Rundfunk-Debatte Was ist "Staatsfunk"?
"Staatssender", "Staatsfernsehen", "Staatsfunk": Immer wieder wird ARD und ZDF in der öffentlichen Debatte unterstellt, im Auftrag von Politik und Regierung zu senden. Was unterscheidet die Öffentlich-Rechtlichen von einem "Staatsfunk"?
Matthias Döpfner hält mit seiner Kritik an den Öffentlich-Rechtlichen nicht hinter dem Berg: Für den Präsidenten des Bundes der Deutschen Zeitungsverleger sind die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten zu präsent im Internet. Er sieht in Angeboten wie tagesschau.de eine beitragsfinanzierte Konkurrenz der privaten Verleger. Auf dem Zeitungskongress in Stuttgart sagte Döpfner deshalb unlängst: "Nur Staatsfernsehen und Staatspresse im Netz - das wäre doch eher etwas nach dem Geschmack von Nordkorea."
Staatsfernsehen? Staatsfunk? Staatssender? Diese Begriffe haben in jüngster Zeit Konjunktur - längst nicht nur bei AfD-Sympathisanten. Auch Autoren der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" schreiben von "Staatssendern" oder "staatlichem Rundfunk", wenn sie ARD, ZDF oder Deutschlandradio meinen. Das Problem an den Begriffen? Sie stimmen nicht.
Gegenentwurf zum NS-Staatsfunk
Der öffentlich-rechtliche Rundfunk wurde nach dem Zweiten Weltkrieg als Gegenentwurf zum Großdeutschen Rundfunk der Nazis etabliert. Die Nationalsozialisten hatten die Medien gleichgeschaltet und den Rundfunk verstaatlicht und zentralisiert - er diente Reichspropagandaminister Joseph Goebbels als Instrument.
Nach dem Krieg wurde der öffentlich-rechtliche Rundfunk unter Aufsicht der Alliierten föderal neu aufgebaut: Nach Vorbild der britischen BBC sollten die Rundfunkanstalten unabhängig vom Staat sein.
Staatsfunk darf es in Deutschland nicht geben
Der Staat darf nicht diktieren, wie das Programm von ARD, ZDF oder Deutschlandradio aussieht. "Maßgeblich für die Entwicklung dieses staatsfernen Verständnisses des öffentlich-rechtlichen Rundfunks war und ist das Bundesverfassungsgericht", erklärt der Medienrechtler Tobias Gostomzyk von der TU Dortmund im Gespräch mit dem ARD-faktenfinder. Die Karlsruher Richter haben in ihren Fernsehurteilen immer wieder klargemacht: In Deutschland darf es keinen Staatsfunk geben.
Das musste auch Bundeskanzler Konrad Adenauer Anfang der 1960er-Jahre lernen. Der CDU-Kanzler plante ein privatrechtliches Deutschland-Fernsehen. Der Bund sollte 51 Prozent an der GmbH halten, die Länder 49 Prozent. Die Bundesregierung hätte bis zu zehn der maximal 15 Mitglieder des Aufsichtsrates bestimmt und sich somit einen dominierenden Einfluss auf den Fernsehsender gesichert.
Konrad Adenauer wollte ein vom Bund gelenktes Deutschland-Fernsehen. Er scheiterte am Bundesverfassungsgericht.
Doch Adenauers Deutschland-Fernsehen scheiterte am Bundesverfassungsgericht. Rundfunk sei erstens Ländersache, urteilten die Richter. Außerdem hätte ein Deutschland-Fernsehen nach Adenauers Vorstellungen gegen einen wichtigen Grundsatz verstoßen: Es wäre nicht staatsfern gewesen, die Bundesregierung hätte einen zu starken Einfluss auf das Fernsehprogramm gehabt.
Staatlicher Einfluss in den Gremien
Staatsferne ist also die verfassungsrechtliche Maßgabe. "Das bedeutet nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts allerdings nicht völlige Staatsfreiheit", betont Medienrechtler Gostomzyk. In den Aufsichtsgremien, die ARD und ZDF kontrollieren, sitzen "gesellschaftlich relevante Gruppen". Dazu gehören Kirchenvertreter, Gewerkschafter, aber eben auch Vertreter von Parteien und Landesregierungen. "Staatliche Akteure dürfen in den Rundfunk- und Verwaltungsräten allerdings keinen maßgeblichen Einfluss bekommen", sagt Gostomzyk.
