Anti-Terror-Maßnahme Was bringt die elektronische Fußfessel?
Nach dem Anschlag in Wien will die österreichische Regierung mehrere Anti-Terror-Maßnahmen umsetzen. Darunter auch die elektronische Fußfessel für entlassene Extremisten. Kann sie Anschläge verhindern?
Eine Woche nach dem islamistischen Terroranschlag in einem beliebten Ausgehviertel von Wien mit vier Toten hat die österreichische Bundesregierung ein Anti-Terror-Paket erarbeitet, mit dem derartige Attentate verhindert werden sollen.
Zu den Maßnahmen gehört die Möglichkeit einer Aberkennung der österreichischen Staatsbürgerschaft nach einer Terrorverurteilung und die Präventivhaft für terroristische Straftäter - bis hin zu lebenslanger Verwahrung, wenn von der Person weiterhin eine hohe Gefahr ausgeht.
Aus der Haft entlassene Terroristen - wie der Attentäter von Wien - sollen zudem künftig besser überwacht werden. Und zwar mit elektronischen Fußfesseln oder Armbändern. "Das ist ein starker Eingriff, aber aus meiner Sicht ein notwendiger Schritt, um das Bedrohungsrisiko für unsere Bevölkerung zu minimieren", sagte Österreichs Bundeskanzler Sebastian Kurz am Mittwoch bei einer Pressekonferenz.
Dürftige Bilanz der Fußfessel
Die elektronische Aufenthaltsermittlung von terroristischen "Gefährdern" mittels Fußfessel wird seit einigen Jahren in vielen europäischen Staaten als Anti-Terror-Maßnahme diskutiert. Auf diese Weise könne die ansonsten personell, zeitlich und finanziell sehr aufwendige Überwachung durch die Polizei und Geheimdienste zumindest teilweise ersetzt werden, heißt es oft.
Die bisherige Bilanz ist allerdings eher dürftig. In der Praxis erweist sich die elektronische Fußfessel als wenig effektiv, um Anschläge zu verhindern - das zeigen gleich mehrere Vorfälle aus Großbritannien, Frankreich und auch Deutschland.
In Deutschland gibt es 120 Fußfessel-Träger
Derzeit tragen rund 120 Menschen hierzulande elektronische Fußfesseln - die meisten in Bayern, Hessen und Baden-Württemberg. Kontrolliert werden sie zentral durch die Gemeinsame elektronische Überwachungsstelle der Länder (GÜL), die in einem Hochsicherheitsgefängnis im hessischen Weiterstadt angesiedelt ist. Mehr als ein Dutzend Mitarbeiter sind hier dafür zuständig zu überprüfen, ob sich die Fußfessel-Träger an die Auflagen halten, ob sie einem strukturiertem Tagesablauf nachgehen und ob der Akku des knapp 150 Gramm schweren Geräts geladen werden muss.
In Deutschland kann die elektronische Aufenthaltsüberwachung im Rahmen der Führungsaufsicht bei entlassenen Straftätern durch Gerichte angeordnet werden. In den meisten Fällen handelt es sich dabei um verurteilte Gewalt- und Sexualstraftäter, die mindestens eine zweijährige Haftstrafe abgesessen haben und bei denen das Risiko weiterer Taten als sehr hoch eingeschätzt wird. Viele dürfen sich nach der Haftentlassung nicht in bestimmten Regionen - teilweise Bezirken oder sogar ganzen Bundesländern - aufhalten.
"Große" und "kleine Fußfessel"
Um dies sicherzustellen, tragen sie die "große Fußfessel", die jederzeit eine GPS-Ortung des Trägers auf wenige Meter genau ermöglicht. Bei anderen wiederum wird nur kontrolliert, ob sie sich zu bestimmten Zeiten zuhause aufhalten, sie tragen die sogenannte "kleine Fußfessel".
Seit einer Gesetzesänderung im Jahr 2017 darf das BKA auch Personen eine elektronische Fußfessel verordnen, die keine entlassenen Straftäter sind, sondern als Gefährder gelten, denen jederzeit schwere Gewalttaten zugetraut werden. "Das Bundeskriminalamt kann eine Person dazu verpflichten, ein technisches Mittel, mit dem der Aufenthaltsort dieser Person elektronisch überwacht werden kann, ständig in betriebsbereitem Zustand am Körper bei sich zu führen und dessen Funktionsfähigkeit nicht zu beeinträchtigen", heißt es dazu im BKA-Gesetz Paragraph 56.
Überwachung durch Länder statt durch BKA
Die Überwachung der rund 250 islamistischen Gefährder, die sich aktuell in Deutschland auf freiem Fuß befinden, findet jedoch nahezu ausschließlich durch die Polizeien der Länder statt - und eben nicht durch das BKA. Oder anders gesagt: Das BKA hat keine "eigenen" Gefährder. Und nur in wenigen Bundesländern, etwa in Bayern und in Hessen, gibt es bislang überhaupt die rechtliche Möglichkeit, potenzielle Terroristen mit einer elektronischen Fußfessel zu überwachen. Genutzt wird sie als Anti-Terror-Maßnahme indes kaum.
