BAMF-Affäre Welche Vorwürfe haben sich erhärtet?
Von einem Skandal ist die Rede, von einer bandenmäßigen Kriminalität und Bestechung: Die Vorwürfe gegen das Bremer BAMF wiegen schwer. Doch welche Beschuldigungen haben sich bislang erhärtet?
Worum geht es in der Affäre?
Um Asylbescheide, die möglicherweise ohne ausreichende Rechtsgrundlage ausgestellt wurden. Bei der Bremer BAMF-Außenstelle sollen angeblich skandalöse Verhältnisse geherrscht haben, von Korruption und bandenmäßiger Kriminalität ist die Rede. Im Zentrum der Kritik steht die ehemalige Bremer BAMF-Leiterin Ulrike B. Die Staatsanwaltschaft hat den Verdacht, sie habe engen Kontakt zu drei Anwälten gehabt, deren Mandanten sie bevorzugt und ihnen unrechtmäßig Asyl erteilt habe.
Um wie viele Asylanträge geht es?
Die Zahl der Fälle ist deutlich geringer als öffentlich angenommen. So berichteten Medien immer wieder, die frühere Leiterin der BAMF-Außenstelle habe wohl in 1200 Fällen Asylanträge zu Unrecht bewilligt.
Auf Anfrage von NDR und Radio Bremen erklärte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge jedoch, diese Zahl sei dem Bericht der Internen Revision gar nicht zu entnehmen: "In dem Bericht vom 11. Mai 2018 werden 975 der 1336 durch Bremen positiv entschiedenen Verfahren als nicht plausibel eingestuft. Diese Einschätzung bedeutet nicht zwingend, dass diese 975 Verfahren materiell falsch sind."
Das BAMF korrigierte die Zahl der Fälle deutlich nach unten.
Vielmehr seien die von der Internen Revision eingesetzten Prüfer zu dem Schluss gekommen, dass "in 578 Fällen ein Widerruf geboten" sei. In anderen Verfahren seien zwar formelle Fehler gemacht worden - "dennoch wäre die Entscheidung auch von anderen Organisationseinheiten exakt gleich getroffen worden".
Das Verwaltungsverfahrensrecht sieht zwei Arten vor, wie ein behördlicher Bescheid aufgehoben werden kann: Rücknahme und Widerruf. Von einer Rücknahme spricht man, wenn ein Bescheid aufgehoben wird, weil er bei Erlass rechtswidrig war. Ein Widerruf ist die Aufhebung eines Bescheids, weil sich die Sach- oder Rechtslage geändert hat. Der Erlass war aber zunächst rechtmäßig.
Wurden Asylbewerber nach Bremen gebracht?
Ja. Aber das war kein Skandal. So wird in internen Revisionsberichten des BAMF die Zahl der in Bremen bearbeiteten Fälle aus anderen Zuständigkeitsbereichen als "außergewöhnlich" hoch dargestellt. Auf Nachfrage erklärte das BAMF nun gegenüber NDR und Radio Bremen, der Wert sei zwar hoch, aber die Bremer Außenstelle sei "zeitweise für Antragstellende aus anderen Zuständigkeitsbereichen zuständig" gewesen. Dies sei der Revision "zum Zeitpunkt der Prüfung nicht bekannt" gewesen.
Die Außenstelle Bremen hatte also Fälle aus dem Umland übernommen, um die dortigen Behörden zu entlasten.
Welche Auffälligkeiten gab es in Bremen?
In Bremen ging es vor allem um Jesiden. Die Schutzquote von Menschen jesidischen Glaubens lag 2013 bis 2017 bundesweit bei 86,44 Prozent. Die Quote in Bremen für diesen Personenkreis betrug 94,02 Prozent. Besonders auffällig laut BAMF-Revisionsbericht: Für das Jahr 2015 wurde eine hundertprozentige Schutzquote für Jesiden festgestellt.
Zu dieser Zeit waren Tausende Jesiden auf der Flucht vor dem "Islamischen Staat"; islamistische Kämpfer versklavten Angehörige der Minderheit und ermordeten viele. Die Vereinten Nationen sprachen von einem Völkermord, dementsprechend waren die Anerkennungsquoten für Jesiden in Deutschland sehr hoch.
Warum wurde Ulrike B. abgesetzt?
Ulrike B. war mehr als 20 Jahre Chefin der Bremer Außenstelle. 2016 wurde sie abgesetzt - aus disziplinarischen Gründen. Sie hatte gegen eine Dienstanweisung verstoßen, was Abschiebungen nach Bulgarien anging. Ihr Anwalt Erich Joester erklärt, im Nachhinein habe sich herausgestellt, dass Ulrike B. eine Verwaltungsvorschrift nicht beachtet habe, aber die Gerichte ihr zwischenzeitlich Recht gegeben hätten.
