Corona-Pandemie Wann könnten Schulen wieder öffnen?
Welche Rolle spielen Schulen in der Pandemie? Über diese Frage wird seit Monaten diskutiert. International liegen dazu diverse Studien vor, die für einen Schulbetrieb mit klaren Schutzregelungen sprechen.
Kinder haben selbst am wenigsten von den Schulschließungen, denn sie erkranken selten schwer. So sind unter den 50.000 Menschen, die bisher in Deutschland an oder mit einer Corona-Infektion gestorben sind, nach Angaben des Robert Koch-Instituts (RKI) neun bestätigte Fälle von Kindern und Jugendlichen. "Wenn man Schulen also schließt, macht man das mit einem fremdnützigen Sinn, nicht weil man Kinder schützen möchte", sagt Reinhard Berner, Vorstand der Deutschen Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin von der Universität Dresden.
Die Krux mit dem Coronavirus ist, dass sich vieles im Dunkeln abspielt. So werden Kinder deutlich seltener getestet als Erwachsene - schon allein, weil sie oft keine Symptome entwickeln, wenn sie infiziert sind. In den zurückliegenden zwölf Wochen wurden beispielsweise Fünf- bis 14-Jährige 28 Prozent seltener getestet, als es ihrem Anteil an der Bevölkerung entspricht.
Viele asymptomatische Fälle
Allerdings sei ein asymptomatischer Verlauf auch ein Hinweis darauf, dass Infizierte die Infektion nicht so leicht weitergeben, wie Virologin Müge Cevik sagt. "Asymptomatische Patienten können das Virus weitergeben, aber sie sind für weniger Infektionen verantwortlich als Infizierte mit Symptomen", folgert sie aus ihren Ergebnissen. Das müsse auch überhaupt nicht den Studien widersprechen, die in infizierten Kindern eine ähnlich hohe Viruslast nachweisen wie in Erwachsenen, erklärt Peter Klimek von der Uni Wien. "Wenn ich ein asymptomatischer Fall bin, huste ich weniger. Dadurch kommt natürlich weniger Virus nach vorne in den Rachen und in die Nase."
Im Oktober hatten Wissenschaftler des Helmholtz-Zentrums München berichtet, dass sie bei sechs mal so vielen Kindern in Bayern Antikörper gefunden hätten als diese laut offizieller Statistik positiv getestet worden waren. Doch Antikörper sagen wahrscheinlich nicht viel aus: "Neuere Untersuchungen zeigen, dass sich bei Kindern, die mit dem Virus Kontakt hatten, eine Immunreaktion nachweisen lässt, ohne dass sie jemals das Virus in relevanter Menge ausgeschieden haben", betont die Virologin Sandra Ciesek.
Studien in Schweiz und Island sehen geringes Problem
In der Schweiz, wo im Dezember das Infektionsgeschehen sehr hoch war, suchten Forscher der Universität Zürich nach möglichen unbemerkten Fällen an Schulen, indem sie Abstriche von 641 Schülern und 66 Lehrern per PCR-Test untersuchten. Dabei erwies sich nur ein einziger Schüler als Corona-positiv. Das zeige, "dass eine unbemerkte Virusausbreitung innerhalb von Schulen selbst in einem Land mit einer der höchsten Sars-Cov-2-Inzidenzen auf dem Höhepunkt der zweiten Welle kein großes Problem zu sein scheint".
Auch im biomedizinisch gut erforschten Island zeigte sich, dass Kinder unter 15 Jahren nur halb so häufig infiziert waren, und die Infektion auch nur halb so häufig weiter gaben wie Erwachsene, sagte der Forschungsleiter Kari Stefansson. Dabei waren Grundschulen in Island nie geschlossen, nur die weiterführenden Schulen wurden auf dem Höhepunkt der ersten Welle dicht gemacht. Auch hier zeigte sich somit: Erwachsene bedeuten ein größeres Risiko für Kinder als Kinder für Erwachsene.
Großbritannien: Ältere Schüler öfter betroffen
Die britische Statistikbehörde erfasst bereits seit Monaten in einer Reihenuntersuchung wie viele Menschen aktuell mit dem Coronavirus infiziert sind. Demnach lag der Anteil infizierter Engländer an der Gesamtbevölkerung zum Jahreswechsel bei gut zwei Prozent. Der Anteil der Infizierten in der Altersgruppe der zwei- bis 11-Jährigen ähnelte dem der Gesamtbevölkerung. Unter den älteren Schülern ist der Anteil aber höher.
Die Wissenschaftler der britischen Regierung kommen deshalb zu dem Schluss, dass es insbesondere an weiterführenden Schulen zu einer vermehrten Verbreitung des Coronavirus kommt. Die Infektionslast bei Kindern sei im Dezember zwei- bis dreimal so hoch gewesen wie bei Erwachsenen, sagt Stefan Flasche von der London School of Hygiene and Tropical Medicine. Allerdings müsse man berücksichtigen, dass im beobachteten Zeitraum starke Beschränkungen für Erwachsene und fast keine für Kinder galten.
Wichtig für das Infektionsgeschehen ist das Alter der Kinder. "Die vorliegende Evidenz legt ein signifikant niedrigeres Infektionsrisiko und eine signifikant niedrigere Weitergabe von jüngeren Kindern unter zehn Jahren nahe", sagt Müge Cevik. Dies zeige sich vor allem in Studien, die untersucht haben, wie häufig Infizierte das Virus an andere Haushaltsmitglieder weitergegeben haben. Auch wenn Kinder unter zwölf bis 14 Jahren weniger zur Pandemie beitragen als Erwachsene, steigt bei ihnen die Durchseuchung, wenn die Infektionslast in ihrer Region hoch ist.
