Corona-Inzidenz Wirbel um Studie zum Ct-Wert
Sind PCR-Tests ungeeignet, um die pandemische Lage zu messen? Über diese Frage ist erneut eine Diskussion entbrannt, konkret geht es um den sogenannten Ct-Wert.
Medienberichte über eine Datenauswertung haben Diskussionen über die PCR-Tests, den Ct-Wert und die Maßnahmen gegen die Ausbreitung des Coronavirus ausgelöst. Die "Bild"-Zeitung berichtete am Sonntagabend, "positive PCR-Tests taugen nicht zur Einschätzung der Pandemie-Situation". Zu diesem Ergebnis sei eine Studie der Universität Duisburg/Essen gekommen, die mehr als 190.000 Test-Ergebnisse von mehr als 160.000 Menschen ausgewertet habe. Die "Bild" brachte dazu die Schlagzeile: "PCR-Tests keine Grundlage für politische Maßnahmen".
Basis für die Meldung war eine Pressemitteilung der Uni Duisburg/Essen vom Freitag. Darin heißt es, der Inzidenzwert bilde für Bund und Länder "eine wichtige Basis, um Anti-Corona-Maßnahmen zu begründen, zum Beispiel Kontaktbeschränkungen bzw. Ausgangssperren". Dies stellten Forschungsteams aus Essen und Münster jedoch aufgrund ihrer Datenauswertung infrage. "Ein positiver RT-PCR-Test allein ist nach unser Studie kein hinreichender Beweis dafür, dass Getestete das Coronavirus auf Mitmenschen auch übertragen können", wird Andreas Stang, Direktor des Instituts für Medizinische Informatik, Biometrie und Epidemiologie (IMIBE) des Universitätsklinikums Essen, zitiert. Und weiter: Die am Ende errechnete Zahl von SARS-CoV-2 positiv Getesteten sollte daher nicht als Grundlage für Maßnahmen zur Pandemiebekämung benutzt werden.
Richtwert, kein Grenzwert
Hintergrund der Zweifel an der Eignung von PCR-Testergebnissen ist der sogenannte Ct-Wert. Dieser gibt an, ob ein Coronavirus-Infizierter ansteckend ist. Ein niedriger Ct-Wert zeigt, dass eine Person eine hohe Viruslast hat und ansteckend ist. Ein hoher Ct-Wert von größer als 30 gilt hingegen als Richtwert dafür, dass ein Infizierter nicht ansteckend ist.
Ein Grenzwert ist das aber nicht, weil PCR-Tests nicht standardisiert und die Ergebnisse abhängig von der Entnahme der Proben sind. Zudem müsse die jeweilige Person auf ihre Krankengeschichte individuell betrachtet werden.
Die Fachleute der Uni Essen haben nach eigenen Angaben rund 190.000 Proben analysiert und kommen zu dem Schluss, dass bis zu 78 Prozent der positiv-getesteten Personen sehr wahrscheinlich nicht mehr ansteckend gewesen sind. Daher sei die Sieben-Tage-Inzidenz nicht geeignet, um das Pandemie-Geschehen zu erfassen. Zumindest nicht allein.
Die Fachleute raten deshalb, Daten aus anderen Bereichen zur Bewertung der Pandemie-Lage zu erheben beziehungsweise zu nutzen. "Geeigneter wären zum Beispiel verlässliche Angaben zur Intensivbetten-Belegung sowie zur Mortalität, also zu der jeweiligen Zahl der Todesfälle in Zusammenhang mit Covid-19", so der Epidemiologe Stang.
"Schon immer weitere Faktoren einbezogen"
Das Robert Koch-Institut (RKI) weist auf Anfrage allerdings darauf hin, dass zur "Bewertung der Lage - neben der Inzidenz - schon immer verschiedene weitere Faktoren mit einbezogen" würden. So beispielsweise in den täglichen Situationsberichten oder auch bei der Strategie "ControlCOVID - Optionen zur stufenweisen Rücknahme der COVID-19-bedingten Maßnahmen bis Ende des Sommers 2021", in dem ebenfalls beschrieben werde, dass die darin vorgeschlagenen Maßnahmen "nicht nur an einen Indikator gekoppelt werden".
