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"Querdenken"-Szene Umfrage mit zweifelhaften Ergebnissen

Stand: 18.02.2022 06:02 Uhr

Eine großangelegte Umfrage soll die Kritik an den Corona-Maßnahmen in Deutschland untermauern. Die angewandten Methoden sind jedoch weitgehend ungeeignet, die Ergebnisse daher mehr als zweifelhaft.

Von Carla Reveland und Wulf Rohwedder, Redaktion ARD-faktenfinder

Es klingt zunächst beeindruckend: "52.929 Personen aller Alters- und Berufsgruppen" hätten an der "Deutschland-Umfrage 2021/2022" der "Corona-Initiative Deutscher Mittelstand" (CIDM) teilgenommen. Im "Querdenken"-Milieu werden die Ergebnisse von CIDM besonders häufig zitiert - untermauern sie doch scheinbar die Kritik an den Corona-Maßnahmen und an der Berichterstattung.

Die CIDM ist eine 2020 gegründete Initiative, die nach eigenen Angaben "IST-Analysen, Monitoring, Trend-Prognosen und Beratung in der Corona-Krise" anbietet. So machten sie sich 2020 in der "Querdenken"-Szene erstmals einen Namen mit einer maßnahmenkritischen "Exit-Strategie" für die Corona-Pandemie. Als Verantwortliche werden auf der Website des CIDM Wolfgang Romberg und Moritz Graf Brühl angegeben, ein Impressum gibt es nicht. Moritz Graf Brühl ist Versicherungsmakler und Beisitzer im Frankfurter CDU-Stadtbezirksverband Westend.

Wolfgang Romberg ist Unternehmer und gründete unter anderem mit dem radikalen Impfgegner Bodo Schiffmann die Partei "Wir2020". Während Schiffmann seinen Parteiposten aufgab, ist Romberg laut Impressum derzeit ein hoher Parteifunktionär*.

Aufrufe zur Teilnahme

Auf die Teilnahme an der "Deutschland Umfrage" wurde in diversen Telegram-Kanälen und Facebook-Gruppen hingewiesen. So wurde der Teilnahme-Link beispielsweise in Facebook-Gruppen mit Namen wie "Unternehmer gegen Corona", "Ich misstraue der Regierung!", "Impfpflicht verhindern - Bürger für Gerechtigkeit" oder "Wir lassen uns NIEMALS gegen Corona impfen" geteilt - in vielen Fällen mit der Aufforderung: "Verteile die Umfrage großzügig im Freundes- und Bekanntenkreis auf allen Kanälen".

Auch in AfD-Kreisen kursiert die Umfrage - der AfD Ortsverband Altkreis Melsungen teilt sie, ebenso wie die "Alteenative (sic!) Freunde Berlin", in der AfD-Politiker wie Gottfried Curio oder Hugh Bronson Posts veröffentlichen. Die Facebook-Gruppe von "Wir2020" teilte den Aufruf Ende Dezember als Erstes.

"Sensationelle" Umfrage?

Die Ergebnisse der CIDM-Umfrage verbreiteten sich Ende Januar massiv in der Szene. Neben diversen Gruppen auf Facebook verweisen reichweitenstarke Akteure wie Oliver Janich, Eva Herman oder das vom Verfassungsschutz als rechtsextremistisch eingestufte "Compact Magazin" auf Telegram auf die "sensationelle" Online-Umfrage. Schiffmann präsentiert die Umfrage gar in einem fast 400.000-mal geklickten Video auf seinem Telegram-Kanal.

Bodo Schiffmann

Der radikale Corona-Impfgegner Bodo Schiffmann stellt die Ergebnisse der CIDM-Umfrage per Live-Stream vor und schreibt dazu: "Die Pandemie ist vorbei".

Das Ergebnis der Umfrage: 65,8 Prozent der Geimpften halten die Impfpflicht für unverhältnismäßig oder sehr unverhältnismäßig. Bei einer Teilnehmerzahl von mehr als 50.000 sei das Ergebnis "mehr als repräsentativ", behauptet Schiffmann - und führt weiter aus: "Eine Umfrage ist repräsentativ bei mehr als 2000 Teilnehmern."

Selbstrekrutierung bei Online-Umfragen

"Das ist Blödsinn", sagt Nico Siegel, Geschäftsführer von infratest-dimap. "Die Anzahl der Befragten an sich ist kein Kriterium für Repräsentativität." Vielmehr sei eine Umfrage dann repräsentativ, "wenn die Auswahl der Befragten möglichst alle interessierenden Merkmale der zu erforschenden Personengruppe in verkleinertem Maßstab abbildet".

Josef Holnburger vom Center für Monitoring, Analyse und Strategie (CeMAS) sagt: "Das CIDM ist ja nicht repräsentativ, nur weil sie das behaupten." Würde man in einem vollen FC-Bayern-Stadion eine Umfrage dazu machen, welcher Fußballverein der beste sei, käme man wohl auch auf 60.000 Stimmen - bei einem Ergebnis, das man sich denken könne.

