Fall Skripal Verdächtiger als russischer Spion identifiziert
Im Fall Skripal haben Journalisten nach eigenen Angaben einen der verdächtigen Täter als russischen Spion identifiziert. Die Reporter kamen dem Oberst durch Recherchen in Datenbanken auf die Spur.
Die Recherche-Plattform Bellingcat hat nach eigenen Angaben einen der Verdächtigen im Fall Skripal als Oberst des russischen Militär-Geheimdienstes GRU identifiziert. Einer der beiden Männer, die die britischen Behörden nach dem Anschlag in Salisbury als Tatverdächtige zur Fahndung ausgeschrieben hatten, heiße mit Klarnamen Anatoliy Chepiga und sei ein hochdekorierter Oberst. Bellingcat kooperierte bei dieser Recherche mit dem russischen Magazin "The Insider - Russia".
Im Netz erläutert Bellingcat ausführlich, wie man auf die Spur des Oberst gekommen ist. Bereits in einer früheren Recherche waren die Journalisten zu dem Schluss gekommen, dass die beiden Verdächtigen, die im russischen Fernsehen unter den Namen "Ruslan Boshirov" und "Alexander Petrov" auftraten tatsächlich Undercover-Offiziere des Geheimdienstes seien. Nun enthüllte Bellingcat nach eigenen Angaben die wahre Identität von "Ruslan Boshirov"; diese sei durch mehrere Quellen bestätigt worden.
Soldaten in Schutzanzügen arbeiteten an den Ermittlungen zur Nowitschok-Vergiftung des Ex-Doppelagenten Skripal und dessen Tochter mit.
Der Bericht birgt Brisanz in sich, denn Moskau behauptet bis heute, Russland sei nicht in den Anschlag auf den Ex-Spion Skripal beteiligt gewesen. Bellingcat kommt nun zu dem Schluss, die jüngste Recherche belege ohne jeden Zweifel, dass die beiden Verdächtigen russische Offiziere waren, die auf einer geheimen Regierungsmission tätig gewesen seien. Präsident Wladimir Putin hatte sogar öffentlich verbürgt, dass "Boshirov" und "Petrov" Zivilisten seien.
Wie ging Bellingcat vor?
Zu Beginn der Recherche hatte Bellingcat lediglich Fotos der beiden Verdächtigen sowie deren angebliche Namen. So durchsuchten die Journalisten Datenbanken und Netzseiten - ohne Ergebnis. Daher stellten die Journalisten eine Hypothese auf: Sie vermuteten, es handele sich bei den Verdächtigen um Spione mit dem Schwerpunkt auf Operationen in Westeuropa. Zudem konnten sie das Alter anhand der Fotos ungefähr schätzen.
Auf Basis dieser Annahmen recherchierten die Journalisten, wo und wann die beiden zu Spionen ausgebildet worden sein könnten. Die Journalisten sichteten Jahrbücher und Gruppenfotos von der Far Eastern Military Command Academy, die zum russischen Verteidigungsministerium gehört.
Hinweis auf höchste Ehrung
Auf den Fotos konnten die beiden Verdächtigen nicht eindeutig identifiziert werden. Bei "Boshirov" gab es jedoch mehrere mögliche Treffer. Auf einem Gruppenfoto zu einem Artikel über die Geschichte der Akademie war eine Person zu sehen, die dem Verdächtigen ähnelte. Dazu verwies der Text auf Absolventen der Akademie, die in Tschetschenien eingesetzt und die mit dem "Hero of Russia Award" ausgezeichnet wurden.
Die Journalisten durchsuchten das Netz nach einer Person, die auf der Akademie ausgebildet wurde, in Tschetschenien im Einsatz war und als "Held der Russischen Föderation" ausgezeichnet wurde. Sie stießen auf den Namen Oberst Anatoliy Chepiga.