Auch dem BAMF lagen damals offenkundig keine Hinweise auf Korruption vor, in der Disziplinarverfügung heißt es, sie habe aus "humanitären " und nicht aus "eigennützigen" Motiven gehandelt.
Wie kam der aktuelle Verdacht zustande?
Die Staatsanwaltschaft stützte sich anfangs teilweise offenbar auf Angaben vom Hörensagen - und auf Hinweise eines Journalisten. Dabei handelt es sich um einen Mitarbeiter von Radio Bremen, der 2016 über die Flüchtlingskrise berichtet hatte. Radio Bremen erklärte dazu, der Mitarbeiter habe zu dem Zeitpunkt Asylsuchende an der BAMF-Außenstelle befragt. In einem Interview bekam er einen Hinweis auf kriminelle Machenschaften. Ein "Vermittler" biete an, dass der entsprechende Antrag schneller bearbeitet würde - gegen Zahlung von 500 Euro. Dieselbe Geschichte erzählten auch weitere Flüchtlinge.
Radio Bremen erklärte weiter, man habe sich dann im Rahmen der Recherche an Ombudspersonen des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge gewandt. Die wiederum schalteten die Staatsanwaltschaft Bremen ein. Dann, so Radio Bremen, habe man in einem vertraulichen Kontakt mit der Justizbehörde den Sachverhalt geschildert. Eine offizielle Aussage habe es nie gegeben. Die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft blieben aber ergebnislos. Im Sommer 2016 stellte die Behörde das Verfahren ein.
Ein Jahr später stellte das BAMF im November 2017 eine Strafanzeige gegen Unbekannt. Hintergrund war ein gefälschter Asylbescheid, der in der Außenstelle Gießen aufgetaucht war und der den Namen der Bremer BAMF-Leiterin Ulrike B. trug.
Auf welche Zeugen beruft sich die Staatsanwaltschaft noch?
In den Beschlüssen zu den Hausdurchsuchungen wird ein weiterer Zeuge benannt. Er soll 2016 auf einer niedersächsischen Polizeidienststelle angegeben haben, Flüchtlinge hätten ihm von Dolmetschern erzählt, die Daten von Asylsuchenden für 500 Euro manipulieren könnten. Die Ermittlungen der Polizei wurden damals eingestellt.
2018 taucht dieser Dolmetscher als ein Zeuge in den Ermittlungsakten auf. Auch seine Aussage ist Basis für die Durchsuchungsbeschlüsse gegen Ulrike B. und zwei beschuldigte Anwälte. Nach Informationen von NDR und Radio Bremen ist die Aussage des Zeugen aber gar nicht geeignet, die Amtsleiterin direkt zu belasten, da er keine konkreten Vorwürfe formuliert. Überdies weigere er sich mittlerweile verwertbare Angaben zu machen.
Nach Recherchen von NDR und Radio Bremen gibt es zudem Zweifel an der Glaubwürdigkeit des Zeugen. Es handelt sich um einen Dolmetscher, der für das BAMF Bremen tätig war. Die frühere Bremer BAMF-Chefin Ulrike B. habe dem Dolmetscher Hausverbot erteilt, sagt ihr Anwalt Erich Joester. Der Mann habe im BAMF Bremen unerlaubterweise Unterlagen kopiert und sei dabei erwischt worden.
Welche konkreten Hinweise gibt es auf Korruption?
Beweise, dass Ulrike B. Bestechungsgelder angenommen hätte, gibt es bis heute keine. Ihrem Anwalt zufolge geht es um eine Hotelübernachtung, die sie sich angeblich bezahlen ließ. Allerdings existiere eine Quittung, die belege, dass Ulrike B. die Kosten erstattet habe. Zudem gehe es um ein jesidisches Neujahrsfest, wo es Essen und Trinken gegeben habe. Dem NDR sagte der Anwalt: "Das war eine öffentliche Einladung, zu der jeder gehen konnte. Ob sie dort überhaupt etwas gegessen oder getrunken hat, weiß ich nicht."
Sind weitere BAMF-Mitarbeiter beschuldigt?
In dem Revisionsbericht des BAMF hieß es, dass weitere Mitarbeiter sowie der stellvertretende Referatsleiter von der Staatsanwaltschaft Bremen als "Beschuldigte" eingestuft seien. Auf Anfrage hat die Staatsanwaltschaft Bremen dem nun aber widersprochen: Im Bremer Amt sei bislang lediglich die ehemalige Amtsleiterin Ulrike B. beschuldigt.