In Hamburg gehen Schülerinnen und Schüler einer 4. Klasse mit Abstand auf einer Treppe zu ihren Klassenräumen in der Goldbeck-Schule.
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Ministerin zu Corona Hohe Inzidenz durch kleine Zahl an Kindern?

Stand: 03.12.2021 09:00 Uhr

Eine Bildungsministerin behauptet, die Inzidenz bei Kindern erscheine so hoch, weil die Gruppe so klein sei. Auch ihre Äußerungen zum Infektionsgeschehen an Schulen sorgen für Diskussionen.

Von Von Patrick Gensing und Andrej Reisin, Redaktion ARD-faktenfinder

In der Diskussion über die Sicherheit von Kindern während der Corona-Pandemie hat die Ministerin für Bildung und Kindertagesstätten in Mecklenburg-Vorpommern, Simone Oldenburg, mit Äußerungen für viel Diskussionen in den sozialen Netzwerken gesorgt.

Die Linken-Politikerin, die auch stellvertretende Ministerpräsidentin ist, schrieb bei Twitter, die Zahlen, gemeint sind die Inzidenzen bei den Jüngeren, "erscheinen hoch, weil die Anzahl der Kinder und Jugendlichen insgesamt klein ist". Die Äußerung stieß auf viel Kritik.

Björn Schwentker, NDR-Datenexperte, sagte dazu: "Dass die Inzidenzen der Kinder im Vergleich zu anderen Altersgruppen größer seien, weil es ja weniger Kinder gebe als etwa Erwachsene, ist schlichtweg falsch. Tatsächlich ist es andersherum: In den Inzidenzen ist der Unterschied zwischen den Altersgruppen schon herausgerechnet. Gerade darum sind Inzidenzen zwischen verschiedenen Gruppen vergleichbar."

Ein Sprecher der Ministerin teilte auf Anfrage des ARD-faktenfinder mit: "Die Sieben-Tage-Inzidenzen sind hoch, die Gesamtzahl der Kinder- und Jugendlichen ist aber geringer als die der Erwachsenen." Diese Aussage erklärt die falsche Rechnung der Ministerin allerdings nicht.

Inzidenz deutlich höher

Die Inzidenz bei Kindern und Jugendlichen ist seit Wochen besonders hoch. Bereits im Oktober erreichte sie in einigen Landkreisen mehr als 500 Fälle innerhalb von sieben Tagen - gerechnet auf 100.000 Personen. Die Inzidenz lag zu dem Zeitpunkt insgesamt bei unter 70. Zuletzt kletterte die Inzidenz laut RKI-Wochenbericht bei den Fünf- bis Neunjährigen auf 953 und bei den Zehn- bis 14-Jährigen auf 1067. Der Durchschnitt insgesamt wird mit 479 angegeben.

Öfter getestet, aber nicht geimpft

Inwieweit die Inzidenz bei Schülerinnen und Schülern durch die regelmäßigen Testungen besser erfasst wird als bei Erwachsenen, ist ein umstrittenes Thema. Es liegt nahe, dass das Dunkelfeld durch die Tests in den Schulen kleiner ist als bei Erwachsenen.

Eine Auswertung von RKI-Daten nach Altersklassen durch das Science Media Center kommt allerdings zu dem Ergebnis, dass die Rate positiver Tests bei Schülerinnen und Schülern sehr hoch liegt. Eine hohe Positivrate weist eigentlich darauf hin, dass zu wenig getestet wird. Dazu kommt: Die Fünf- bis Neunjährigen sowie die meisten Zehn- bis 14-Jährigen sind noch nicht geimpft - was wiederum dazu beitragen dürfte, dass die Inzidenz deutlich höher ist als bei den überwiegend geimpften Erwachsenen.

Kein Ort so sicher wie die Schulen?

Ebenfalls für Diskussionen sorgten die Aussagen von Oldenburg, kein Ort sei "so sicher wie die Schulen". Es sei "bewiesen, dass die Infektionsrate in der Häuslichkeit vier bis sechs Mal höher ist als in der Schule".

