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Kontext

Schulden bei privaten Gläubigern Kommt es zum Zahlungsausfall der Ukraine?

Stand: 17.07.2024 16:47 Uhr

Im August muss die Ukraine aufgeschobene Schulden an private Gläubiger zurückzahlen - allerdings fehlt dafür das Geld. Es droht somit ein Staatsbankrott, sollten sich die Parteien nicht doch noch einigen.

Von Pascal Siggelkow, ARD-faktenfinder

Die Zeit läuft: In weniger als zwei Wochen werden für die Ukraine Schulden in Höhe von gut 20 Milliarden US-Dollar fällig, die sie bei privaten Anlegern noch offen hat. Denn dann läuft ein zweijähriger Zahlungsstopp für ukrainische Zinszahlungen auf Darlehen aus, der mit den Gläubigern aufgrund des russischen Angriffskrieges vereinbart wurde.

Bei Verhandlungen über eine Umstrukturierung der Schulden im Juni zwischen der Ukraine und den Anlegern konnte keine Einigung erzielt werden. Die Gespräche würden allerdings fortgesetzt, hieß es seinerzeit vom ukrainischen Finanzminister Sergej Martschenko. Allerdings scheint eine Lösung nach wie vor nicht gefunden worden zu sein. Der Ukraine droht somit der Staatsbankrott.

Dass die Zahlungen im August fällig werden, ist bereits länger bekannt. Bereits seit Ende 2023 sondiert die Ukraine bei Großinvestoren Pläne zur Umstrukturierung seiner Auslandsschulden. Momentan sind mehrere Szenarien denkbar.

Schuldenerlass für die Ukraine

Eine Möglichkeit, über die die Ukraine mit den privaten Gläubigern bereits verhandelt, ist ein Schuldenerlass zumindest für einen Teil der ausstehenden Zahlungen. Auch der Internationale Währungsfonds IWF - ebenfalls ein wichtiger Kreditgeber für die Ukraine - soll dies unterstützen.

Einem Bericht der Wochenzeitung "The Economist" zufolge soll die Ukraine den privaten Gläubigern ein Angebot unterbreitet haben, das eine Reduzierung von 60 Prozent des gegenwärtigen Wertes der Schulden vorsah. Die Gläubiger sollen das jedoch abgelehnt haben und stattdessen eine Reduzierung um maximal 22 Prozent akzeptieren.

Der Frankfurter Allgemeinen Zeitung zufolge bot die Ukraine an, alte Anleihen gegen neue mit einer Laufzeit bis 2040 einzutauschen, wobei diese in den ersten anderthalb Jahren mit einem Prozent verzinst würden, ehe der Zinssatz schrittweise auf sechs Prozent steigen würde, was den Gläubigern zu wenig sei.

"Es ist gut möglich, dass sich beide Seiten irgendwo in der Mitte treffen werden", sagt Mario Holzner, Leiter des Wiener Instituts für Internationale Wirtschaftsvergleiche (WIIW). Zwischen 30 bis 40 Prozent der Schulden müssten voraussichtlich abgeschrieben werden, weil es sonst aussichtslos sei, dass die Ukraine überhaupt etwas zurückzahlen könne.

Zwar haben sich die G7-Staaten im Juni darauf geeinigt, mithilfe von Zinsen aus eingefrorenem russischen Staatsvermögen ein Kreditpaket von etwa 50 Milliarden US-Dollar (etwa 47 Milliarden Euro) für die Ukraine abzusichern. Dieses Geld komme jedoch nicht sofort oder in den kommenden Wochen, sondern es werde noch einige Zeit brauchen, so Holzner.

Weiteres Schuldenmoratorium denkbar

Ebenfalls möglich ist, dass das Schuldenmoratorium noch einmal verlängert wird. Das würde bedeuten, dass die Schulden erst zu einem späteren Zeitpunkt beglichen werden müssten. Das ist im Fall der Ukraine bereits einige Male passiert. So stammen die bald fälligen Zahlungen an die privaten Gläubiger noch aus Krediten vor dem großangelegten russischen Angriff auf die Ukraine. Wegen des Krieges einigten sich die Ukraine und die privaten Gläubiger jedoch auf ein zweijähriges Schuldenmoratorium.

Auch mit der staatlichen Gläubigergruppe rund um Deutschland, die USA, Kanada, Frankreich, Japan und das Vereinigte Königreich einigte sich die Ukraine auf ein Schuldenmoratorium: Im vergangenen Dezember wurde bekanntgegeben, dass die 2022 beschlossene Schuldendienstaussetzung bis Ende März 2027 verlängert wurde.

