Krawalle in Chemnitz Falschmeldung über offizielle Reisewarnung
Rund um die Krawalle in Chemnitz kursieren im Netz Falschmeldungen über offizielle Reisewarnungen. Doch weder Kanada noch die Polizei haben solche ausgesprochen.
Von Patrick Gensing, ARD-faktenfinder
"Die Polizei rät allen Migranten in Chemnitz, die Wohnungen nicht zu verlassen." Ein Tweet, der am 27. August 2018 veröffentlicht wurde und für Entsetzen sorgte - und in den folgenden Stunden mehr als tausendmal retweetet wurde.
Auch auf Blogs war die Behauptung zu lesen, die Polizei rate Migranten in Chemnitz dazu, zu Hause zu bleiben. Eine rechtsradikale Netzseite verbreitete die Meldung ebenfalls - Kommentatoren freuten sich über diesen "Erfolg".
Polizei dementiert
Doch in den Pressemitteilungen der Polizei finden sich keine entsprechenden Warnungen. Auch auf Anfrage erklärte die Polizei, es habe keine entsprechende offizielle Warnung gegeben.
Tatsächlich hatte allerdings die "RAA Sachsen Opferberatung" auf Facebook empfohlen, dass wegen der rechtsradikalen Demonstrationen "Migranten die Innenstadt ab Nachmittag großflächig" meiden sollten. Man rechne "mit gewaltbereiten Neonazis und Rassisten, die gezielt auf Gefüchtete als auch Gegendemonstrant_innen losgehen wollen". Eine Befürchtung, die sich später bestätigte.
Keine Reisewarnung aus Kanada
Bereits seit Längerem kursieren zudem Meldungen, wonach Kanada eine Reisewarnung für Ostdeutschland herausgegeben habe. Dies wurde 2015 in zahlreichen großen Medien berichtet, entsprechende Meldungen sind im Netz noch oft zu finden.
Anlässlich der Krawalle in Chemnitz tauchten diese Meldungen wieder auf. Doch die Information war bereits 2015 falsch - und sie ist es noch heute: Kanada hatte keine Reisewarnung für Deutschland ausgesprochen, sondern empfiehlt normale Sicherheitsvorkehrungen. Es handelt sich um die niedrigste Risikobewertung, weil es keine wesentlichen Sicherheitsbedenken gebe. Die allgemeine Sicherheitssituation sei ähnlich wie in Kanada.
Älterer Hinweis
Obwohl dies auf den Seiten der kanadischen Regierung nachzulesen war und ist, gab es 2015 plötzlich eine Diskussion über die angebliche Reisewarnung. Die zahlreichen Berichte dazu basierten auf einen deutlich älteren Hinweis, wie das BildBlog und Zeit Online aufklärten. So hatte Kanada seine Sicherheitshinweise im Jahr 2005 ergänzt und angemerkt, dass extremistische Jugendbanden in einigen Kleinstädten und Teilen von Ostdeutschland eine Gefahr seien. Mitglieder solcher Banden seien dafür bekannt, Personen wegen ihrer Ethnie oder "ausländischen" Aussehens anzugreifen.
Extremist youth gangs are a threat, particularly in some smaller urban areas and in parts of former East Germany. Gang members have been known to harass or attack individuals because of their race or for looking "foreign".
Dieser Hinweis war allerdings keine offizielle Reisewarnung für ganz Ostdeutschland. Mittlerweile findet sich der Hinweis auch nicht mehr auf den Seiten der kanadischen Regierung. Die Sicherheitshinweise wurden aber erst vor wenigen Tagen angepasst - mit der Empfehlung, beim Oktoberfest auf Taschendiebe zu achten.