Corona-Pandemie Desinformation statt globaler Antworten
Vom "chinesischen Virus" spricht US-Präsident Trump. China und der Iran behaupten, Corona stamme aus den USA. Solche Vorwürfe und Spekulationen behindern globales Handeln gegen die Pandemie.
Die Furcht vor unsichtbaren Krankheitserregern zählt zu den Urängsten, sie ist natürlich und löst emotionale Reaktionen aus. Sie wurde deshalb auch immer schon ausgenutzt - um Angst vor Fremden zu schüren, um Feindbilder zu stärken, um Vertrauen in staatliche Institutionen zu schwächen oder auch um autoritäre Maßnahmen zu begründen und von eigenen Versäumnissen abzulenken.
Dies spielt nun auch eine Rolle in Debatten um Herkunft und Verbreitung des neuartigen Coronavirus sowie um die sich weltweit ergebenden Folgen. Der Grat zwischen seriöser Information und angebrachter Kritik einerseits sowie gezielter Desinformation und fehlleitender Spekulation andererseits ist nicht immer leicht auszumachen. So zitieren chinesische Vertreter westliche Websites oder deutsche Autoren treten auf russischen Seiten auf. Es lassen sich jedoch Strategien oder zumindest Muster erkennen.
Deutlich wird dies beispielsweise an der Debatte zwischen den USA und China. So spricht US-Präsident Donald Trump beharrlich vom "chinesischen Virus". Sein Außenminister Mike Pompeo erregte den Widerstand seiner Amtskollegen der G7-Staaten, weil er den Begriff "Wuhan-Virus" in ihrer gemeinsamen Abschlusserklärung sehen wollte.
Ein Sprecher des chinesischen Außenministeriums wiederum schrieb, es gebe Belege für die Herkunft des Coronavirus aus den USA. Er verwies auf eine pseudowissenschaftliche kanadische Website, die unter anderem unbelegte Behauptungen über Gefahren von Impfstoffen verbreitet.
Der iranische Revolutionsführer Ali Chamenei lehnte US-Hilfe ebenfalls mit der Begründung ab, die Vereinigten Staaten hätten das Virus hergestellt, um seine Feinde zu schwächen.
Spekulationen gefährden Kooperation
In einer im Februar auf der Plattform "Virological" und am 17. März im Wissenschaftsmagazin "Nature" veröffentlichten Studie erklärten fünf Forscher, es sei unwahrscheinlich, dass SARS-CoV-2 durch Manipulation eines existierenden SARS-ähnlichen Coronavirus entstanden sei. Sie gehen vielmehr davon aus, dass sich das neuartige Coronavirus in der Tierwelt entwickelt hat - ähnlich wie andere Viren, die auf den Menschen übergesprungen sind.
In der Medizinfachzeitschrift "The Lancet" veröffentlichten weitere Wissenschaftler ein Statement, das die Erkenntnisse unterstützt. Zugleich kritisierten sie, dass Verschwörungstheorien "Angst, Gerüchte und Vorurteile erzeugen, die die globale Kooperation im Kampf gegen das Virus gefährden".
Forscher des "Shanghai Public Health Clinical Centre" hatten Ende Dezember Daten über das Genom des Virus veröffentlicht, dessen Analyse auf eine Herkunft aus Fledermäusen hinweist. Laut einer weiteren Studie aus China im Februar könnte das Virus von Fledermäusen auf Gürteltiere und von dort auf Menschen übertragen worden sein.
Tests im Biolabor
Doch auch russische Medien wie "Sputnik Armenien" und "Ren TV" verbreiten Spekulationen, das Virus könnte als Biowaffe im Labor erzeugt worden sein. Dies wird verbunden mit der Forderung, die USA müssten ihre Einrichtungen internationalen Beobachtern zugänglich machen. Es handelt sich um Biolabore, die die USA in den vergangenen Jahren in postsowjetischen Staaten finanzierte und ausstattete.
Das von den USA finanzierte "Lugar Lab" ist immer wieder Ziel von Mutmaßungen über die Verbreitung von Krankheiten.
