die EU-Außenbeauftragte Federica Mogherini äußerte sich besorgt über die staatliche Übernahme der "Zaman" . "Die EU hat wiederholt betont, dass die Türkei als Beitrittskandidat hohe demokratische Maßstäbe respektieren und fördern muss, einschließlich der Pressefreiheit", sagte die Politikerin. Freie, vielfältige und unabhängige Medien seien ein Eckstein demokratischer Gesellschaften, weil sie Transparenz und Verantwortlichkeit gewährleisteten.
Grundrechte sind nicht verhandelbar
EU-Erweiterungskommissar Johannes Hahn sagte, die Türkei müsse als EU-Beitrittskandidat auch die Pressefreiheit respektieren. "Wir werden genau beobachten, was weiter geschehen wird", warnte Hahn weiter. Er fügte hinzu, das Vorgehen der Behörden gefährde auch "die Fortschritte der Türkei auf weiteren Gebieten". Die Grundrechte aber seien nicht verhandelbar.
Knut Fleckenstein, Mitglied des Auswärtigen Ausschusses und Vizefraktionschef der Sozialdemokraten im Europaparlament, erklärte, "eine Türkei ohne Medienfreiheit ist in der Europäischen Union undenkbar". Die Fraktionsvorsitzende der Grünen im Europaparlament, Rebecca Harms, kritisierte, in der Türkei würden Journalisten "willkürlich und mit allen Mitteln unter Druck gesetzt".
"Dröhnendes Schweigen der Bundesregierung ist unerträglich"
Die internationale Journalisten-Organisation "Reporter ohne Grenzen" fordert von Deutschland den Einsatz für die Pressefreiheit in der Türkei. "Das dröhnende Schweigen der Bundesregierung zum Vorgehen der Türkei gegen kritische Medien ist unerträglich", sagte Geschäftsführer Christian Mihr. Von Bundeskanzlerin Angela Merkel forderte er klare Worte beim EU-Türkei-Gipfel am Montag.
Erdogan kenne keine Schamgrenze mehr bei der Unterdrückung jeder Kritik an seiner Regierung, erklärte "Reporter ohne Grenzen". Vom EU-Gipfel dürfe nicht das Signal ausgehen, dass die EU über jede Menschenrechtsverletzung hinwegsehe, wenn es um Zugeständnisse in der Flüchtlingspolitik gehe. Die Türkei liege auf der Rangliste der Pressefreiheit weit hinten auf Platz 149 von 180 Staaten.
Tränengas und Wasserwerfer gegen Demonstranten
Zuvor hatten die USA bereits von einer "beunruhigenden Serie" des Vorgehens gegen Medien und Regierungskritiker in der Türkei gesprochen. Der Sprecher des US-Außenministeriums, John Kirby, erinnerte daran, dass Meinungs- und Pressefreiheit in der türkischen Verfassung festgeschrieben seien.
Gestern hatte die Polizei die Zentralredaktion der Oppositionszeitung gestürmt. Gegen vor dem Gebäude in Istanbul versammelte Demonstranten setzten die Beamten Tränengas und Wasserwerfer ein. Dann drangen sie in die Redaktion ein, um von der Justiz bestellte Manager hinein zu begleiten und Mitarbeiter von "Zaman" herauszubringen. Wenige Stunden vor der Polizeiaktion hatte ein Istanbuler Gericht angeordnet, das "Zaman" künftig unter Kontrolle eines Treuhänders gestellt werde. Damit untersteht die Führung von Redaktion und Verlag richterlich bestellten Managern.
"Zaman" ist die auflagenstärkste Zeitung des Landes. Sie soll Verbindungen zu dem in den USA lebenden islamischen Geistlichen Fethullah Gülen haben - einem erbitterten Gegner von Präsident Recep Tayyip Erdogan. Die Regierung geht seit einiger Zeit verstärkt gegen Gülens Bewegung vor, der sie Pläne für einen Umsturz unterstellt.
Fethullah Gülen