Abschuss von Flugobjekten Verschwörungsszene vermutet Ablenkungsmanöver
Was hinter den gesichteten Flugobjekten über Nordamerika steht, ist nicht eindeutig geklärt - und bietet somit Platz für Spekulationen. In Verschwörungskreisen wird ein Ablenkungsmanöver vermutet.
Mit den Ufo-Abschüssen habe die "Alien-Verschwörung" begonnen. "Ist es ein Ablenkungsmanöver, um über unbequeme Wahrheiten, Fakten, Daten nicht zu sprechen?", heißt es in einem Video. "Sie bereiten die Massen auf den neuesten und größten Massenbetrug der globalen Elite vor", ist man sich in einem Telegram-Kanal sicher.
In der verschwörungsideologischen Szene scheint man sich größtenteils einig zu sein: Die unbekannten Flugobjekte haben nicht etwa mit Spionage oder gar Außerirdischen zu tun - die Bekanntmachung über die Abschüsse der Ufos sind ein Ablenkungsmanöver. Vor was abgelenkt werden soll, variiert in den Erzählungen. Auch wie die Flugobjekte in den Luftraum kommen und woraus sie bestehen.
Einige sprechen davon, dass die angeblichen Flugobjekte in Wahrheit Hologramme seien, die in den Himmel projiziert würden, andere glauben der offiziellen Meldung, dass es sich um Ballons handele. Übereinstimmend heißt es allerdings, dass es bei der Bekanntmachung der gesichteten und teilweise abgeschossenen Flugobjekte eigentlich darum gehe, andere geheime Machenschaften oder unliebsame Themen zu verschleiern. Dahinter stecke - wie auch bei anderen Verschwörungsmythen wie dem "Great Reset" - eben die "globale Elite".
Verschwörungserzählung gibt es schon lange
Die Verschwörungserzählung einer vorgetäuschten Alieninvasion ist nicht neu, sagt Josef Holnburger, Geschäftsführer des Center für Monitoring, Analyse und Strategie (CeMAS). Sie hat sogar einen Namen: "Project Blue Beam" (auf deutsch: Projekt Blauer Strahl). So kursieren etwa auf Telegram folgende Inhalte dazu: "Projekt Blue Beam: WEF-Insider enthüllt, dass eine 'gefälschte Alien-Invasion' die Menschheit vereinen wird."
"Der Hintergrund dieser und ähnlicher Verschwörungsmythen ist, dass man den vermeintlichen Verschwörern eine unglaubliche Macht zuspricht in der Beeinflussung der Menschen und der Medien", sagt Holnburger. "Und diese Macht erstreckt sich dann sogar darauf, dass sie etwas darstellen können, was so gar nicht existiert."
Insgesamt vier Flugobjekte wurden im kanadischen und US-amerikanischen Luftraum abgeschossen. Bei dem ersten Objekt, das die Größe von zwei bis drei Autobussen hatte, handelte es sich um einen chinesischen Ballon. Die Regierung in Peking bestätigte dies. Über den Zweck des Ballons herrscht weiter Unklarheit.
Zu den anderen Objekten ist derzeit noch wenig bekannt. Es gebe bisher keinen eindeutigen Hinweis darauf, dass die drei Flugobjekte zu Spionagezwecken unterwegs gewesen seien, sagte der Kommunikationsdirektor des Nationalen Sicherheitsrats, John Kirby. Man wisse noch nicht, woher die Objekte stammten und was ihre Mission gewesen sei. "Die Möglichkeit, dass es sich um Ballons handelt, die einfach an kommerzielle Einrichtungen oder Forschungseinrichtungen gebunden und daher harmlos sind, wird nicht ausgeschlossen", betonte Kirby.
Bislang nur ein "kleiner Teil" geborgen
Dass die kleineren Objekte überhaupt entdeckt wurden, liegt nach Angaben von Melissa Dalton, Staatssekretärin im US-Verteidigungsministerium, daran, dass nach dem Abschuss des ersten Ballons Radareinstellungen verändert wurden, um nach kleineren und langsameren Objekten zu suchen. Seit dem Abschuss des Ballons sei der US-Luftraum in der fraglichen Höhe genauer überprüft worden. Das könne "zumindest teilweise die Zunahme an Objekten erklären, die wir in der vergangenen Woche entdeckt haben", so Dalton.
Mehr Klarheit gibt es vermutlich erst dann, wenn alle abgeschossenen Objekte geborgen worden sind. Bis jetzt wurde nach Angaben eines FBI-Verantwortlichen bislang nur ein "kleiner Teil" der Überwachungsausrüstung des ersten abgeschossenen Ballons geborgen. Vom Militär veröffentlichte Fotos zeigen die Bergung eines großen Teils des Ballons aus dem Atlantik. Die USA erhoffen sich von der Untersuchung der Trümmerteile weitere Erkenntnisse über das chinesische Vorgehen.
Um weitere Erkenntnisse zu erlangen, werden die Trümmerteile des geborgenen Ballons genau untersucht.
Auch Snowden glaubt an Ablenkungsmanöver
Auch US-Whistleblower Edward Snowden stützte auf Twitter die Theorie eines Ablenkungsmanövers. Aus seiner Sicht versuche die USA dadurch, von dem Nord Stream-Bericht des US-Journalisten Seymour Hersh abzulenken. Auch das ist aus Sicht von Holnburger alles andere als plausibel: "Es gibt keine Absprachen zwischen den Medien, worüber berichtet wird und worüber nicht." Zudem könne durchaus über mehrere Themen gleichzeitig berichtet werden, auch über den Bericht von Hersh haben zahlreiche Medien Artikel veröffentlicht. Hinzu komme, dass es an dem Bericht von Hersh "legitime Zweifel" gebe, so Holnburger.