Allerdings ist die Datenlage dazu in Deutschland seit Ausbruch der Pandemie äußerst dünn, in den allermeisten Fällen ist unklar, wo sich Menschen infiziert haben. So betonte das RKI selbst, die Statistik zum Infektionsumfeld von Ausbrüchen sei "mit Zurückhaltung zu interpretieren", die Zuordnung sei "nicht immer eindeutig". In einigen Ausbrüchen spielten mehrere Situationen eine Rolle und es lasse "sich nicht immer abgrenzen, wo genau die Übertragung stattgefunden hat". In einigen Umfeldern, beispielsweise im Bahnverkehr, lassen sich Ausbrüche nur schwer ermitteln, daher könnten solche Bereiche "untererfasst" sein.

Infektionsquellen zumeist unklar

Der Virologe Christian Drosten sagte im NDR-Podcast, es sei für viele Menschen im Nachhinein kaum festzustellen, wo man sich infiziert hat. An eine Familienfeier erinnere man sich allerdings. Ganz abgesehen davon könnten die meisten Infektionsquellen ohnehin nicht nachvollzogen werden.

Das zeigen auch aktuelle Zahlen des RKI: In der Kalenderwoche 47 bis zum 28. November konnten laut RKI gerade einmal 11.106 von 398.679 Neuinfektionen einem konkreten Ausbruch zugeordnet werden. Das heißt, gerade einmal bei rund 2,8 Prozent aller Infektionen weiß man aktuell, wo Menschen sich infiziert haben.

Auf Anfrage des ARD-faktenfinder teilte der Sprecher der Ministerin mit, dass die Aussagen, "wonach Schulen keine Treiber der Corona-Pandemie sind", vom sogenannten Schugi-MV-Projekt bestätigt würden. Dieses wissenschaftliche Projekt beobachtet das Infektionsgeschehen in Mecklenburg-Vorpommern.

Demnach zeigen Daten, dass "in Schulen durchschnittlich ca. fünf Prozent der Klassenkameradinnen und Klassenkameraden von infizierten Kindern positiv getestet" würden. Bei Haushaltskontakten sei dieser Wert wesentlich höher. Laut wissenschaftlicher Studien der Kultusministerkonferenz (KMK) stehe fest, dass das Infektionsrisiko in der Häuslichkeit um ein Vielfaches höher ist als in Schulen, so der Sprecher weiter. Auf welche Studienergebnisse sich diese Aussagen konkret beziehen, erläuterte er nicht.

KMK-Studie: Schulen Teil des Infektionsgeschehens

Die Rolle der Schule beim Infektionsgeschehen wird seit Monaten heftig diskutiert. Die Kultusministerkonferenz hatte eine Studie dazu in Auftrag gegeben, die zu dem Schluss kam, dass Schulen durchaus Teil des Infektionsgeschehens seien. So heißt es unter anderem im dritten Zwischenbericht, der im September veröffentlicht wurde: "Ansteckungen durch Infektionen von SchülerInnen und LehrerInnen sind sowohl in der Schule als auch im Haushaltskontext relevant und sollten reduziert werden."

Zudem kommen auch andere Studien zu dem Schluss, dass Schulen Teil des Infektionsgeschehens seien. Der Chef des Robert Koch-Instituts, Lothar Wieler, bekräftigte dies Anfang Oktober noch einmal, als er sagte, die Rücknahme der Maskenpflicht in den Schulen sei "nicht sinnvoll" gewesen. "Masken, Tests und Konzepte sind da. Nur wo sie umgesetzt werden, gehen die Zahlen runter."

Auch der Zwischenbericht im Auftrag der KMK kommt zum Ergebnis, dass Schutzmaßnahmen wie Maskenpflicht und Luftfilter offenkundig einen Effekt zeigen, um die Verbreitung des Virus zu begrenzen. Dass Schulen aber generell sichere Orte seien, wird dort nicht behauptet.

"Sehr rascher Anstieg" von Ausbrüchen

Das RKI stellt in seinem Wochenbericht vom 2. Dezember fest, bei der Zahl der übermittelten Schulausbrüche sei "seit Mitte Oktober 2021 wieder ein sehr rascher Anstieg" beobachtet worden. Seitdem überstieg die Zahl der Schulausbrüche bei Weitem das Niveau der zweiten und dritten Welle.

Bei der zugenommenen Ausbruchshäufigkeit spielen laut RKI vermutlich die leichtere Übertragbarkeit der Delta-Variante und auch die ausgeweiteten Testaktivitäten eine Rolle, wobei Infektionen - auch asymptomatische - frühzeitig erkannt würden.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete BR24 am 03. Dezember 2021 um 13:02 Uhr.