Das Bundeskriminalamt (BKA) hatte bereits 2017 in einer Analyse vor den Risiken der elektronischen Fußfessel bei der Überwachung von islamistischen Gefährdern gewarnt. "Nicht sinnvoll", so schrieben die Kriminalisten damals, sei der Einsatz eines solchen Geräts, wenn zeitgleich "verdeckte Maßnahmen durchgeführt oder geplant sind". Also wenn beispielsweise gegen eine Person wegen konkreten Terrorverdachts ermittelt wird.
Fußfessel nur selten zweckmäßig
Lediglich, wenn es noch nicht für einen Haftbefehl reiche und der Islamist dennoch aufgrund der Gefahrenlage überwacht werden müsse, könne die Fußfessel für eine kurze Zeit zweckmäßig sein. Bei Gefährdern, "die aus einer religiösen Motivation den festen Entschluss gefasst haben, schwerste politisch motivierte Straftaten zu begehen", so heißt es in der BKA-Analyse, sei nicht davon auszugehen, dass es eine "hohe Mitwirkungsmotivation" gebe - die bei den Trägern einer elektronischer Fußfessel allerdings zumindest teilweise vorhanden sein müsse. Ansonsten sei mit einem "erheblich höheren und gegebenenfalls sogar absichtlich herbeigeführten Alarmierungsaufkommen zu rechnen".
Und tatsächlich gibt es eine Reihe von Attentaten durch islamistische Terroristen, die trotz elektronischer Fußfessel Menschen ermorden oder schwer verletzten konnten. In London tötete ein Islamist im November 2019 zwei Menschen bei einem Messerangriff und verletzte drei weitere Passanten. Der 28-jährige Attentäter war 2012 zu einer Gefängnisstrafe verurteilt worden und kam im Dezember 2018 auf Bewährung frei. Er bekam die Auflage, eine elektronische Fußfessel zu tragen, die ihn jedoch offensichtlich nicht davon abhielt, sein Attentat zu verüben.
Frankreich: Anschlag trotz Fußfessel
Im Juli 2016 verübten zwei 19-jährige Islamisten im nordfranzösischen Saint-Étienne-du-Rouvray einen Anschlag in einer Kirche und ermordeten den 85 Jahre alten Priester Jacques Hamel, bevor sie von einer Spezialeinheit der Polizei erschossen wurden. Einer der Attentäter hatte versucht, sich der Terrormiliz "Islamischer Staat" (IS) in Syrien anzuschließen und saß daher einige Monate in Frankreich in Untersuchungshaft.
Im März 2016 wurde der Extremist entlassen und durfte die Wohnung der Eltern fortan nur zwischen 08.30 Uhr und 12.30 Uhr verlassen. Um dies zu überwachen, musste der Islamist eine elektronische Fußfessel tragen - den Anschlag in der nahegelegene Kirche verübte er gegen 09.30 Uhr.
Auch Angriffe von Fußfessel-Trägern in Deutschland
Auch in Deutschland gab es bereits einen Angriff eines Islamisten, der mit einer elektronischen Fußfessel überwacht wurde. Der Iraker Rafik Y. war im Juli 2008 vom Oberlandesgericht Stuttgart zu acht Jahren Haft verurteilt worden, weil er als Anhänger der islamistischen Terrorgruppe Ansar al-Islam geplant hatte, den damaligen irakischen Premierminister Ijad Allawi bei einem Staatsbesuch in Berlin zu töten. Im Frühjahr 2013 kam Rafik Y. aus dem Gefängnis frei.
Er galt weiterhin als sehr gefährlich, musste daher eine elektronische Fußfessel tragen und sich wöchentlich bei der Polizei melden. Am Morgen des 17. September 2015 entfernte sich der 41-Jährige das elektronischen Überwachungsgerät. Noch bevor die Polizei den Islamisten aufgrund des ausgelösten Alarms ausfindig machen konnte, attackierte er in Berlin-Spandau mehrere Passanten mit einem Messer. Eine Polizeibeamtin, die den Islamisten stoppen wollte, wurde schwer verletzt, ihr Kollege erschoss den Angreifer schließlich.
Dschihadist reiste mit Fußfessel aus
Anschlagswillige Extremisten lassen sich offensichtlich nicht durch eine elektronische Fußfessel abschrecken. Gleiches gilt augenscheinlich sogar für Dschihadisten, die ausreisen wollen. Im Mai 2014 reiste beispielsweise ein junger Islamist aus dem hessischen Offenbach in Richtung Syrien aus, der nach einer Verurteilung wegen Einbruchsdiebstahls eine "kleine Fußfessel" trug, mit der überprüft wurde, ob sich der Extremist zu bestimmten Zeiten zuhause aufhielt.
Aus Bayern reiste im Oktober 2017 ein syrischer Gefährder aus, der als "gewaltbereit" und "unberechenbar" galt und deshalb ein elektronisches Ortungsgerät tragen musste. Mehrere Stunden lang empfing die hessische Überwachungsstelle keine Signale mehr, dann erst tauchte der Extremist wieder auf - und zwar in Athen. Er war nach Hamburg gefahren und war dort ungehindert in ein Flugzeug gestiegen.
Zuvor hatte sich der Mann sogar noch bei der Polizei in Würzburg abgemeldet und mitgeteilt, dass er seinen erkrankten Sohn aus dem türkisch-syrischen Grenzgebiet abholen wolle. Die Sicherheitsbehörden ließen ihn ziehen. Es sei eine "kontrollierte Ausreise" gewesen, heißt es. Die Wiedereinreise ist ihm inzwischen verwehrt.