Das gelingt nicht immer. 2014 erklärte das Bundesverfassungsgericht den ZDF-Staatsvertrag in Teilen für verfassungswidrig, weil zu viele Vertreter von Bund, Ländern und Parteien in den Aufsichtsgremien saßen.
Laut neuem ZDF-Staatsvertrag darf noch maximal ein Drittel staatsnah sein. "Damit soll der Einfluss der Staatsbank auf das öffentlich-rechtliche Programm begrenzt werden", sagt die Medienwissenschaftlerin Barbara Thomaß, die selbst als zweite stellvertretende Vorsitzende im ZDF-Verwaltungsrat sitzt und an der Universität Bochum lehrt.
Rundfunkbeitrag soll Unabhängigkeit sichern
Für mehr Unabhängigkeit soll in Deutschland auch die Finanzierung sorgen. Im Gegensatz zu anderen Staaten werden ARD, ZDF und Deutschlandradio nicht aus dem Staatshaushalt finanziert, sondern über den Rundfunkbeitrag (früher GEZ), den jeder Haushalt in Deutschland zahlen muss.
"Wenn der Rundfunk dagegen direkt aus dem Staatshaushalt finanziert wird, öffnet das Tür und Tor für politische Einflussnahme", sagt Barbara Thomaß. Wechselnde politische Mehrheiten könnten dann darüber entscheiden, ob und in welchem Umfang die Sender weiter finanziert werden.
Die Deutsche Welle ist ein Ausnahmefall und die einzige Rundfunkanstalt nach Bundesrecht. Laut DW-Gesetz ist das Ziel des Senders, Deutschland im Ausland verständlich zu machen und "den Austausch der Kulturen und Völker zu fördern". Anders als ARD-Landesrundfunkanstalten, ZDF und Deutschlandradio, wird die Deutsche Welle aus Steuermitteln finanziert. Zuständig ist die Staatsministerin für Kultur und Medien.
Das zeige sich etwa in Kanada, wo die Canadian Broadcasting Corporation (CBC) direkt aus dem Staatshaushalt finanziert werde. "Journalisten der CBC sind vorsichtiger, wenn sie in zeitlicher Nähe zu Haushaltsberatungen über die Regierung berichten", erzählt Thomaß aus eigenen Gesprächen mit CBC-Journalisten.
Auch in Spanien wird Radiotelevisión Española (RTVE) zu einem großen Teil aus der Staatskasse finanziert. Als Sparmaßnahmen in der Euro-Krise reduzierte die konservative Regierung den staatlichen Zuschuss für RTVE. Die Gefahr: Wenn die Sender von der Gunst der Regierung abhängen, könnten sie gehemmt sein, kritisch zu berichten. Ein Indiz in diese Richtung: Bei den jüngsten Auseinandersetzungen in Katalonien meldeten sich mehrere RTVE-Journalisten auf Twitter zu Wort, weil sie fanden, dass ihr eigener Sender "im Dienste der Zentralregierung" zu unkritisch über die Polizeieinsätze berichtete.
In Griechenland wurde der Sender ERT Mitte 2013 sogar vorübergehend komplett geschlossen. Der damalige Ministerpräsident Andonis Samaras begründete den Schritt mit den Sparvorgaben der internationalen Kreditgeber. Inzwischen sendet ERT wieder.
Staatsfunk in anderen Staaten
Richtiger Staatsfunk heißt: Er wird im Auftrag des Staates gesendet. "Die restriktivsten Beispiele dafür sind Nordkorea oder Kuba", sagt Medienwissenschaftlerin Barbara Thomaß. Dort dienten Staatsmedien der Propaganda. China habe zwar im Bereich Fiktion einen freien Markt, "wenn es aber um Nachrichten und Information geht, berichtet der Staatsfunk", so Thomaß.
Staatsfernsehen in Nordkorea
Interessant sind osteuropäische Staaten. In Polen oder Ungarn etwa wurde der Medienwissenschaftlerin zufolge nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion ein öffentlich-rechtlicher Rundfunk eingeführt, auch um der EU beitreten zu können. "Jetzt würde ich in Polen und Ungarn eindeutig wieder von Staatsfunk sprechen", sagt die Wissenschaftlerin. Missliebige Leitungsfiguren würden durch regierungskonforme ersetzt. "Über die Personen greift man auf das Programm zu", sagt Thomaß. "Dann wird das gesendet, was die Regierung haben möchte."