Rückführung nach Afghanistan Schulz will Abschiebestopp, Merkel nicht
Nach dem Anschlag in Kabul will SPD-Chef Schulz Abschiebungen nach Afghanistan aussetzen. Nur Kriminelle sollten dorthin gebracht werden. Kanzlerin Merkel will afghanische Straftäter zuerst zurückführen - hält aber auch generell an Abschiebungen fest.
SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz hält Abschiebungen nach Afghanistan zurzeit für "kein vertretbares Instrument". Deshalb forderte er beim WDR-Europaforum die Aussetzung. "Ich selbst bin der Meinung, dass erst einmal keine Kinder und Frauen nach Afghanistan abgeschoben werden dürfen", sagte Schulz. Doch auch insgesamt sollte dieses Instrument "im Lichte der Ereignisse des gestrigen Tages" nicht genutzt werden. Nur für Straftäter und Gefährder solle der Abschiebestopp nicht gelten.
Das Auswärtige Amt müsse die Sicherheitslage neu bewerten. Dann müsse auf dieser Grundlage entschieden werden, ob und wann die Abschiebungen wieder aufgenommen werden könnten, so Schulz.
Merkel will Prüfungen "Provinz für Provinz"
Dagegen will der Koalitionspartner grundsätzlich an der Rückführung abgelehnter Asylbewerber nach Afghanistan festhalten. Kanzlerin Angela Merkel betonte lediglich, der Anschlag in Kabul am Mittwoch sei "noch einmal Anlass, genau hinzuschauen, die Sicherheitslage immer wieder richtig zu analysieren (...), Provinz für Provinz". Auch sie sieht das Auswärtige Amt am Zug.
Es gehe auch darum, sich bei Abschiebungen auf Flüchtlinge zu konzentrieren, die kriminelle Taten in Deutschland begangen hätten und sich jeden Einzelfall genau anzuschauen. "Das ist für mich die Lehre aus dem gestrigen Tag."
Seehofer warnt vor "Kurzschluss-Entscheidungen"
Auch CSU-Chef Horst Seehofer lehnt einen generellen Abschiebestopp nach Afghanistan ab. Es sei jetzt große Sorgfalt nötig bei der Frage, in welche Region abgeschoben werden könne, sagte Seehofer und warnte vor "hektischen Kurzschluss-Entscheidungen".
"Der jüngste Anschlag in Kabul war fürchterlich. Aber man muss nicht deswegen die Abschiebungen stoppen", sagte der bayerische Innenminister Joachim Herrmann den Zeitungen der Funke Mediengruppe. Eine Rückkehr nach Afghanistan sei aber "immer noch zumutbar".
Grünen-Chef Özdemir: "Lage der Wirklichkeit anpassen"
Klare Kritik an den Afghanistan-Rückführungen kam aus den Oppositionsreihen. Grünen-Parteichef Cem Özdemir appellierte an die Bundesregierung, die Abschiebungen nach Afghanistan auszusetzen. Afghanistan könne nicht als sicheres Herkunftsland eingestuft werden, sagte er im ARD-Morgenmagazin.
"Ich fordere den Außenminister auf, jetzt, in dieser Situation, endlich das Notwendige zu machen - auf sein Herz zu hören, die Lageberichte der Wirklichkeit anzupassen und nicht das zu machen, was der Innenminister von ihm möchte: dass er Gefälligkeitsgutachten über dieses Land macht. Das ist die Grundlage für die Abschiebungen."
"Das ist unchristlich"
Linkspartei-Chefin Katja Kipping machte der Union schwere Vorwürfe. "Die deutsche Botschaft in Kabul liegt nach dem schlimmen Terroranschlag fast in Schutt und Asche, doch die Union will weiter in das Bürgerkriegsland abschieben", sagte Kipping. "Das ist unchristlich und eine Schande für unser Land."
Die SPD dürfe sich in der Bundesregierung nicht länger einen schlanken Fuß machen und dem Treiben von CDU und CSU zusehen und "sogar über Einschätzungen des Außenministeriums Munition dafür liefern". Nötig sei ein sofortiger und umfassender Stopp von Abschiebungen nach Afghanistan.
Bei dem Anschlag mit einer Autobombe am Mittwoch in direkter Nähe der deutschen Botschaft waren mindestens 90 Menschen getötet und Hunderte verletzt worden. Daraufhin hatte die Bundesregierung einen für Mittwochabend geplanten Abschiebeflug nach Afghanistan kurzfristig abgesagt. Als Begründung führte Bundesinnenminister Thomas de Maizière an, dass sich die Botschaftsmitarbeiter wegen des Anschlags nicht um die Ankunft des Flugzeugs in Kabul kümmern könnten.