Trump-Vorwürfe Manipulierte Statistiken?
Der US-Präsident wirft deutschen Behörden vor, Statistiken zur Kriminalität zu manipulieren. AfD-Politikerin von Storch behauptet, Straftaten würden seltener angezeigt. Stimmt das?
Von Patrick Gensing, ARD-faktenfinder
Erneut ist in Deutschland eine Diskussion darüber entbrannt, wie sich die Kriminalität entwickelt. Ausgelöst hatte die Diskussion der US-Präsident, der am 18. Juni via Twitter verkündete, die Kriminalität in Deutschland nehme stark zu.
Am Folgetag behauptete Donald Trump dann, die Migrationspolitik der Bundesregierung habe zu einem Anstieg der Kriminalität um zehn Prozent geführt. Die Behörden wollten diese Straftaten aber nicht melden, schrieb Trump - ohne Belege zu nennen.
Deutsche Politiker wiesen Trumps Vorwürfe zurück und bezogen sich auf die Polizeiliche Kriminalstatistik: Tatsächlich registrierte die PKS im vergangenen Jahr 9,6 Prozent weniger Straftaten. Insgesamt wurden 5,76 Millionen Delikte gezählt - der niedrigste Stand seit der Wiedervereinigung. Besonders stark ging die Zahl der Einbrüche zurück. Laut PKS gab es auch weniger Körperverletzungsdelikte. Allerdings wurden demnach mehr Morde verübt.
Keine Überprüfung möglich
Trumps Aussagen, die Kriminalität in Deutschland nehme stark zu bzw. sei durch die Migrationspolitik um zehn Prozent gestiegen, lässt sich durch keine Statistik belegen. Mutmaßlich behauptete der US-Präsident daher zudem, die deutschen Behörden würden die Kriminalität von Migranten verschleiern - eine Legende, die sich durch Zahlen weder widerlegen noch bestätigen lässt.
Weniger Anzeigen?
Die AfD-Politikerin Beatrix von Storch sagte in der BBC, es gebe viel mehr Fälle von Mord, Vergewaltigung und Straftaten gegen das Leben in Deutschland. Zudem behauptete sie, Menschen würden nicht mehr zur Polizei gehen, um Diebstähle anzuzeigen.
Weniger Straftaten gegen das Leben
Zwar stimmt die Aussage, dass die Zahl der vollendeten Morde gestiegen ist: 2017 wurden laut PKS 405 Menschen in Deutschland ermordet, im Jahr zuvor waren es 373. Die Zahl der Straftaten gegen das Leben - wozu neben Mord auch Totschlag und Tötung auf Verlangen zählen - ging allerdings leicht zurück. Von 3765 im Jahr 2016 auf 3713 Straftaten im Jahr 2017. Die Zahl der Opfer dieser Straftaten sank von 876 auf 731.*
Die Behauptungen von Storchs zu Sexualstraftaten lassen sich hingegen nicht eindeutig bewerten - wegen der Reform der Zählweise in diesem Phänomenbereich. Der Paragraf §177 StGB wurde um ungewollte sexuelle Handlungen erweitert, die ohne Gewaltanwendung und/oder Drohung geschehen. Diese werden nun als "sexuelle Übergriffe" bezeichnet. Zudem wurde der Straftatbestand "sexuelle Belästigung" gemäß §184i StGB neu geschaffen. Dadurch wird die tätliche Belästigung mit sexuellem Hintergrund ("Grabschen") in die Kategorie der Sexualstraftaten aufgenommen und explizit unter Strafe gestellt.
Vom Dunkel- ins Hellfeld
Bei der übergeordneten Kategorie Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung führte diese Reform erwartungsgemäß zu einem Anstieg der Fallzahlen. Das bedeutet nicht zwangsläufig, dass es mehr Delikte insgesamt gab, sondern dass mehr Vorfälle in die Statistik einfließen. Daher kann nicht pauschal von einem "Anstieg der Sexualdelikte" gesprochen werden.
Ein Anstieg der Polizeistatistik bedeutet generell nicht zwingend, dass es mehr Straftaten gibt, sondern durch schärfere Gesetze oder eine erhöhte Bereitschaft zur Anzeige können Deliktfelder, die bislang im Dunkelfeld waren, aufgehellt werden. Das betrifft neben sexualisierter Gewalt beispielsweise die häusliche Gewalt: Polizei und Beratungsstellen bieten hier gezielt Unterstützung an, damit sich Betroffene schützen können und gegen Täter vorgehen.
Mehr Anzeigen durch Online-Angebot
Ebenfalls nicht nachvollziehbar erscheint die Aussage von Storchs, die Menschen würden seltener Anzeigen bei Diebstählen erstatten. Vielmehr gehen Strafanzeigen zunehmend online ein. Vor allem Kfz- und Fahrraddiebstähle meldeten Bürger via Internet, berichtet beispielsweise die dpa unter Berufung auf die Polizei in Brandenburg. Die steigende Zahl bestätige, dass die Hürde, eine Straftat bei der Polizei zur Anzeige zu bringen, durch das Online-Portal sinke, betonte ein leitender Mitarbeiter.
Sicherheitsberichte gefordert
Generell ist die PKS aber tatsächlich nur bedingt geeignet, um die Entwicklung der Kriminalität zu erfassen. Das betonen Experten immer wieder. 2001 und 2006 hatte die damalige Bundesjustizministerin Brigitte Zypries bei Forschern und Experten den "Periodischen Sicherheitsbericht" in Auftrag gegeben. Noch heute gelten die Berichte unter Fachleuten als Meilensteine bei der Abbildung der tatsächlichen Kriminalität - eine Wiederauflage ist bislang dennoch nicht geplant.
Der Kriminologe Christian Pfeiffer betonte im Gespräch mit dem ARD-faktenfinder, die Sicherheitsberichte seien eine sehr vernünftige Angelegenheit gewesen. Ein wohlhabendes Land wie Deutschland müsste sich eigentlich jährlich eine repräsentative Befragung leisten, um eine Fieberkurve der Gesellschaft zu erstellen.
In Niedersachsen wurde gemeinsam mit den Polizei-Statistiken für 2017 eine Dunkelfeldstudie vorgestellt. Demnach sank das Sicherheitsgefühl leicht - trotz des objektiven Rückgangs der Kriminalitätsbelastung.
*In diesem Absatz hieß es zunächst, die Behauptung von Frau von Storch zu den Straftaten gegen das Leben seien zutreffend. Dies war nicht korrekt und wurde nun korrigiert. Wir bitten, den Fehler zu entschuldigen.