Snowden, der seit seiner Flucht nach Russland bereits öfter mit Verschwörungserzählungen kokettiert habe, sei der "Cui bono"-Falle aufgesessen. Cui bono ist lateinisch und bedeutet so viel wie "Wem nützt es" und wird besonders in Verschwörungskreisen gerne als Erklärungsmuster herangezogen. Dabei werden anlässlich eines ungeklärten Ereignisses der oder die vermeintlichen Profiteure als mögliche Schuldige ausgemacht.
"Bei der Herangehensweise werden oftmals nur noch Argumente gesucht, die die eigene eigene Position unterstützen", sagt Holnburger. "Anstatt es mit der Medienökonomie zu erklären, dass dieses Thema so eine Aufmerksamkeit erhält, wird nach Mustern und Beispielen gesucht, wieso man jetzt die US-amerikanische Regierung dafür verantwortlich machen könnte und sollte."
Mächtiger Verschwörer mit "Schusseligkeiten"
Wie jetzt bei den Ufos, sei auch nach den Anschlägen auf das World Trade Center im verschwörungsideologischen Milieu daran geglaubt worden, dass es sich bei den Flugzeugen in Wahrheit lediglich um Projektionen gehandelt habe und die Explosionen durch Sprengkörper ausgelöst worden seien. "Das Faszinierende ist, dass man auf der einen Seite die vermeintlichen Verschwörer allmächtig gestaltet, aber ihnen andererseits auch wieder eine extreme Schusseligkeit unterstellt", sagt Holnburger. Denn sowohl beim Anschlag damals als auch bei den jüngsten Ufo-Sichtungen meinen die Verschwörungsideologen anhand von bestimmten Fragmenten in den Videoaufnahmen beweisen zu können, dass es sich um Projektionen handelt.
Ein typisches Muster von Verschwörungserzählungen, sagt Holnburger: "Wenn man die vermeintlichen Verschwörer zu mächtig aufbauen würde, hat man selbst irgendwann auch keine Handlungsmöglichkeit mehr, weil man dem vollkommen unterliegt." Durch die vermeintlichen Fehler der Verschwörer hingegen gebe es den Moment, wo die Verbreiter dieser Mythen selbst eine Art Detektiv werden könnten und damit auf Augenhöhe mit den vermeintlichen Verschwörern stünden. "Sie können sich damit sehr stark selbst aufwerten."
USA geben Geheimdienstinformationen frei
Dabei setzen die USA in Sachen unbekannter Flugobjekte seit geraumer Zeit bereits auf mehr Transparenz und veröffentlichen zumindest teilweise auch Geheimdienstinformationen zu dem Thema. Dem jüngsten Bericht zufolge wurden seit 2021 insgesamt 366 Vorfälle registriert. Davon wurden 163 später als Ballons identifiziert. Die Mehrheit der Sichtungen stammt dem Bericht zufolge von Piloten der US-Marine und der US-Luftwaffe.
Doch mehr Transparenz sorge nicht automatisch dafür, dass Verschwörungsmythen zu einem Thema weniger würden, sagt Holnburger. "Transparenz schadet nicht, es ist auch gut für die Gesellschaft. Verschwörungsideologen hält es jedoch leider nicht davon ab, an die Verschwörungserzählung zu glauben."
In Deutschland ist bei unbekannten Flugobjekten bei einer Flughöhe von bis zu 11.000 Metern das Verteidigungsministerium zuständig, bei einer größeren Flughöhe das Innenministerium. Auf Anfrage des ARD-faktenfinders teilte das Verteidigungsministerium mit, dass "weiterhin keine Erkenntnisse zu Ufo oder UAP (Unidentified Aerial Phenomena)" vorliegen würden.
Kontrollverlust durch Unwissenheit
Dass es in Verschwörungskreisen trotz dieser insgesamt noch dünnen Informationslage bereits genaue Vorstellungen darüber gibt, wobei es sich im Fall der noch unbekannten Flugobjekte handelt, erklärt Holnburger mit einem der Hauptmotive für Verschwörungsideologen. "Sie suchen Muster, wo keine sind, um einen Kontrollrückgewinn zu haben. In ihrer Anschauung gibt es keine chaotische, unstrukturierte oder zufällige Welt."
In einem verschwörungsideologischen Weltbild habe alles seinen Plan, alles seine Ordnung, alles sei vorbestimmt. "Und durch die klare Zuschreibung von Verantwortlichkeiten gerät dieses Weltbild nicht ins Wanken", so Holnburger.
Besonders in Krisenzeiten würde das auf fruchtbaren Boden treffen, indem vermeintliche Verantwortliche ausgemacht und Feindbilder generiert werden. "Und das macht das Ganze immer auch so problematisch, egal um welches Ereignis es sich handelt", sagt Holnburger. "Ob Erdbeben oder Krisen: Es werden einzelne Gruppen, Staaten oder Organisationen für alle Großereignisse verantwortlich gemacht, die dadurch Hass auf sich ziehen." Das sei insbesondere für Gruppen problematisch, die besonders häufig in Verschwörungserzählungen thematisiert werden, wie beispielsweise Jüdinnen und Juden.
"Obwohl es erst einmal so lächerlich klingt, dass Menschen an eine vorgetäuschte Alieninvasion glauben, hat es reale Konsequenzen, die gefährlich sein können", sagt Holnburger. "Denn durch solche Verschwörungserzählungen spielt zum Beispiel Antisemitismus immer wieder eine stärkere Rolle in der Gesellschaft und Jüdinnen und Juden werden eher angegriffen."