Karliczek-Äußerungen Wie geht es Kindern in "Regenbogenfamilien"?
Forschungsministerin Karliczek hat eine Langzeitstudie zu den Auswirkungen gleichgeschlechtlicher Elternschaft gefordert. Allerdings liegen bereits umfangreiche Forschungsergebnisse vor.
Von Patrick Gensing, tagesschau.de
Bildungsministerin Anja Karliczek steht wegen Äußerungen zu Kindern von gleichgeschlechtlichen Eltern in der Kritik. Die CDU-Politikerin hatte auf ntv gesagt, dass es eine "spannende Forschungsfrage" sei, welche Auswirkungen gleichgeschlechtliche Elternschaft auf Kinder hätten". Die Entscheidung für die Ehe für alle bezeichnete sie als "überstürzt". Grundsätzliche Strukturen würden verändert, ohne dass die Konsequenzen ausreichend erforscht seien. "Wir verschieben die ganze Gesellschaft und reden gar nicht darüber."
Karliczek selbst hatte 2017 gegen die Ehe für alle gestimmt - und das so begründet:
Ich bin aber der festen Überzeugung, dass die für heute geplante Abstimmung der Bedeutung des Themas nicht gerecht wird. Im Gegensatz dazu wie immer behauptet wird, gibt es keine Langzeitstudien zu den Auswirkungen auf Kinder in gleichgeschlechtlichen Partnerschaften. Meine Einschätzung als Mutter dreier Kinder ist die, dass es für die Entwicklung von Kindern wichtig ist, das emotionale Spannungsfeld zwischen Vater und Mutter zu erleben.
Stimmt das?
Stimmt es, dass das Thema noch nicht ausreichend erforscht sei oder sogar keine Langzeitstudien vorliegen? Wie ist die Studienlage? Das Deutsche Jugendinstitut fasste den Forschungsstand zusammen und bilanzierte:
Internationale wissenschaftliche Studien kommen einstimmig zu dem Ergebnis, dass sich Kinder, die bei gleichgeschlechtlichen Paaren aufwachsen, mindestens ebenso gut entwickeln wie Kinder mit einem gemischtgeschlechtlichen Elternpaar (für einen Überblick z.B. Adams & Light, 2015; Goldberg & Gartrell, 2014; Golombok & Tasker, 2015; Golombok, 2017). Untersucht wurden verschiedene Bereiche der kindlichen Entwicklung wie die Beziehung zu den Eltern, psychisches Wohlbefinden, emotionale und Verhaltensprobleme, Bildungserfolg, soziale Entwicklung sowie sexuelle Orientierung und Geschlechtsidentität. In keinem dieser Bereiche fanden sich bedeutsame Unterschiede in der kindlichen Entwicklung in Abhängigkeit von der sexuellen Orientierung der Eltern (Biblarz & Stacey, 2010; Bos, Knox, van Rijn-van Gelderen & Gartrell, 2016; Crowl, Ahn & Baker, 2008; Dufur, McKune, Hoffmann & Bahr, 2007; Fedewa, Black & Ahn, 2015; für einen Überblick siehe auch Goldberg, 2010).
Die Columbia Law School listet 75 Untersuchungen auf, die feststellten, dass Kinder von gleichgeschlechtlichen Eltern keine Nachteile hätten. Vier Studien kamen zu einem anderen Schluss, untersuchten demnach aber Fälle von Kindern, die zunächst bei heterosexuellen Eltern gelebt hatten und nach der Trennung der Eltern oder anderen Problemen von gleichgeschlechtlichen Paaren adoptiert wurden.
Eine der längsten Studien zu diesem Thema wird seit 1986 in den USA durchgeführt und begleitet Familien lesbischer Paare. Die Forscher konnten auch keine nachteiligen Auswirkungen der Homosexualität der Eltern auf die Kinder feststellen.
Das australische "Institut of Familiy Studies" kam ebenfalls zu dem Ergebnis, dass es Kinder bei gleichgeschlechtlichen Eltern nicht schlechter hätten als Kinder von heterosexuellen Paaren.
Risikofaktor durch Diskriminierung
Das Deutsche Jugendinstitut weist allerdings darauf hin, dass es tatsächlich einen spezifischen Risikofaktor für die Entwicklung von Kindern gleichgeschlechtlicher Paare geben könnte, nämlich Diskriminierungserfahrungen durch Gleichaltrige. Allerdings würden negative Konsequenzen durch eine gute Beziehungsqualität zu den Eltern abgemildert, heißt es. Zudem können für Diskriminierungen wohl kaum die gleichgeschlechtlichen Eltern verantwortlich gemacht werden.
Laut dem Familienreport des Bundesfamilienministeriums gab es im Jahre 2015 etwa 7000 gleichgeschlechtliche Lebensgemeinschaften, die mit minderjährigen Kindern im Haushalt ("Regenbogenfamilien") lebten. Dies entsprach einem Anteil von weniger als 0,1 Prozent aller Familien.
In Deutschland gab es 2015 etwa 7000 "Regenbogenfamilien".
Familienform nicht entscheidend
Zutreffend ist, dass auf Deutschland bezogen noch keine Langzeitstudien vorliegen; international aber durchaus. Zudem kommen Dutzende Untersuchungen zu übereinstimmenden Ergebnissen: Die Familienform ist weniger entscheidend als die Art und Weise, wie Familie gelebt wird.
Dass das "emotionale Spannungsverhältnis zwischen Vater und Mutter", auf das sich Karliczek aus ihrer persönlichen Erfahrung bezieht, für die Entwicklung von Kindern wichtig sei, ist durch Forschungsergebnisse nicht belegt. Die große Mehrzahl der Untersuchungen kommt zu dem Schluss, dass es Kinder bei gleichgeschlechtlichen Eltern keinesfalls schlechter haben.