Allerdings ist es aus Sicht von Holzner nicht realistisch, dass die Ukraine die Schulden beispielsweise in zwei Jahren dann auch wirklich bedienen kann. Denn allein die Wiederaufbaukosten der Ukraine werden auf knapp 500 Milliarden US-Dollar geschätzt. "Und das ist nicht etwas, wo man quasi warten kann auf den Tag nach dem Krieg, sondern das muss in Wahrheit jetzt sofort begonnen werden." Nach Angaben der Ukraine werden allein im Jahr 2024 rund 15 Milliarden US-Dollar für unmittelbare Wiederaufbauprioritäten benötigt.

Auch Staatsbankrott eine Option?

Sollte es zu keiner Einigung mehr kommen zwischen der Ukraine und den privaten Gläubigern, käme es zum Staatsbankrott. Das bedeutet zunächst einmal, dass die Ukraine ihre Schulden nicht mehr bezahlen kann. Kurzfristig gesehen wäre dies für die Ukraine nicht weiter tragisch, sagt Holzner. "Die Ukraine kann momentan ohnehin nicht mit Kreditaufnahmen am freien Markt rechnen, da die Situation für Anleger viel zu risikoreich ist." Von den großen Ratingagenturen wird die Ukraine bereits niedrig bewertet mit einer hohen Wahrscheinlichkeit eines Zahlungsausfalls.

Lediglich längerfristig könnte es für die Ukraine Probleme bedeuten, sollten sie die Schulden im August nicht bedienen, sagt Holzner. Denn nach dem Krieg könne es dadurch für das Land schwieriger werden, an den internationalen Kapitalmärkten an Geld zu kommen. Allerdings zeige die Vergangenheit, dass dieses Problem für Länder meist nicht allzu groß sei. So hat auch Argentinien nach dem Staatsbankrott 2001 wieder neue Kredite erhalten. Das mögliche Risiko eines Zahlungsausfalls lassen sich die Gläubiger dabei meist durch hohe Zinsen bezahlen.

"Ich glaube, dass die Ukraine kurzfristig sogar ein bisschen am längeren Hebel sitzt", sagt Holzner. Hinzu komme, dass den privaten Gläubigern auch ein potenzieller Imageschaden drohe, wenn sie der Ukraine in dem Überlebenskampf nicht entgegenkämen. "Das sind ja jetzt nicht irgendwelche kleinen Sparer, sondern das sind große Investitionshäuser wie Blackrock und Pimco, die sich das also durchaus leisten können." Auch westliche Regierungen drängen auf ein größeres Engagement der privaten Gläubiger.

Dennis Shen, Ukraineexperte der Ratingagentur Scope, sagte der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, dass es weder im Interesse der Ukraine noch im Interesse ihrer Gläubiger sei, "dass die Ukraine einseitig ihren Schuldendienst einstellt". Das Land brauche die Gläubiger zur Finanzierung des Krieges und des Wiederaufbaus.

Schnelle Hilfen nötig

Insgesamt zeigt die ganze Situation um die Schulden bei privaten Gläubigern jedoch, wie angespannt die ukrainische Wirtschaftslage durch den Krieg ist. Holzner plädiert deshalb dafür, über weitere finanzielle Hilfen für das Land nachzudenken - und zwar möglichst schnell.

"Wenn man dann noch überlegt, dass höchstwahrscheinlich Donald Trump US-Präsident wird und äußerst unklar ist, ob und wie die US-amerikanischen Hilfen weitergehen, dann ist jetzt wirklich Feuer unterm Dach", so Holzner. Daher müsse der Ukraine jetzt ganz massiv geholfen werden, um irgendeine Chance zu haben, so etwas wie einen Sieg zu erzielen.

Eine Möglichkeit sei beispielsweise, nicht nur die Zinsen aus eingefrorenem russischen Staatsvermögen der Ukraine zukommen zu lassen, sondern das eingefrorene Staatsvermögen selbst - Schätzungen zufolge etwa 300 Milliarden Euro.

Großes Wachstumspotenzial

Bei einem Sieg der Ukraine und einer Beendigungen des Krieges sehen Wirtschaftsexperten großes Wachstumspotenzial für das Land - auch weil das Ausgangsniveau erst einmal entsprechend niedrig wäre.

"Die Ukraine hat große Potenziale für beispielsweise Erneuerbare Energie", sagt Holzner. So gebe es dort seltene Rohstoffe wie Kobalt, Nickel, Kupfer, Titan, Seltene Erden und Lithium, die für die Energiewende gebraucht werden. Die ukrainische Wirtschaft könne unter diesen Bedingungen jährlich bis zu acht Prozent wachsen. Dafür müsste der Krieg jedoch zunächst einmal gewonnen werden.