Europawahl 2024
Desinformation in der EU Die schleichende Gefahr vor der Europawahl
Gerüchte, Falschinformationen und Beeinflussung von Kandidaten: Staaten wie Russland und China versuchen auf unterschiedliche Weise, Einfluss auf die EU-Wahl zu nehmen. Wie wappnet sich die EU dagegen?
Hass, Bedrohung, Einschüchterung: Desinformation und Manipulation haben in der Brüsseler Politik viele Gesichter. Vor der Europawahl nimmt die Bedrohung zu - und sie hat viele Facetten.
Die Agentur der EU für Cybersicherheit (ENISA) hat für die Europawahl mehrere Strategien der Destabilisierung und Desinformation identifiziert. Einen Cyber-Angriff auf den Wahlvorgang und die Übermittlung der Ergebnisse hält die Behörde für unwahrscheinlich, weil verfälschte Ergebnisse schnell korrigiert werden könnten.
Gefährlicher sei die unterschwellige Verunsicherung der Bürgerinnen und Bürger durch Desinformationskampagnen, die Wähler beeinflussen und die Wahl delegitimieren sollen.
Im Mittelpunkt stünden dabei die Themen Ukraine, Klima, Migration, Energiepreise und Gender. Ziel sei es, im digitalen Wahlkampf Online-Diskurse zu steuern und Debatten zu manipulieren.
Das Beispiel Spanien
Wie dies funktionieren kann, zeigte ein Manipulationsversuch kurz vor der spanischen Parlamentswahl im vergangenen Juli.
Zwei Tage vor dem Urnengang wurde das Online-Portal der Stadt Madrid gehackt mit dem Hinweis, die 2018 aufgelöste baskische Terrororganisation ETA sei zurück und plane Angriffe auf Wahllokale. Es war ein perfider Rückgriff auf Ereignisse aus früheren Wahlkämpfen, als es Terrorakte der ETA gegeben hatte - mit dem klaren Ziel, Angst zu schüren.
Zwei Staaten als Akteure
Vor der Europawahl richtet sich der Blick vor allem auf Russland und China. EU-Kommissionsvize Vera Jourova warnte im Europaparlament vor Versuchen der Führung in Moskau, auf die Wahl Einfluss zu nehmen: "Der Kreml wird mit Desinformation, Korruption und anderen schmutzigen Tricks versuchen, Europa zu spalten. Die europäischen Wähler verdienen es, ihr Wahlrecht mithilfe überprüfbarer Fakten und nicht unbegründeter Narrative auszuüben."
Die Sorge fußt auf erfolgreichen Desinformationskampagnen Russlands in der Vergangenheit wie zum Beispiel dem Kreml-Narrativ nach dem Angriff auf die Ukraine, westliche Sanktionen seien Schuld an der Unterbrechung der weltweiten Versorgung mit Getreide und einer Lebensmittelkrise. Dass es zu dieser Krise durch den Überfall auf die Ukraine und die Blockade ukrainischer Schwarzmeer-Häfen gekommen war, von denen aus das Getreide bis dahin exportiert wurde, sollte durch diese Kampagne vertuscht werden.
Gegenmaßnahmen der Kommission
Der diplomatische Dienst der EU hat schon vor Jahren eine Task-Force zur Bekämpfung von Desinformation eingerichtet, um schneller auf derartige Kampagnen reagieren zu können und die Deutungshoheit nicht an ausländische Geheimdienste abzugeben. Gesammelt wurden bisher mehr als 750 Fälle gezielter Desinformation durch ausländische Akteure, vor allem aus Russland.
Ein EU-Schnellwarnsystem gegen Desinformation soll dafür sorgen, dass entsprechende Kampagnen schneller identifiziert werden, bevor sie durch Europa rollen können.
Die Verantwortung von Facebook & Co.
Zugleich erwartet die EU-Kommission von den Tech-Konzernen und Internet-Plattformen, noch sensibler auf die Gefahr zu reagieren und mehr Personal für den Umgang mit Desinformation vorzuhalten.
Meta, X und Google haben allerdings bereits Konsequenzen aus dem US-Wahlbetrugs-Debakel gezogen und auch für die Europawahl "Richtlinien zur Wahlintegrität" entwickelt: Gefälschte Konten sollen schnell identifiziert und entfernt werden. Grundlage ist das neue EU-Gesetz über digitale Dienste (DSA). Es verpflichtet Anbieter verpflichtet, Nutzer vor Manipulation und Fake News besser zu schützen.
EU-Binnenmarkt-Kommissar Thierry Breton forderte die Plattformen auf, "ein freies und faires Informationsumfeld zu gewährleisten - von der Moderation von Inhalten bis hin zur Nutzung glaubwürdiger Quellen".
Einflussnahme auf das Innere des Parlaments
Für noch gefährlicher hält ENISA die direkte Einflussnahme auf Politiker und ihr Umfeld. So beschuldigt die EU-Agentur Russland, "maßgeschneiderte Programme" zu liefern, die prorussischen Kräfte im Europaparlament diskret unterstützen.
So steht der AfD-Bundestagsabgeordnete Peter Bystron, der auf Platz zwei der Kandidatenliste der Partei für die Europawahl steht, unter dem Verdacht, Gelder von prorussischen Netzwerken angenommen zu haben. Im Mai hob der Bundestag die Immunität des Parlamentariers auf, danach leitete die Generalstaatsanwaltschaft München Ermittlungen ein und ließ mehrere Objekte durchsuchen.
Auch der Europaabgeordneten und Spitzenkandidat der AfD, Maximilian Krah, wird verdächtig, Gelder von prorussischen Netzwerken erhalten zu haben. Im Fall Krah - und nicht nur hier - geht es zudem um China: Sein Parlamentsmitarbeiter wird beschuldigt, für China spioniert zu haben. Er wurde im April verhaftet.
Seither ist die AfD in Aufruhr - und das EU-Parlament hat einmal mehr vor Augen geführt bekommen, welchen Herausforderungen es ausgesetzt ist.
Der spanische EU-Chefdiplomat Josep Borell beschreibt die Gefahren so: "Desinformation ist keine Bombe, die dich töten kann, sondern ein Gift, dass dein Denken angreift - eine der größten Sicherheitsbedrohungen unserer Zeit".