Keine Bilder vom "Helden der Russischen Föderation"
Überraschend war, dass es im Netz keine Bilder oder sonstige Treffer zu diesem Oberst gab - immerhin war er mit der höchsten Auszeichnung Russlands geehrt worden. Daraufhin durchsuchten die Journalisten verschiedene geleakte Datenbanken mit Adressen und Telefonnummern.
In einer Datenbank von 2003 wurde ein Anatoliy Vladimirovich Chepiga mit einer Adresse aufgeführt, die als russische Abkürzung für "Military Unit 20662" bezeichnet wird. 20662 ist die vom Verteidigungsministerium vergebene Nummer der "Spetsnaz"-Einheit der 14. Brigade des Militär-Geheimdienstes GRU in Chabarowsk.
In einer Datenbank von 2012 wurde zudem ein Anatoliy Vladirovich Chepiga als in Moskau wohnhaft aufgeführt. Dieser Mann wurde am 5. April 1979 geboren.
Anhand von Geburtsdatum, Adresse und Familiennamen suchte Bellingcat online und in sozialen Netzwerken nach diesem Mann - vergeblich. Allerdings erhielten die Journalisten Zugriff auf Auszüge aus einer Datenbank mit Informationen aus Passdateien - darunter waren auch Auszüge aus dem Pass von Anatoliy Vladimirovich Chepiga. Diese Datei enthielt ein Foto - etwa aus dem Jahr 2003, das laut Bellingcat "Boshirov" stark ähnelte.
In einem Antragsformular für Reisepässe wurde der Wohnsitz von Chepiga 2003 als "Military Unit 20662, Khabarovsk" aufgeführt, was zu dem Fund aus der Datenbank von 2003 passte. Zudem gab es dort auch einen Hinweis auf die Auszeichnung als "Held der Russischen Föderation".
Verteidigungsminister bestätigt Ergebnis
Bellingcat betont, dass man die Daten aus unterschiedlichen Quellen bezogen habe - und sich diese gegenseitig bestätigt hätten. Die Recherche zeige, dass "Ruslan Boshirov" tatsächllich der russische Oberst Anatoliy Chepiga sei.
Der britische Verteidigungsminister Gavin Williamson schrieb auf Twitter, dass die "wahre Identität" eines der Verdächtigen enthüllt worden sei. Allerdings löschte der Minister diesen Tweet mittlerweile wieder.
Bizarrer Auftritt im Fernsehen
"Ruslan Boshirov" und "Alexander Petrov" traten Mitte September im russischen Fernsehen auf, kurz nachdem Putin dazu aufgerufen hatte, dass sich die "Zivilisten" an die Medien wenden sollten. Im russischen Staatssender RT bestätigten die Verdächtigen, sie seien Anfang September tatsächlich in Großbritannien und auch zwei Mal in Salisbury gewesen: Am 3. März sowie am 4. März, als Skripal vergiftet wurde.
Im RT-Interview behaupteten die Männer, sie hätten sich das Steinzeitmonument Stonehenge anschauen wollen. Wegen schlechten Wetters hätten sie die Stadt aber nach etwa einer Stunde wieder verlassen und seien nach London zurückgekehrt. Am folgenden Tag hätten sie sich die Kathedrale der Stadt besichtigen wollen. Möglicherweise seien sie am Skripal-Haus vorbeigekommen.
Die Polizei teilte mit, in dem Hotel der beiden Russen in London seien winzige Spuren des verwendeten Nervengifts nachgewiesen worden.
Bereits nach zwei Tagen hätten die Russen ihre Reise allerdings wieder abgebrochen - wegen des starken Schneefalls. "Boshirov" und "Petrov" seien daher früher als geplant nach Moskau zurückgereist. Noch am Abend des 4. März nahmen sie einen Flug der russischen Aeroflot nach Moskau - wo es zu dieser Zeit gut minus zehn Grad kalt war und heftiger Schneefall verzeichnet wurde.