Gender-Studien Uni will Begriff "Mutter" nicht abschaffen
Eine Uni in Australien hat eine Handreichung für gendergerechte Sprache veröffentlicht. Obwohl dies nicht ungewöhnlich ist, ging das Handbuch um die Welt - gespickt mit irreführenden Behauptungen.
"Gendergerecht oder gaga? Akademiker wollen Begriffe Mutter und Vater abschaffen". "Australische Uni: Begriffe Mutter und Vater sollen ersetzt werden". "Diese absurden Vorstöße sorgen für Wut und Häme". Mit solchen Schlagzeilen berichteten deutsche Medien über ein Handbuch der Austalian National University. Darunter sind unter anderem stern.de, die "Hamburger Morgenpost", die "Neue Westfälische", RTL.de sowie weitere.
Auf Facebook behauptete die Zeitschrift "Bunte": "Wenn es nach australischen Akademikern geht, sollen nämlich die Begriffe "Mutter" und "Vater" gegen geschlechtsneutrale Bezeichnungen ersetzt werden, um dadurch Eltern der LGBTIQ+ - Community nicht länger zu benachteiligen. Der Begriff "Mutter" soll künftig durch "austragendes Elternteil", der Begriff "Vater" durch "nicht-gebärendes Elternteil" ersetzt werden." Versehen wurde der Text mit einem weinenden Emoji, in den Kommentaren herrschten Wut und Empörung über das vermeintliche Vorhaben. Der AfD-Bundestagsabgeordnete Wolfgang Wiehle aus Bayern griff einen entsprechenden Bericht von RTL.de auf und schrieb dazu auf Facebook: "Gender-Ideologen schaffen 'Mutter' und 'Vater' ab - stoppt sie!"
Zuvor hatten international vor allem konservative und rechte Medien über das Dokument berichtet, unter anderem Fox News in den USA sowie das Boulevardblatt "Daily Mail", dessen Australien-Korrespondentin von "bizarren" Vorschlägen schrieb.
Begriffe sollen nicht ersetzt werden
Allerdings sind die Schlagzeilen größtenteils irreführend, denn die Universität Canberra hat gar nicht gefordert oder vorgeschlagen, bestimmte Begriffe abzuschaffen oder zu ersetzen, sondern vielmehr die Sprache zu erweitern. Das Handbuch wende sich an Pädagoginnen und Pädagogen, um "sichere und integrative Lernumgebungen" für alle zu schaffen, erklärte Professorin Fiona Jenkins vom Institut für Gender-Forschung der Universität Canberra auf Anfrage des ARD-faktenfinder.
Die Behauptung, dass das Handbuch dazu anweise, die Worte "Mutter", "Vater" und "Stillen" durch "Schwangerschaftseltern", "nicht leibliche Eltern" bzw. "Bruststillen" zu ersetzen, "entbehrt jeder Grundlage", so Jenkins. Es gebe keine Bestrebungen, die Worte "Mutter", "Vater" oder "Stillen" zu ersetzen, sondern den Rat, diese Worte durch geschlechtsneutrale Optionen zu ergänzen, wenn es angebracht oder von Menschen gewünscht sei.
"Aus dem Kontext gerissen"
Jenkis kritisiert, dass die medial verbreiteten Zitate aus ihrem Kontext gerissen worden seien. Denn das Handbuch rate Lehrenden, die in medizinischen oder naturwissenschaftlichen Fächern über die Geburt unterrichten, eine "Art von inklusiver Praxis vorzuleben, die die Studentinnen und Studenten im klinischen Umfeld" benötigten. Die Professorin weiter: Wenn Studierende später Patienten behandelten, "die sich als nicht heteronormativ verstehen, sondern als trans oder nicht-binär", dann sei die Kenntnis von geschlechtsneutralen Begriffen notwendig, um respektvoll kommunizieren und Vertrauen aufbauen zu können.
Die Professorin sagt: "Indem wir Empfehlungen für eine geschlechtergerechtere Sprache in Klassenzimmern und Uni-Sälen geben, die heute typischerweise eine erhebliche Geschlechtervielfalt aufweisen, betreiben wir keine Ideologie, sondern erkennen eine Realität an." Außerdem seien die Formulierungen kein vorgeschriebener Sprachgebrauch, wie verschiedene Medien behauptet haben, sondern lediglich Vorschläge. Sie zielten in erster Linie darauf ab, Respekt zu zeigen, indem Terminologie ergänzt werde.
Empfehlungen auch in Großbritannien
Auch in Großbritannien gibt es solche Handreichungen, um passende Begriffe für alle Menschen, die in Krankenhäusern behandelt werden, bereitzustellen. Auch in diesem Kontext wurde unter anderem auf Twitter fälschlicherweise behauptet, Begriffe wie Mutter oder Vater sollten abgeschafft werden.
Solche Behauptungen tauchen immer wieder auf: Beispielsweise 2019 kursierte der Vorwurf, das Bundesfamilienministerium wolle die Begriffe "Mutter" und "Vater" abschaffen. AfD- und CSU-Politiker warfen dem Ministerium "Irrsinn" und "Genderwahnsinn" vor. Tatsächlich ging es um geschlechterneutrale Begriffe in offiziellen Formularen, wie "Mimikama" in einem Faktencheck zeigte.
Angriffe auf Wissenschaft und insbesondere die Gender-Forschung sind seit Jahren zu beobachten. Ungarn untersagte die Studiengänge an staatlichen Unis sogar, griff also in die Wissenschaftsfreiheit ein. Die aktuellen Behauptungen im Kontext der australischen Handreichung sind dabei typisch: Angeblich wollen Akademikerinnen und Forscher die Sprache zensieren und Begriffe ersetzen, folgt man den Behauptungen in vielen Medien. Doch tatsächlich geht es in dem Handbuch um das Gegenteil, nämlich eine größere Vielfalt und Varianz in der Sprache, um möglichst allen Menschen gerecht zu werden.