Tatsächlich werden die Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie aber an den Inzidenzwert gekoppelt. Das Bundesgesundheitsministerium teilte auf Anfrage mit, dieser stelle "nach wie vor den am besten geeigneten Mechanismus dar, dass zu treffende Maßnahmen rechtzeitig, zielgenau, rechtssicher und verhältnismäßig wirken können". Übergeordnet sei zu berücksichtigen, "dass zwischen der Sieben-Tage-Inzidenz und anderen für die Beurteilung des Pandemiegeschehens relevanten Faktoren eine Korrelation besteht, so dass der Inzidenzwert auch diese Faktoren mit abbildet".
Diskussion ist nicht neu
Die Diskussion um den Ct-Wert ist nicht neu. Im September 2020 hatte tagesschau.de über den Umgang mit dem Wert berichtet - und dass dieser vereinzelt für Quarantäne-Entscheidungen genutzt wird.
Dabei hatten Fachleute auf praktische Probleme hingewiesen. So könne man eine Entscheidung darüber nicht vom Ct-Wert alleine abhängig machen: Denn erstens müsse man sicherstellen, dass die Probe richtig entnommen wurde, zweitens müsse man klären, ob der positiv getestete Patient sich in der Phase einer ansteigenden oder absteigenden Infektion befinde.
Maximalwerte aufgeführt
Hinterfragen lässt sich zudem die Angabe aus der Pressemitteilung der Uni zu der Studie, wonach 78 Prozent der positiv-getesteten Personen sehr wahrscheinlich nicht ansteckend seien. Schaut man sich die genauen Zahlen an, wird deutlich: Dieser Wert bezieht sich lediglich auf den Frühling 2020 und auf lediglich 305 positive Tests.
Weiterhin bezieht sich diese Angabe auf einen Ct-Wert von kleiner als 25. RKI und andere Organisationen gehen hingegen von einem Richtwert von 30 aus, ab dem Infizierte nicht mehr ansteckend seien. Nimmt man den Richtwert von 30, sinkt die Zahl von den genannten 78 Prozent auf 53 Prozent.
In den folgenden Monaten steigt zudem der Anteil der Tests mit einem Ct-Wert unter 30 - also ansteckend - deutlich: auf rund 70 Prozent.
Kalenderwochen | Zahl der positiven Tests | <25 | <30 |
---|---|---|---|
10-19 | 305 | 22,1 | 46,8 |
20-44 | 2418 | 40,5 | 69,6 |
45-49 | 1441 | 41,8 | 70,7 |
Studienleiter Stang sagte dazu im Gespräch mit tagesschau.de, man habe sich bei dem Wert von 25 an britischen Daten orientiert, denen zufolge bei einem Ct-Wert von über 25 keine Ansteckungen mehr in Familien vorgekommen sind. Stang betonte, man könne aber auch den Richtwert 30 benutzen und würde sehen, dass ein relevanter Anteil von positiv-getesteten Personen nicht infektiös sei. Es sei daher wichtig, nicht nur das Testergebnis zu dokumentieren, sondern auch Symptome und Ct-Wert - dies gelte insbesondere im Hinblick auf Quarantäne-Maßnahmen.
Stang warnte, man dürfe den Sommer nicht wieder verschlafen, sondern müsse differenzierte Instrumente entwickeln für den Herbst und Winter. Die Sieben-Tage-Inzidenz wird seiner Meinung nach zunehmend ungenau, da sich die Zahl der Menschen, die sich noch infizieren können, durch geimpfte und genesene Personen reduziert. Generelle Lockdown-Maßnahmen, die nur auf diesem Wert basierten, seien daher zweifelhaft. Am zuverlässigsten sind seiner Meinung nach Zahlen über beatmete Covid-19-Patienten. Auf Basis dieser Daten seien auch bereits Forecast-Berechnungen erstellt worden, die bei der Bekämpfung der Pandemie helfen können.
Veränderte Situation
Die Diskussion über den Ct-Wert ist also keineswegs neu, allerdings stellen sich angesichts der veränderten Situation - beispielsweise durch die Impfungen von Risikogruppen - neue Fragen, welche Instrumente geeignet sind, um generelle und extrem weitgehende Einschränkungen von Grundrechten bei einer möglichen neuen Welle zu vermeiden. Der Ct-Wert kann dabei mutmaßlich ein Faktor sein, um individuelle Einschränkungen - wie Quarantäne-Anordnungen für ganze Familien - genauer zu überprüfen.