Neue Initiative Ein zweifelhaftes Versöhnungsangebot
Eine neue Initiative nimmt für sich in Anspruch, die verhärteten Fronten im Streit um die Corona-Maßnahmen versöhnen zu wollen. Ihre bisherigen Aussagen lassen jedoch daran zweifeln.
"Wir werden in ein paar Monaten einander wahrscheinlich viel verzeihen müssen", so äußerte sich Gesundheitsminister Jens Spahn im Frühjahr vergangenen Jahres zu den Corona-Maßnahmen. Dies scheint sich auch eine deutsch-österreichische Initiative auf die Fahnen geschrieben zu haben, die sich "Corona-Aussöhnung" nennt.
Die 16 Beteiligten des Kollektivs sind allerdings mehrheitlich als Gegner der Corona-Maßnahmen aufgefallen, ausgesprochene Befürworter sind nicht darunter. Zu ihnen gehören untere anderem die Politologin Ulrike Guérot, die Anwältin Jessica Hamed, die Genderforscherin Magdalena Hanke, der Physiker Tobias Unruh sowie der ehemalige Ärztekammerpräsident Ellis Huber. Gemeinsam haben sie ein Thesenpapier verfasst.
Alte Anschuldigungen, widerlegte Thesen
Wie die Gruppe einen Aussöhnungsdialog auf Augenhöhe erreichen will, ist fraglich - und die aufgestellten Thesen lassen umso mehr daran zweifeln: Viele klingen weniger nach Versöhnungsangeboten als nach Konfrontration. So beklagen die Autorinnen und Autoren massives Framing in Bezug auf die Maßnahmen-Gegner, kritisieren aber, dass es dies nicht in Bezug auf die Befürworter gebe, um dann selbst vom "Rohrstockstaat", "selbsternannten Wahrheits-Richter*innen", "Drahtzieher*innen" und "Covid-19-Hysterie" zu sprechen.
Framing scheint es laut den Corona-Aussöhnern nur von einer Seite zu geben.
Im Text werden widerlegte Behauptungen, beispielsweise zu Obduktionen, dem PCR-Test und Intensivbetten wiederholt. Ohne Belege raunen die Autorinnen und Autoren von möglicherweise Millionen Toten durch die Corona-Maßnahmen. Untermauert werden die Forderungen unter anderem mehrfach mit der "Impfstudie" des Psychologen Harald Walach, obwohl diese wegen mehrerer Fehler, die die Interpretation der Ergebnisse grundlegend beeinflussen, von dem veröffentlichenden Journal zurückgezogen wurde. Walachs Universität beendete daraufhin aufgrund des "Mangels an wissenschaftlicher Sorgfalt und angemessener Methodik" die Zusammenarbeit mit ihm.
Autoren betonen Dialogbereitschaft
Das Kollektiv versicherte gegenüber tagesschau.de trotzdem seine Dialogbereitschaft: "Wir streben tatsächlich einen Dialog aller Beteiligten und das wertschätzende Anhören aller Meinungen an. In unserem Papier kommen fast ausschließlich Befürworter*innen von sinnvollen und wirksamen Maßnahmen gegen Infektionskrankheiten und Pandemien zu Wort. Deshalb halten wir auch bereits die Unterteilung in 'Befürworter*innen und Gegner*innen der Maßnahmen' grundsätzlich für problematisch."
Dass vornehmlich Unterstützerinnern und Unterstützer einer anderen Corona-Politik zu Wort kommen, solle zeigen, dass es eine sehr große Zahl unterschiedlichster Kritikerinnen und Kritiker der Regierungsmaßnahmen gibt und dass diese weder "rechts" noch "unwissenschaftlich" sind, wie ihnen oft zugeschrieben werde. Anders als andere Akteurinnen und Akteure erheben sie keinen Wahrheitsanspruch, betonen die Autoren: "Gegenansichten dürften und sollten gerne an sie herangetragen werden."
Wie sich das mit dem selbstgewählten Anspruch vereinbaren lässt, die "sinnvollen und wirksamen Maßnahmen gegen Infektionskrankheiten und Pandemien" zu vertreten, bleibt offen. Das Thesenpapier mag trotz seiner Mängel als Grundlage zu Diskussionen dienen. Den Anspruch, Gräben zu überwinden, erfüllt es so - noch - nicht. Dafür spricht auch, dass das Wort "Aussöhnung" jenseits des Titels und des Kampagnen-Hashtags kein einziges Mal auf den 66 Seiten zu finden ist.