Eines ist das "Lugar Centre for Public Health Research" in Georgien. Schon seit Jahren gibt es Berichte, dass von diesem Labor aus Krankheiten verbreitet würden. 2018 gab ein ehemaliger georgischer Minister russischen Medien ein Interview. Er behauptete, bei der Behandlung von Hepatitis C durch das Labor seien 24 Patienten an einem Tag gestorben. In einem späteren Interview mit der BBC musste er zugeben, dass er keine Belege für seine Aussagen hatte.
Jetzt in der Corona-Krise führt das Biolabor die Tests durch und trägt dazu bei, dass die Lage in Georgien vergleichsweise gut unter Kontrolle ist. Auch im benachbarten Armenien hatten die USA ein Biolabor finanziert. Beide Einrichtungen erhielten in den vergangenen Jahren Besuch von internationalen Beobachtern, das Labor in Georgien auch von Journalisten unter anderem aus Russland.
Georgien hat die Lage recht gut unter Kontrolle, auch dank Tests in einem von den USA finanzierten Biolabor.
Die Verbreitung von Desinformationen über Krankheiten geht bis in Sowjetzeiten zurück. Mitte der 1980er-Jahre verbreitete der KGB die Behauptung, das AIDS verursachende HI-Virus sei von einem US-Militärforschungslabor in Maryland entwickelt worden. Das gab 1992 der damalige Chef der russischen Aufklärung, Jewgeni Primakow, zu. Bis heute umstritten ist die Rolle der DDR und der Stasi dabei. Sicher ging es jedoch darum, das Feindbild USA zu stärken.
Komplexe Theorien
Die aktuellen Spekulationen werden zu komplexen Theorien gesponnen. Auf italienischen Websites und auf der Seite "Global Research" wird eine Verbindung zum NATO-Manöver "Defender 2020" hergestellt.
Auf Whatsapp wiederum werden Nachrichten in teils brüchigem Deutsch verbreitet, wonach die USA immer mehr Truppen an den Grenzen zu Russland stationierten, während die Welt mit dem Virus beschäftigt sei. Am Ende heißt es: "Dies ist ein Thema, das von den Medien gestellt werden sollte, um herauszufinden, was sich hinter dem rauchendem Vorhang Coronavirus verbirgt!"
Doch das Manöver war weder geheim, noch kurzfristig anberaumt. Angesichts der sich zuspitzenden Lage in Europa wurde die Logistikübung inzwischen abgebrochen.
Eine Tyrannei unter dem Deckmantel der Pandemie?
Mehr Unsicherheit verbreiten wollen auch pro-russische Seiten wie "South Front", wenn sie über eine kommende "Tyrannei" sinnieren. Der Börsenmakler Dirk Müller wiederum sieht die Welt am Abgrund aufgrund überzogener Maßnahmen. Zu sehen ist sein Video auf der Seite "Katehon", gegründet und finanziert vom erzkonservativen Oligarchen Konstantin Malofejew aus Russland. Zu den Autoren der Seite zählen der russische Eurasianist Alexander Dugin und der Chefredakteur des rechtsextremen Magazins "Zuerst!", Manuel Ochsenreiter.
Ideologischer Wettbewerb
Der russische Staatssender "RT Deutsch" wiederum publiziert Artikel, in denen wahlweise der Bundesregierung komplettes Versagen vorgeworfen oder das Virus als wenig gefährlich beschrieben wird. Dann wiederum wird ausführlich über russische Hilfe für Italien berichtet.
Eine schlüssige russische Desinformationsstrategie ist daraus nicht abzulesen und wohl auch nicht beabsichtigt. Ein Tenor ist jedoch: Der Westen ist schwach und Länder wie Russland und China stark. So schreibt der russische Politikexperte Dmitri Trenin: "Die Demokratien weltweit schneiden in der Krise nicht besser ab als Nicht-Demokratien." China, Südkorea und Japan seien wesentlich effektiver als Staaten mit "lockerer sozialer Organisation". Hier ist die Frage, ob die drei Staaten zu einer Kategorie zu zählen und wie zum Beispiel der Iran einzuordnen wäre.
Trenin schreibt von einem russischen Wettbewerb mit dem Rest der Welt - nicht aber von einem gemeinsamen Feind der Menschheit, der keine Unterschiede zwischen Ideologien macht und keine Grenzen und Nationalitäten kennt.