Europawahl 2024
Orban-Kontrahent Magyar "Wir sind das allerkorrupteste Land der EU"
Im Frühjahr führte Peter Magyar Proteste gegen Ungarns Premier Viktor Orban an, die zu Massendemos wurden. Nun ist die Europawahl seine erste Bewährungsprobe. Orban gibt sich demonstrativ gelassen. Zu Recht?
Während Ungarns Ministerpräsident Viktor Orban im Europawahlkampf kaum zu sehen ist, tourt sein Kontrahent Peter Magyar wie ein Rockstar von Stadt zu Stadt und füllt die Marktplätze.
Seine Bühne ist ein Anhängerwagen, den er immer mitfahren lässt. In Kaposvar sprach er vor 2.000 Zuschauern, auch in Pecs und Gyula kamen einige Tausend, in der Orban-Hochburg Debrecen waren es knapp 20.000, in Budapest mehrere Hunderttausend.
Schwere Vorwürfe gegen Regierung
Magyar macht ordentlich Stimmung gegen die Fidesz-Regierung. "Seit unserem EU-Beitritt vor 20 Jahren sind Zehntausende Milliarden Forint an EU-Mitteln in unser Land geflossen und was ist aus uns geworden? Wir sind das zweitärmste Land der EU und das allerkorrupteste", sagte Magyar bei seinem Auftritt in Budapest.
Er zieht gerne den Vergleich zu Deutschland. Deutschland sei mit der Hälfte des Geldes nach dem Zweiten Weltkrieg wieder aufgebaut worden und habe sich zur führenden Wirtschaftsmacht in Europa entwickelt.
Magyar fordert, das System der Korruption in Ungarn zu zerschlagen und besser mit der EU zu kooperieren, damit EU-Fonds für Ungarn nicht mehr eingefroren werden.
Beim Thema Migration passt ihm allerdings die restriktive Haltung von Viktor Orban. Die würde er nicht verändern.
Ein Partner für die EVP?
Magyars Tisza-Partei will sich im EU-Parlament der konservativen EVP-Fraktion anschließen und damit auch ein Partner von CDU und CSU werden, wie es Orbans Fidesz früher einmal war. Die Umfragen sagen voraus, dass die Tisza aus dem Stand knapp über 20 Prozent holen wird.
Allerdings zieht sie vor allem Stimmen von den anderen Oppositionsparteien. Die Fidesz-Partei darf weiterhin mit mehr als 40 Prozent rechnen und muss sich noch keine Sorgen machen, dass ihre Vormachtstellung in Gefahr sein könnte.
Dennoch sei die neue Magyar-Bewegung spannender als bisherige Projekte der ungarischen Opposition. So sieht es der Politik-Analyst des unabhängigen Budapester Instituts "Political Capital", Robert Laszlo:
Die Bewegung wächst jeden Tag, von Auftritt zu Auftritt und man weiß noch überhaupt nicht, wie groß sie wird. Magyar mobilisiert neben den Oppositionswählern auch die Inaktiven und die Desillusionierten, weil er glaubwürdiger erscheint als die Opposition.
Zurückhalten, ignorieren
Magyar ist der Ex-Mann der ehemaligen Fidesz-Justizministerin Judit Varga, die wegen eines Pädophilieskandals alle politischen Ämter niederlegen musste. Danach hatte Magyar über das Machtsystem der Fidesz ausgepackt und angekündigt, dass er noch deutlich mehr Insiderwissen habe.
Orban geht auf seinen Kontrahenten nicht ein und ignoriert ihn demonstrativ. Er hält sich aber mit großen Wahlkampfauftritten auffällig zurück. "Er hat Angst, dass die vielen Menschen, die auf den Straßen sind, zu ihm kommen, gegen ihn protestieren und unschöne Bilder erzeugen", sagt Politik-Analyst Laszlo.
Die Fidesz-Partei nutzt die weitgehend regierungstreuen Massenmedien für ihren Wahlkampf und veröffentlicht Social-Media-Clips, die Orban im kleineren Kreis von Bürgern zeigt.
Wo landet Fidesz?
Nach der Wahl am 9. Juni könnten sich die Parteien in den beiden rechten Fraktionen des EU-Parlaments neu aufstellen, um stärkere Allianzen zu schmieden. Orbans Fidesz-Partei ist seit dem Streit und dem Rückzug aus der konservativen EVP-Fraktion immer noch fraktionslos.
Voraussichtlich wird sie sich der euroskeptischen EKR-Fraktion anschließen, in der Giorgia Melonis Fratelli d’Italia und die polnische PiS-Partei die wichtigsten Partner sind.
Allerdings haben Orban und die italienische Ministerpräsidentin Meloni bislang nicht sonderlich gut harmoniert. Unter anderem, weil Meloni klar auf der Seite der Ukraine steht und Orban ein enger Partner des russischen Präsidenten Wladimir Putin ist.
In einer früheren Fassung des Artikels hieß es, dass Judit Varga Finanzministerin gewesen sei. Tatsächlich war sie Justizministerin.
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