Kinder allein im Monsunregen
Der britische Kinderarzt Alasdair Munroe erklärt das so: Kleine Kinder tragen einen Regenschirm, Teenager einen kleinen Hut und Erwachsene ganz normale Kleidung. Bei schwachen Regen würden kleinere Kinder daher deutlich weniger nass als Erwachsene. Was man zuletzt in England gesehen habe, gleiche allerdings einem Monsunregen - und zudem habe man die Erwachsenen dann im Inneren eingeschlossen und die Kinder draußen im Regen gelassen, sprich: in der Schule.
So erklärt Munro die vergleichsweise hohen Infektionsraten unter britischen Kindern und Jugendlichen in letzter Zeit - und fügt hinzu: "Der beste Weg, um sie trocken zu halten, ist es, dafür zu sorgen, dass der Regen aufhört."
Zusammenhang mit sozialen Verhältnissen
In Österreich wurde in einer "Gurgelstudie" entdeckt, dass die Zahl der Infektionen in Schulen fast so groß ist wie in der Gesamtbevölkerung. Zudem entdeckten die Forscher einen Zusammenhang der Infektionshäufigkeit mit den sozialen Verhältnissen, in denen die Kinder lebten. In der ärmeren Bevölkerung ist das Infektionsrisiko höher als in wohlhabenderen Gegenden, wo der Zugang nicht nur zu Informationen über die Pandemie, sondern auch zu FFP2-Masken und zum Homeoffice besser ist und die Wohnverhältnisse weniger beengt sind.
"Ansteckungen finden verstärkt dort statt, wo Leute unter prekären Verhältnissen leben", sagt Müge Cevik. Auch dieser Zusammenhang deutet somit mehr auf eine Ansteckung außerhalb der Schule hin. Ein weiterer Hinweis darauf, dass Schulen keine Pandemietreiber sind, ist, dass unter Lehrerinnen und Lehrern meist ähnlich hohe Infektionsraten gemessen wurden wie bei Berufstätigen in anderen Bereichen, schreibt die ECDC, "obwohl Lehrtätigkeiten, bei denen man mit älteren Kindern und/oder vielen Erwachsenen in Kontakt kommt, mit einem höheren Risiko verbunden sein können".
Inzidenz deutlich gesunken
In Deutschland ist die Zahl der positiv getesteten Kinder seit dem Lockdown Mitte Dezember deutlich zurückgegangen. Während zuvor die zehn- bis 14-Jährigen zwei Drittel so häufig wie die Gesamtbevölkerung positiv getestet wurden, sank ihr Anteil ab dem 22. Dezember auf etwa die Hälfte.
Mehrere in renommierten Fachzeitschriften wie Nature oder Science veröffentlichte epidemiologische Studien kommen zu dem Schluss, dass geschlossene Bildungseinrichtungen eine der effektivsten Maßnahmen sind. Peter Klimek von der Medizinischen Universität Wien hat dafür eine Erklärung: "Schulschließungen sind so ein gravierender Eingriff ins tägliche Leben, dass sich dadurch zwangsläufig auch viele Kontakte in anderen Lebensbereichen reduzieren." So sind beispielsweise viele Eltern zur Heimarbeit gezwungen, wenn sie auf ihr Kind aufpassen müssen.
Was bedeutet die B117 für die Schulen?
Nach Angaben der britischen Gesundheitsbehörde stecken Menschen, die mit der Mutante infiziert sind, 15 Prozent ihrer engen Kontaktpersonen mit dem Virus an. Kinder, die mit der Mutante infiziert sind, haben demnach neun Prozent ihrer engen Kontaktpersonen angesteckt. Für die anfängliche Befürchtung, dass sich das mutierte Virus vor allem unter Kindern schneller verbreitet, findet sich demnach kein Beleg.
Wissenschaftler der US-Seuchenschutzbehörde CDC veröffentlichten in der US-Ärztezeitschrift JAMA einen Artikel, in dem sie nach Auswertung von Untersuchungen an Schulen zu dem Ergebnis kamen, dass die schnelle Ausbreitung des Virus in gemeinsamen Wohnunterkünften und dicht gefüllten Arbeitsstätten beobachtet wurde, "aber nicht im Schulunterricht". Sie halten Unterricht mit einer Reihe von Maßnahmen für möglich - allerdings raten sie dringend vom Sportunterricht in geschlossenen Räumen ab, ebenso von Schulveranstaltungen.
Masken, Abstand, geteilte Klassen
Epidemiologe Peter Jüni, der in Ontario/Kanada lehrt und die dortige Regierung in Coronafragen berät, ist sich sicher, dass kontrollierte Schulöffnungen möglich sind - wenn gewisse Vorkehrungen getroffen werden. Neben Masken, Abstand, Lüften und reduzierter Klassengröße hält Jüni es für zentral, die Begegnungen innerhalb der Schulen zu reduzieren. Schulklassen sollten am besten feste Klassenverbände bilden und sich nicht mischen. Ähnliche Empfehlungen hatte auch das RKI veröffentlicht.
Doch alle Vorsichtsmaßnahmen bringen wenig, wenn man den Schulweg und das "Abhängen" auf dem Schulhof und danach außer acht lässt. Gerade Schüler, die in vollbesetzten Bussen fahren müssen, haben ein hohes Infektionsrisiko. Neben versetzten Schul-Anfangszeiten und mehr Schulbussen hält der Dresdner Kindermediziner Berner es auch für wichtig, dass ein Lehrer zum Hygienebeauftragten ernannt wird und als Ansprechpartner für das örtliche Gesundheitsamt dient. Und falls es Ausbrüche an Schulen gibt, müsse dieses Geschehen auch untersucht werden. Jüni meint, dies sei "alles nicht trivial, aber machbar".