Daten nicht repräsentativ

Mehrere Anfragen von tagesschau.de, wie die Probanden ausgewählt, wo zur Teilnahme aufgerufen wurde und ob es Maßnahmen gegen Mehrfachabstimmungen gab, blieben inhaltlich unbeantwortet. Bereits an den veröffentlichten Ergebnissen kann man jedoch erkennen, dass die Auswahl der Befragten alles andere als repräsentativ ist: So weicht die Altersstruktur der Teilnehmer massiv von der tatsächlichen in Deutschland ab.

"Menschen bis 40 Jahre sind leicht unterrepräsentiert, Menschen ab 80 Jahre erheblich. Letzteres ist zu erwarten, da es sich um eine Online-Befragung handelt. Es fehlen aber wesentliche Angaben, beispielsweise von wem die Befragung durchgeführt wurde, wie genau die Teilnehmer rekrutiert wurden und ob eine Gewichtung stattgefunden hat", erklärt Diplomstatistikerin Katharina Schüller gegenüber dem ARD-faktenfinder.

Expertin: Daten kaum sinnvoll auswertbar

Eine Gewichtung der Antworten nach demografischen Merkmalen könne zu einem repräsentativen Meinungsbild führen, wenn das Antwortverhalten ausschließlich von diesen Merkmalen abhänge und der Rücklauf ausreichend hoch sei, so Schüller weiter. "Wenn aber nicht sorgfältig kontrolliert wird, wer für die Befragung rekrutiert wird, versagen auch alle denkbaren statistischen Korrekturmechanismen."

Der Anteil der - nicht genauer definierten - "Geimpften" unter den Antwortenden ist mit gut 40 Prozent ebenfalls deutlich niedriger. Zum Ende des Befragungszeitraums waren 73,5 Prozent der Gesamtbevölkerung vollständig gegen Covid-19 geimpft, 47,4 Prozent hatten zusätzlich eine Auffrischungsimpfung erhalten.

Polarisierende und ungeeignete Fragestellungen

Auch methodisch gab es massive Fehler: So wurden bei geschlossenen Fragestellungen oft einzelne, meist sehr pointierte und suggestive Antwortmöglichkeiten angegeben, die nur ein geringes Spektrum der möglichen Meinungen abdecken. Alle Teilnehmer, die anderen Auffassungen hatten, konnten lediglich "Sonstige" angeben.

Bei polarisierenden Befragungen bestehe zudem immer das Risiko, dass Menschen mit ablehnender Haltung häufiger antworten als solche mit zustimmender beziehungsweise neutraler, erklärt Statistikerin Schüller dazu. "Wenn die Rohdaten zur Verfügung stehen, können aus dem zeitlichen Verlauf der Antworten eventuell gewisse Schlüsse gezogen werden, ob derartige Verzerrungen vorliegen. Korrigierbar sind diese jedoch so gut wie nie."

Bereits widerlegte Daten als Basis

Die Macher der Seite nehmen jedoch auch andere Daten als Basis und nennen scheinbar seriöse Quellen. So verwenden sie angebliche Zahlen aus der Einsatzstatistik der Berliner Feuerwehr, um für 2020 einen massiven Anstieg von Suiziden beweisen zu wollen - und "rechnen" diese Zahlen auch gleich auf die deutsche Gesamtbevölkerung "hoch". Allerdings hatte die Berliner Feuerwehr bereits im Juni 2020 darauf hingewiesen, dass sie Suizide gar nicht statistisch auswertet. Die vorgenommene Interpretation der Einsatzzahlen sei nicht zulässig, erklärte damals eine Sprecherin gegenüber dem Rechercheportal "Correktiv".

Screenshot von der CIDM-Website

Widerlegte Behauptungen neu aufgewärmt und "hochgerechnet" - seriöse Statistik sieht anders aus.

Tricks in der Darstellung

Nicht zuletzt bedienen sich die Macher einfacher Tricks: Offenbar um die geringe Übersterblichkeit durch die Corona-Pandemie zeigen zu wollen, setzen sie die täglichen Todeszahlen im Verhältnis zur Gesamtbevölkerung - ob damit die Corona-Toten oder die Gesamtsterblichkeit gemeint ist, bleibt offen. In Deutschland starben 2021 nach Angaben des statistischen Bundesamtes 1.020.431 Menschen, das sind im Durchschnitt knapp 2796 pro Tag, also 0,0034 Prozent. Selbst bei einer Verhundertfachung der Sterbezahlen würde die Grafik bei dem gewählten Maßstab unverändert bleiben, ist also zum Beleg irgendwelche Behauptungen ungeeignet.

Screenshot von der CIDM-Website

Grafik ohne Wert: Bezogen auf die Gesamtbevölkerung würden auch massive Anstiege der täglichen Todeszahlen nicht erkennbar sein.

Markus Sambale, Markus Sambale, ARD Berlin, 18.02.2022 06:08 Uhr

* Hinweis der Redaktion: Die Angaben zum konkreten Posten Rombergs werden widersprüchlich angegeben.