Vorbeugung gegen Corona Warum Gurgeln nicht ausreicht
Können Mundspülungen Corona-Infektionen verhindern und Covid-19-Krankheitsverläufe mildern? Eine Veröffentlichung erweckt diesen Eindruck. Dem widerspricht jedoch sogar ein Autor der zitierten Studie.
Gurgeln hilft gegen Corona - diese These wird seit Monaten immer wieder verbreitet: Mundspülungen sollen nicht nur dazu beitragen, Infektionen zu verhindern, sondern auch den Verlauf von Covid-19-Erkrankungen mildern können. Aktuell werden solche Behauptungen auf "bild.de" aufgestellt. Unter der Überschrift "COVID-19-Patienten testen Mundspülung: Bis zu 90% weniger Viruslast nach einer Minute!" heißt es dort unter anderem: "Coronaviren einfach weggespült und ausgespuckt". Gurgeln wird als "Maßnahme Nr.1" gegen das Virus gepriesen.
Kein Artikel, sondern Werbung
Was nicht jedem Leser sofort klar sein dürfte: Bei dem redaktionell aufgemachten Bericht handelt es sich um eine Anzeige eines Herstellers von Mundspülungen. Der kleine Hinweis, dass es sich um eine Anzeige des Herstellers des untersuchten Produkts handelt, ist leicht zu übersehen.
Die in dem Artikel aufgestellten Behauptungen sind aus wissenschaftlicher Sicht mehr als problematisch. So äußern sich die Autoren der zitierten Studie deutlich vorsichtiger:
More importantly, we found that the mouth washing can reduce the viral load by 90%. This should lead to a reduced infectivity of the patient infected with SARS‐CoV‐2 and might improve the protection of health care professionals."
("Noch wichtiger ist, dass wir festgestellt haben, dass die Mundspülung die Viruslast um 90% reduzieren kann. Dies soll zu einer verringerten Infektiosität des mit SARS‐CoV‐2 infizierten Patienten führen und könnte den Schutz von Angehörigen der Gesundheitsberufe verbessern.")
Davon, dass "Gurgeln nicht nur das Risiko der Übertragung verringert, sondern auch einen schweren Verlauf verhindern könnte", wie in dem Artikel behauptet wird, steht in der Studie nichts - ebenso wenig davon, dass man nach Gurgeln und Spülen mit Mundspülung "niemanden mehr anstecken" könne. Zudem betonen die Forscher, dass es sich um eine Pilotstudie handelt und ihre Untersuchungen daher vorläufiger Natur sind:
This investigation will direct future clinical studies for an improved reduction of viral load in the pharyngeal region.
(Zukünftige klinische Studien zu einer verbesserte Reduzierung der Viruslast im Rachenbereich können auf dieser Untersuchung aufbauen.)
Studienautor widerspricht
Holger Sudhoff, einer der Autoren der Studie, ist nicht damit einverstanden, wie diese auf "bild.de" zitiert wird: "Der Beitrag entspricht eher dem Niveau eine Kampagnenführung", erklärt der Direktor der Universitätsklinik für Hals-, Nasen- und Ohrenheilkunde, Kopf- und Halschirurgie der Universität Bielefeld gegenüber dem ARD-faktenfinder.
Zwar sei es richtig, dass die Untersuchungsergebnisse der bei den 34 untersuchten Covid-19-Patienten eine signifikante Abnahme der Viruslast um bis zu 90 Prozent nach einmaliger Verwendung der Mundspülung ergaben. "Mit dieser Reduktion der Viruslast sinkt auch die Wahrscheinlichkeit des Risikos einer Übertragung der SARS-CoV2-Viren", so Sudhoff. "Ob ein Krankheitsverlauf geändert wird, lässt sich anhand der Untersuchungsergebnisse nicht schlussfolgern oder ableiten."
Wirkung zeitlich und örtlich begrenzt
Sudhoff sieht bei der Mundspülung einen begrenzten Effekt: Die bisherige Datenlage belege eine Reduktion der Viruslast von bis zu sechs Stunden. "Die Wirkung der Mundspülungen hat mit hoher Wahrscheinlichkeit nur einen Einfluss auf Flächen des Mundraumes und Rachens, die durch das Gurgeln erreicht werden", sagt der Mediziner dem ARD-faktenfinder.
"Viren in der Nase, Lunge oder Luftröhre, die beim Sprechen, Niesen und Husten abgegeben werden, werden wahrscheinlich nicht erreicht, da der Effekt auf einer physikalischen Erreichbarkeit der Oberflächenschleimhaut beruht", erklärt Sudhoff weiter. Diese sei jedoch weder in der Nase, Lunge oder Luftröhre vorhanden.
RKI-Experten sehen Forschungsbedarf
Ähnlich sehen es auch die Experten, die das Robert Koch-Institut beraten: Der Ständige Arbeitskreis der Kompetenz- und Behandlungszentren für Krankheiten durch hochpathogene Erreger erklärt in seinen Hinweisen zu Erkennung, Diagnostik und Therapie von Patienten mit COVID-19 vom 28. April 2021:
Daten zur Wirksamkeit einer medikamentösen Prä- oder Postexpositionsprophylaxe liegen bisher nicht vor. Eine Einnahme wird aktuell weder für Kontaktpersonen noch für medizinisches Personal empfohlen. Verschiedene klinische Studien werden aktuell dazu durchgeführt, Ergebnisse sind ausstehend.
"Ökotest" zeigt Grenzen des Effekts auf
Die Zeitschrift "Ökotest" beschäftigte sich ebenfalls mit der Frage, ob Gurgeln mit Mundspülung gegen Coronaviren hilft. Das Fazit der Tester:
Zwar können bestimmte Mundspüllösungen die Viruslast kurzfristig verringern und das Risiko der Übertragung, zum Beispiel beim Zahnarztbesuch, reduzieren. Jedoch erreichen die Spülungen nur die Viren im Mund- und Rachenraum und keine Viren in der Nase, der Lunge oder Luftröhre, die beim Sprechen, Niesen und Husten abgegeben werden. Somit gilt: Mundspülungen ersetzen keinesfalls die generellen Hygieneregeln wie Abstand halten, Hände waschen und medizinische Masken tragen.
Sogar Hersteller relativiert
Der WDR hat ebenfalls über die Studie berichtet und dabei frühzeitig auf mögliche Probleme hingewiesen: Dadurch, dass Mundspülungen die Viruslast im Rachen reduziert, werden Infizierte weniger ansteckend - allerdings wohl nur kurzfristig, weil das Virus innerhalb weniger Minuten in den Rachen gelangt. Dort sitzt es in den Zellen und lässt sich nicht mehr wegspülen.
Gegenüber dem WDR erklärte der Hersteller, dass die Mundspülung keine Impfung ersetze, aber Schutzmaßnahmen ergänzen könne. Sie sei dort geeignet, wo es besonderen Schutz brauche - nicht nur in Kliniken, sondern auch in Altenheimen und Schulen.
Unbelegte Thesen auch von "Hygiene-Papst"
Es ist nicht das erste Mal, dass Mundspülungen als wichtiges Mittel zur Bekämpfung der Corona-Pandemie oder zur Behandlung von Covid-19 angepriesen wurde. Insbesondere der Krankenhaus-Hygieniker Klaus-Dieter Zastrow vertritt diese These immer wieder offensiv. So behauptete der ehemalige Geschäftsführer der Ständigen Impfkommission (STIKO), wenn alle Deutschen jeden dritten Tag ihre Mundhöhlen desinfizieren würden, wäre ein Lockdown überflüssig. Die Politik habe jedoch seine Empfehlung ignoriert - und "wolle offenbar, dass die Pandemie weitergeht".
Hygieniker Zastrow fiel bereits vorher durch Aussagen auf, die sich wissenschaftlich nicht halten ließen.
Belege für die von ihm aufgestellten Thesen nennt Zastrow nicht. Die Science Cops der WDR-Wissenschaftsredaktion Quarks haben gezeigt, dass es diese bisher auch nicht gibt und wo die Probleme in Zastrows Argumentation liegen.
Wie Mundspülungen tatsächlich sinnvoll zur Covid-19-Prophylaxe eingesetzt werden können, dazu hat die Deutsche Gesellschaft für Krankenhaushygiene Empfehlungen auf Basis des bisherigen Forschungstands abgegeben. Das in dem auf "bild.de" veröffentlichten Artikel beworbene Produkt oder sein Hauptwirkstoff sind darin übrigens nicht zu finden.